Bewertung
Debra Granik

Winter's Bone

"There's stuff that you're gonna have to get over being scared of."

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Inhalt

Die 17 Jahre alte Ree Dolly (Jennifer Lawrence) ist alleine verantwortlich für ihre verarmte Familie, bestehend aus einer jüngeren Schwester, einem kleinen Bruder und einer psychisch kranken Mutter. Als ihr flüchtiger Vater, ein berühmt-berüchtigter lokaler Crystal-Meth-Produzent, ihr Haus und Land bei der Polizei als Kaution hinterlegt, muss sie ihn finden, um es nicht zu verlieren. Für Ree beginnt eine höchst gefährliche Reise durch das örtliche kriminelle Netzwerk, bei der sie grauenhafte Entdeckungen machen muss.

Kritik

Es gibt wahrlich genug Gründe, sich an den Kopf zu fassen, wenn die Nominierungen für die großen Filmpreise veröffentlicht werden. Da werden Filme aufgeführt, die es aufgrund mangelnder Qualität definitiv nicht verdient haben. Da wird man das Gefühl nicht los, als würden so manche Schauspieler lediglich aus politischen Motiven auf der Nominierungsliste landen und am Ende gewinnen zu 95 Prozent ohnehin immer die falschen. Am Ende verfolgt man die Verleihung aber natürlich trotzdem, und sei es nur aus Hoffnung auf die 5 Prozent, oder weil für manche Filme und Schauspieler, die man selbst wahnsinnig gut findet, allein eine Nominierung schon ein derart großer Triumph ist, dass man die kleinen Momente herbeisehnt, wo die Beteiligten ihre wenigen Sekunden wohlverdiente Aufmerksamkeit erhalten.

Einen dieser Momente wird es am 16. Januar im Zuge der Verleihung der Golden Globes 2011 geben, wenn die Kamera kurz das Gesicht von Jennifer Lawrence einfängt, ihres Zeichens Hauptdarstellerin in der Romanadaption "Winter's Bone" und die schönste Überraschung bei der Verlautbarung der Nominierten für die beste Hauptdarstellerin in einem Drama. Denn Lawrences furiose und kraftvolle Darstellung der Ree ist wahrlich eines der Highlights des Filmjahres. Auf Rees Schultern scheint nicht nur mal so eben die Zukunft ihrer Familie zu lasten, sie ist zudem die Einzige, die tatsächlich den Mut dafür aufbringt, sich durch das Elend zu kämpfen und auf ein Leben zu hoffen, das zumindest nicht noch schlechter wird als das, das sie momentan führen muss. Auf der einen Seite unterscheidet sie sich damit deutlich von ihrem lethargischen und unfähigen Umfeld, auf der anderen Seite fügt sie sich durch Gestik, Mimik (ein Gesicht, aus dem das Leben jegliches ansetzende Lächeln entfernte) und Sprache derart nahtlos in das Lokalkolorit, dass sich jede Frage danach, wie real der Filmcharakter eigentlich ist, erübrigt.

Auch wenn Lawrence den Film wie es scheint mühelos allein stemmen könnte, wird sie von zahlreichen Schauspielern unterstützt, die durch die Bank überzeugen können. Insbesondere die zwei bekannten Seriendarsteller John Hawkes (u.a. "Deadwood" und "Lost") und Garret Dillahunt können dem Film ihren Stempel aufdrücken, sei es als durch und durch furchteinflößender und undurchsichtiger Bruder des Gesuchten oder als Sheriff, der versucht, zumindest ein wenig Ordnung herzustellen. Dazu gesellt sich Dale Dickey als grimmige Ehefrau eines Redneck-Gangsters, die anders als bei ihrer Rolle als Meth-Abhängige in "Breaking Bad" nun so gar keinen Grund für Erheiterung gibt. Doch das ist bei weitem nicht alles, was "Winter's Bone" zu bieten hat. Und aus eben jenem Grund ist die zusätzliche Aufmerksamkeit durch die Golden Globes, die dieses kleine aber feine, im Ozark-Plateau angesiedelte Indie-Drama erhält, auch derart verdient. Keine Frage, auch zuvor wurde mit prestigeträchtigten Nominierungen und sogar Auszeichnungen (unter anderem den wichtigsten Preis beim diesjährigen Sundance Festival sowie zwei Preise bei der Berlinale) nicht gegeizt, aber "nominiert für einen Golden Globe"-Aufkleber auf DVD und Blu-ray funktionieren teilweise eben doch besser - unabhängig davon, ob die Konzentration auf Globes und Oscars aus Qualitätsgründen nun tatsächlich sinnvoll ist.

Denn der Film, mit einem vergleichsweise geradezu mickrigen Budget von zwei Millionen US-Dollar ausgestattet, funktioniert auch vor allem als Milieustudie. In den Ozark Mountains, einer Hochlandregion mitten in den USA, herrscht nicht gerade selten teils extreme Armut vor. Um aus dem Elend zu entfliehen, greifen viele zu Drogen, insbesondere zu Crystal Meth, und zerstören dadurch ihre eigene Gesundheit, auch äußerlich sichtbar. Meth wirkt fast wie ein eigener Filmcharakter, der überall seine Finger mit im Spiel hat und für Korruption und regelrechte Paranoia sorgt. Kriminalität ist dort oft an der Tagesordnung. Wer "Frozen River" mit der großartigen Melissa Leo aus dem Jahr 2008 gesehen hat, kann sich einen ungefähren Eindruck davon machen, welche Stimmung "Winter's Bone" transportiert, denn nicht nur in dieser Hinsicht gibt es einige Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Filmen. Durch eben dieses Milieu muss sich Ree, ein gerade mal 17 Jahre altes Mädchen, durchkämpfen und Fragen stellen, die niemand hören will. Hier wird eine Kultur dargestellt, wo Leute ihre eigenen Regeln aufstellen, ihre eigenen Gesetze machen und unter sich bleiben. Da bleibt kein Platz für Außenseiter oder gar für Angehörige wie Ree, die deren Leben in Frage stellen.

Logisch, dass die Konfrontation Rees mit derart geballter Kriminalität eine Bedrohlichkeit herbeiführt, die den Film zu einem Thriller macht, der ohne Actionelemente auskommt und sich stattdessen auf die augenscheinlich simpelsten Elemente stützt. Hier eine kleine Geste, dort eine doppeldeutige Bemerkung, hier das Auftauchen eines Charakters im Hintergrund. Dazu kommt, dass viele Darsteller bisher keinerlei schauspielerische Erfahrung hatten und tatsächlich aus genau dieser Gegend kommen, um den Realitätseindruck zu verstärken. "Winter's Bone" erlaubt so einen präzisen Einblick in das tägliche Elend und zieht Hauptcharakter und Zuschauer gleichermaßen mit sich in die Tiefe. Es gibt keine Verschnaufpause und schon gar keine Auflockerung, weswegen man die gesamte Laufzeit über gebannt dem Geschehen folgt.

Fazit

"Winter's Bone" ist ein eindrucksvolles und schwer verdauliches Stück Indie-Kino. Angeführt von einer alles und jeden überragenden Jennifer Lawrence wird der Beweis angetreten, dass es weder ein großes Budget noch große Namen braucht, um einen der besten Filme der letzten Jahre abzuliefern.

Andreas K. - myFanbase
29.12.2010

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