Bewertung
Jaco Van Dormael

Mr. Nobody

"I'm Mr. Nobody. The man who doesn't exist."

Foto: Copyright: 2010 Concorde Filmverleih GmbH
© 2010 Concorde Filmverleih GmbH

Inhalt

Im Jahre 2092, einer Zeit, in der der Planet Mars zum Urlaubsziel verkommen ist, ist der 117-jährige Nemo Nobody (Jared Leto) der letzte sterbliche Mensch einer Zivilisation, die sich durch wissenschaftlichen Fortschritt im Bereich der immerwährenden Erneuerung von Telomeren selbst unsterblich machte. An seinem Todesbett geht er die drei möglichen Existenzen und Heiraten durch, die er erlebt haben könnte, angefangen bei Anna (Diane Kruger), seiner einzig wahren Liebe, seiner verzweifelten Ehefrau Elise (Sarah Polley) oder Jeanne (Linh Dan Pham) und seinen bis zu drei Kindern.

Kritik

Ganze zwölf Jahre ließ sich der Belgier Jaco Van Dormael Zeit, seinen insgesamt erst dritten Film abzuliefern. Bereits bei seinem Debüt "Toto – Der Held" (in Cannes mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet) um eine Hauptfigur, die davon überzeugt ist, bei der Geburt vertauscht und damit seinem vorbestimmten Leben beraubt worden zu sein, beschäftigte sich Van Dormael mit Aspekten, die nun auch in "Mr. Nobody" einfließen: Was wäre, wenn? Was wäre, wenn sich Nemo Nobody am Bahnhof dafür entschieden hätte, fortan bei seiner Mutter zu leben? Wie sähe sein Leben aus, wenn er lieber bei seinem Vater geblieben wäre? Doch damit nicht genug. Van Dormael geht zusätzlich auch der Frage nach, wie sich das Leben der Hauptfigur entwickelt hätte, wenn er sich für eine bestimmte Frau entschieden hätte, in dem Fall Anna, Elise oder Jeanne.

Logisch, dass so ein Film mit zahlreichen Konventionen brechen muss. Eine chronologische Erzählung ist gar nicht möglich, wenn zahlreiche Realitäten vorherrschen. Entsprechend wechselt der Film munter zwischen den Zeiten und den unterschiedlichen Realitäten hin und her. Das kann insbesondere am Anfang verwirrend sein, wird mit der Zeit jedoch zunehmend klarer. Doch Van Dormael gibt sich in dem mit einem Budget von 40 Millionen Euro teuersten belgischen Film aller Zeiten redlich Mühe, dem Zuschauer jegliche Grundlage zur Identifikation mit Charakteren oder Handlungssträngen zu nehmen. So baut er absichtlich Widersprüche ein, lässt zahlreiche Fragen unbeantwortet und sieht es gar nicht ein, die klaffenden Lücken innerhalb der Erzählung zu stopfen. Ein wenig Geduld ist also sicherlich gefragt, um eine Bindung zum Film aufzubauen und gleichzeitig der immer wieder innerhalb kürzester Zeit unterbrochenen Handlung zu folgen.

Es ist ein Drahtseilakt, den nur ausgewählte Regisseure beherrschen, Van Dormael ist offensichtlich einer davon. Die vielen Szenefetzen sind allesamt einem bestimmte Motiv unterworfen und besitzen damit im Zeitverlauf Wiedererkennungswert. Besonders auffallend jedoch ist die überwältigende Inszenierung und Optik, das Spiel mit Farben und Tönen. Dazu werden mitunter auch zahlreiche weltbekannte Musikeinspieler von Buddy Holly, den Eurythmics oder gar Nena bemüht, die wahrscheinlich in praktisch jedem anderen Film deplatziert und aufdringlich gewirkt hätten. Hier jedoch verstärken sie den Eindruck des Zuschauers nur noch und lassen ihn weiter in diese gänzlich unbekannte Welt, einer Mischung aus Traum und Realität, eintauchen. Die Beeinflussung des Zuschauers findet damit auf zahlreichen anderen Ebenen statt als nur auf Handlung und Hauptfiguren und vereinzelt manipulierenden Musikeinspielern. Es entwickelt sich ein regelrechter Rausch und man weiß gar nicht so recht, wieso man nun so begeistert davon ist.

Ihren Teil dazu tragen mit Sicherheit auch die Darsteller bei, allen voran Jared Leto, der sich in den vergangenen Jahren eher rar machte im Schauspielbusiness und lieber mit seiner Band 30 Seconds to Mars durch die Stadien dieser Welt tourte. Sage und schreibe zwölf verschiedene Versionen des Charakters Nemo Nobody spielt Leto im Film und weiß zu überzeugen. Doch auch Sarah Polley (2008 verdientermaßen für ihre Regiearbeit zu "An ihrer Seite" für einen Oscar nominiert) und sogar Diane Kruger gelingt es, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Wirklich im Gedächtnis bleiben wird einem wohl keine Leistung, was aber vielmehr mit der Art von Film zu tun hat und damit, dass sich ein Schauspiel, das sich perfekt in das Gesamtwerk integriert und nicht zu sehr davon ablenkt, als passender herausstellte wie eine zu dominierende Haltung. Dies heißt jedoch mitnichten, dass nahezu jeder für die Rollen hätte gecastet werden können, denn vor allem die Glaubwürdigkeit der Charaktere hängt natürlich maßgeblich davon ab, wie überzeugend die Darsteller sind. Ein besonderes Lob verdienen in dieser Hinsicht die jungen Schauspieler, die für die Kinder- und Teenagerrollen von Nemo, Anna (bezaubernd: Juno Temple) oder Elise engagiert wurden und einen Großteil des Films glänzen dürfen.

Die große Faszination, die von "Mr. Nobody" ausgeht, hat jedoch vor allem mit der Frage zu tun, was geschehen wäre, wenn man diesen oder jenen Pfad eingeschlagen hätte und nicht den, für den man sich letzten Endes entschieden hatte. Dazu wird auch das Konzept des Schmetterlingeffekts bemüht, wodurch man sich manchmal zwangsläufig an den gleichnamigen Film erinnert fühlt. "Mr. Nobody" jedoch ist deutlich subtiler als der teils sehr plakative "Butterfly Effect" und auch sonst in allen Belangen deutlich überlegen. Das bedeutet jedoch nicht, dass "Mr. Nobody" frei von Fehlern ist. Insbesondere gegen Ende der knapp zweieinhalbstündigen Laufzeit wird sich der Zuschauer fragen, ob es tatsächlich nötig war, diese oder jene alternative Realität derart exzessiv zu thematisieren, nur damit man anhand der überbordenden Optik zeigen kann, wohin die 40 Millionen Euro geflossen sind. So manche Szene ist auch aus plottechnischen Gründen im Nachhinein derart nebensächlich, dass man nicht umhin kommt, sich eine zumindest geringfügig verkürzte Laufzeit zu wünschen. Glücklicherweise bietet der Film in dieser Hinsicht aber erfrischend wenig Angriffsfläche.

Fazit

Aus "Mr. Nobody" ist ein berauschendes Experiment geworden, das der fesselnden Frage nachgeht, was geschehen wäre, wenn man dieses oder jenes getan hätte. Sowohl Inszenierung als auch Optik sind perfekt, auch wenn sie in wenigen Momenten zu sehr Selbstzweck zu sein scheinen. Nicht zuletzt die durch die Bank guten schauspielerischen Leistungen sorgen am Ende jedoch dafür, dass das Konzept voll aufgeht.

Andreas K. - myFanbase
10.07.2010

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