Bewertung

Review: #2.03 Der Sturm

Foto: Lily Rabe, American Horror Story - Copyright: Frank Ockenfels/FX
Lily Rabe, American Horror Story
© Frank Ockenfels/FX

Einer der wichtigsten Aspekte der zweiten Staffel von "American Horror Story" ist definitiv die psychologische Dimension. Nicht nur hat Horror fundamental mit Psychologie und der Manipulation der menschlichen Psyche zu tun, auch die Tatsache, dass der zentrale Schaupunkt ein Irrenhaus ist, legt nahe, sich ein wenig mit diesem Thema zu beschäftigen. In der Tat kommt einem bei dieser Episode der Name Sigmund Freud immer wieder in den Sinn, dessen Theorien für einige der Storyverläufe eine interessante Interpretationsbasis bieten. Doch auch wenn sich eine gewisse Versiertheit der Autoren mit Freudschen Postulaten feststellen lässt, so täuscht dies nicht darüber hinweg, dass es Staffel 2 weiterhin nicht schafft, so richtig zu begeistern.

"Aléjate Satanás!"

Eine der wichtigsten und einflussreichsten Theorien Freuds ist die des so genannten Unheimlichen. Laut dieser empfinden wir das als unheimlich, was wir einst verdrängt oder überwunden haben, und das aus irgendeinem Grund entfremdet wiederkehrt und uns heimsucht. Es somit die Mischung aus Vertrautem (das, was wir kennen) und Unvertrautem (die entfremdete Art, wie es wiederkehrt), das in uns das Gefühl der Unheimlichkeit erzeugt. Schwester Mary Eunice aka Satan ist defintiv ein klassisches Beispiel dafür: Die unschuldige Nonne als Personifikation des Teufels zu sehen, ist sehr unheimlich – allerdings macht es auch Spaß, ihr bei ihrem intriganten Spiel zuzusehen. Lily Rabe amüsiert sich ganz offensichlich köstlich dabei, die fiese Mary Eunice zu spielen, und macht ihre Sache richtig gut. Wie sie mit rotem Lippenstift und Rotwein in Schwester Judes Büro kommt, wie sie Dr. Arden zu verführen versucht, wie sie die Mexikanerin kurzerhand absticht – unheimlich.

Doch natürlich ist Mary Eunice' Verhalten alles andere als unauffällig. Auch wenn Schwester Jude und Dr. Arden bisher noch glauben, dass die arme junge Frau vom jeweils anderen korrumpiert wurde, so kann der Teufel sein Spielchen sicherlich nicht mehr lange unbemerkt treiben – zumindest nicht im Körper von Mary Eunice...

"Don't be afraid of the dark!"

Doch bis es auffliegt, dass Mary Eunice besessen ist, wird es vielleicht auch noch ein Weilchen dauern, denn Schwester Jude und Dr. Arden sind beide jeweils zu sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Schwester Jude wird diesmal wieder mit ihrer schamvollen Vergangenheit konfrontiert und verliert sich im Alkohol. Die Zeitung, der Telefonanruf des eigentlich toten Mädchens (vertraut und unvertraut – da ist das Unheimliche wieder) und die kaputte Brille – für Jude ist das zu viel. Und so bietet auch diese Folge wieder komplexes Schauspielmaterial für Jessica Lange, deren Monolog vor versammelter Runde absolut herausragend ist. Schwester Jude torkelt und taumelt, präsentiert den Film in einem Zustand irgendwo zwischen betrunken und verstört, verzweifelt und verrückt, streng und mitfühlend. Trotz ihrer Härte verbirgt sich in Schwester Jude immernoch ein kleines bisschen Wärme, doch nie so viel, als dass man ihr vollends Sympathie entgegenbringen könnte. Und das ist alleiniger Verdienst von Lange.

