Bewertung
Niels Arden Oplev

Verblendung

Jeder hat ein Geheimnis – bis es entdeckt wird.

Foto: Copyright: neue film produktion
© neue film produktion

Inhalt

Seit 39 Jahren bekommt der ehemalige Firmenboss Henrik Vanger zu seinem Geburtstag eine eingerahmte gepresste Blume geschickt. Anfangs hat dies seine Nichte Harriet gemacht, doch diese ist vor einigen Jahren unter höchst mysteriösen Umständen auf einer zu diesem Zeitpunkt abgesperrten Insel verschwunden, wodurch Henriks Familie in den Fokus der Ermittlungen gerät. Im Alter von 82 Jahren startet er den letzten verzweifelten Versuch, nach seiner Nichte zu suchen.

Dafür engagiert er den Enthüllungsjournalisten Mikael Blomkvist, Redakteur und Mitbesitzer der Zeitschrift "Millennium", den in den kommenden Monaten eine dreimonatige Gefängnisstrafe erwartet, weil er in seinen Ermittlungen offenbar zu weit gegangen ist. Mikael willigt schließlich ein und findet Unterstützung bei der gleichwohl genialen als auch sozial schwierigen Hackerin Lisbeth Salander. Allerdings müssen beide schnell feststellen, dass der Fall Harriet Vanger weitere Kreise zieht als sie erwartet haben.

Kritik

Karl Stig-Erland Larsson, den meisten eher unter dem Namen Stieg Larsson bekannt, wurde mit seiner so genannten "Millennium-Trilogie" weltberühmt. Bis heute haben sich seine drei Bücher mehr als 15 Millionen Mal verkauft und haben sich allesamt auch in Deutschland an das vordere Ende sämtlicher Bestsellerlisten geheftet. Ursprünglich waren sogar zehn Teile geplant, doch der Journalist, Schriftsteller und Herausgeber des antirassistischen Magazins "Expo" starb 2004 im Alter von nur 50 Jahren an den Folgen eines Herzinfarktes. Die "Millennium-Trilogie" wurde erst nach seinem Tod veröffentlicht. Bis heute herrscht ein verbitterter Erbschaftsstreit zwischen seiner langjährigen Lebensgefährtin und Larssons Vater und Bruder um das unvollendete Manuskript zum vierten Teil.

Bei so einer Erfolgsgeschichte war es nur eine Frage der Zeit, bis der erste Teil der Trilogie verfilmt wird. Im Februar dieses Jahres war es soweit, und "Verblendung" feierte in Schweden Premiere. Mittlerweile ist der Film auch in den deutschen Kinos angekommen und es stellt sich einmal wieder die Frage, ob a) die Verfilmung überhaupt notwendig war und b) man es geschafft hat, den unglaublich spannenden ersten Teil ansprechend auf die große Leinwand zu bannen. Die Antwort für beide Fragen kann nur "ja" heißen.

Ohne große Umschweife ist eine der beiden Hauptfiguren, Mikael Blomkvist, bereits nach kurzer Zeit bei Henrik und seinem Anwesen im beschaulichen Hedestad, wo er eigentlich gedenkt, ein paar entspannte Wochen zu verbringen und nebenher einen auf den ersten Blick recht simplen Vermisstenfall zu lösen. Doch natürlich kommt alles anders, und Mikael bekommt es sehr schnell zu spüren, was es heißt, in Privatangelegenheiten der Familie Vanger zu schnuppern. Im Gegensatz zur Buchvorlage, deren Originaltitel mit "Männer, die Frauen hassen" übersetzt werden kann (und damit deutlich passender ist als der deutsche Titel), beschränkt sich die Interaktion Mikaels mit der Familie eigentlich auf drei Mitglieder: Henrik, Martin und Cecilia. Im Buch gestaltet sich die Familienkonstellation als teilweise undurchsichtig und kompliziert, im Film nimmt man mit der Simplifizierung des Ganzen eine Hürde für den Zuschauer, der mit der Vorlage nicht vertraut ist, und schafft es dennoch gleichzeitig, die Spannung aufrecht zu erhalten.