Doch leider versinkt Judes anfangs so vielversprechende Storyline ziemlich in der Lächerlichkeit. Während sie betrunken durch die Gänge von Briarcliff wandert, um nach der verschwundenen Mexikanerin zu suchen, begegnet sie plötzlich... jep, einem Alien (!). Nachdem wir schon in #2.01 Welcome to Briarcliff einen kurzen Blick darauf erhascht hatten, ist es nun wieder da. Leider passen Aliens aber ungefähr so gut in die Serie wie Ballettschuhe zu Arnold Schwarzenegger. Außerirdische haben in diesem Setting einfach nichts zu suchen und momentan ist es unvorstellbar, wie dieses Element auch nur ansatzweise zufriedenstellend integriert werden soll.

"I admired her purity, her innocence. I never had any."

Zu einem besseren, da hochgradig schockierenden Ende kommt hingegen Dr. Ardens Geschichte. Nachdem er schon in der letzten Folge ein beunruhigendes Verhältnis zu Frauen an den Tag gelegt hatte, bekommen wir diesmal eine Ahnung davon, warum dies so ist. Seine Behauptung, er hätte nie Unschuld besessen, legt nahe, dass er womöglich selbst Sohn einer Prostituierten ist, nie darüber hinweg kam und deswegen so einen Frauenhass in sich trägt. Und dann ist da natürlich noch das Freudsche Phänomen der Kastrationsangst: Dr. Arden scheint nämlich ein echtes Problem unten herum zu haben, das er durch Brutalität und Machtausübung kompensieren will. So erklärt sich dann gewissermaßen auch der drastische Schocker zum Schluss: Arden wird durch Shelleys Hohn kastriert und kastriert deshalb sie.

Doch nicht nur wegen dieser krassen Endszene macht Shelley diesmal einiges wett: Nachdem sie bislang äußerst eindimensional dargestellt und eigentlich immer nur instrumentalisiert wurde, um gesellschaftliche Konventionen lautstark zu kritisieren, zeigt sie diesmal Solidarität und Mut. Sie opfert sich, um den anderen zur Flucht zu verhelfen und muss letztlich einen furchtbaren Preis dafür bezahlen. Es bleibt zu hoffen, dass dies noch nicht das letzte ist, was wir von Shelley gesehen haben und ihre Story jetzt erst womöglich richtig losgeht.

"All we have to do is go through those doors."

Den uninspiriertesten Teil der Episode bildet der erneute Fluchtversuch von Lana, Kit und Grace, über den sich eigentlich nicht viel sagen lässt, denn: Wir hatten letztes Mal haargenau dieselbe Storyline. Kit beteuert seine Unschuld, Grace ist sauer auf Lana, und Lana will zu Wendy. Hier tut sich bis auf Lanas Erkenntnis über Kit rein gar nichts und da die Flucht auch diesmal fehlschlägt, ist die Storyline nicht nur eine Kopie der letzten Folge, sondern auch noch eine relative Zeitverschwendung. Hinzu kommt die haarsträubende Tatsache, dass wir jetzt neben a) Dämonen und b) Aliens auch noch c) Zombies (!!!) in Briarcliff haben, die die Wälder rund um die Irrenanstalt bevölkern. Sorry, aber das ist nicht unheimlich, das ist einfach nur viel zu viel des Guten.

Insgesamt ist #2.03 Nor'easter damit eine eher unausgegorene Mischung aus guten, psychologisch tiefgründigen Charaktermomenten (Schwester Jude, Dr. Arden), sehr oberflächlich gehaltenen, repetitiven Charaktermomenten (Lana, Kit, Grace) und reichlich überzogenen, ja fast schon unfreiwillig komischen Horrorelementen (Aliens, Zombies und, nicht zu vergessen, Bloody Face). Anstatt sich vollends auf eine Mythologie zu konzentrieren, diese aufzubauen und auszustaffieren, so wie es in Staffel 1 mit dem Geistermythos geschah, verliert sich Staffel 2 bisher in vielen losen Enden, unter denen die Figurenausarbeitung zu leiden hat. Es könnte nicht schaden, noch ein bisschen tiefer in die Freudsche Trickkiste zu greifen und lieber die unheimlichen, pathologischen Züge der Charaktere näher zu beleuchten, als ständig mit irgendwelchen Monstern daherzukommen, deren Überfülle langsam ins Lächerliche abdriftet.

Maria Gruber - myFanbase

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