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Mikael und Lisbeth, das kongeniale Ermittlerduo, erst nach etwa 70 Minuten direkt miteinander agiert. Bis dahin wird die Story aus zwei getrennten Perspektiven erzählt, die es gleichzeitig erlaubt, sowohl auf Lisbeth als auch auf Mikael einzugehen, ohne den Erzählfluss empfindlich zu stören. Zwar wird man sich insbesondere bei so mancher Andeutung aus Lisbeths Vergangenheit fragen, welche Bewandtnis diese nun für die Haupthandlung hat, aber genau hier liegt eine der Stärken der Büchertrilogie, die sich hoffentlich auch in den folgenden Verfilmungen zeigen wird: Während im Gros der erfolgreichen Thrillermassenware in Deutschland oft gar nicht oder nur sehr ungenügend versucht wird, dem Hauptcharakter eine Hintergrundstory zu geben, die die Figur interessanter erscheinen lassen soll, steht und fällt Stieg Larssons "Vergebung" mit Lisbeth und Mikael.

Im Film hat man glücklicherweise denselben Ansatz gewählt, und so erhält vor allem Lisbeth einige Szenen, die für die unmittelbare Haupthandlung nicht unbedingt maßgeblich sind, aber dennoch ihren Charakter entscheidend prägen und offenbaren. Die vor allem durch Theaterproduktionen in Schweden bekannte Noomi Rapace vollbringt das Kunststück, der im Umgang höchst schwierigen, bis zum Tode loyalen, genialen, starken und gleichzeitig verletzlichen Lisbeth Salander Leben einzuhauchen, einer der wohl faszinierendsten Figur aus einem Kriminalthriller der vergangenen Jahre. Auch Michael Nyqvist als Mikael Blomkvist weiß zu überzeugen, doch wird ihm wie schon in der Buchvorlage die Show gestohlen, was ihn aber keineswegs auch nur einen Augenblick blass erscheinen lässt.

Die eigentliche Stärke von "Verblendung" ist definitiv die schwierige Beziehung zwischen Mikael und Lisbeth, doch der Film kann auch auf zahlreichen anderen Ebenen überzeugen. Der Plot selbst erweist sich als höchst spannend und packend, sodass man trotz einer Laufzeit von zweieinhalb Stunden nie auf die Uhr schaut. Es gibt zahlreiche Wendungen, die zwar manchmal etwas überstürzt wirken, aber dennoch nie unglaubwürdig, sowie viele Nebenplots, die allesamt ihre Daseinsberechtigung haben und zur Abwechslung mal nicht hoffnungslos verwirren. Zudem wird durch die tolle Inszenierung von Regisseur Niels Arden Oplev eine düstere Stimmung des grau in grauen und regnerischen Schwedens erzeugt, die locker mit hochwertigen Produktionen aus Hollywood mithalten kann. So manche schonungslos harte Szene mag vielleicht nicht jedem gefallen, hat aber definitiv ihre Daseinsberechtigung und trägt mit zu dem düsteren Bild, das Niels Arden Oplev zeichnet, bei.

Einzig zu bemängeln bleibt letzten Endes, dass wie so oft die Buchvorlage eben doch ein Stückchen besser ist. Da es unmöglich ist, innerhalb von lediglich zweieinhalb Stunden 700 Buchseiten abzuhandeln, ohne dadurch die erzählerische Ebene zu verkleinern, fehlt auch bei "Verblendung" der eine oder andere Aspekt, der der Verfilmung gut getan hätte. Insbesondere Mikael hätte mit der einen oder anderen Nebenstory, die im Buch erzählt wurde, ein konturenreicheres Profil erhalten. Dieser Umstand wird insbesondere denjenigen, die das Buch nicht kennen, aber gar nicht negativ auffallen und ist auch für die, die mit der Geschichte um Mikael und Lisbeth vertraut sind, nicht weiter schlimm.

Fazit

"Verblendung" ist ein europäischer Thriller, der trotz so mancher Simplifizierung sowohl handlungstechnisch als auch optisch den Vergleich mit qualitativ hochwertigen Produktionen aus Hollywood nicht scheuen muss. Er bietet zwei hochinteressante, ein Ermittlerduo bildende, Figuren, deren zahlreiche Facetten aufgrund der Kürze der Zeit leider manchmal nur angedeutet werden konnten. Bleibt also nur das hoffnungsvolle Warten auf Teil zwei und drei der "Millennium-Trilogie". Bis dahin funktioniert "Verblendung" aber wunderbar als gute Unterhaltung.

Andreas K. - myFanbase
02.10.2009

Diskussion zu diesem Film