Bewertung
Andres Veiel

Wer wenn nicht wir

"Wir gehen grausam mit uns selbst um, jeder, man zwingt uns, getrennt; und ein Ergebnis wird sein: daß wir mit jedem andern genauso grausam und kalt verfahren. Vielleicht hat mir genau das gefehlt, egal, jetzt hab ich's, bis in die Knochen." – Gudrun Ensslin in einem Brief aus dem Gefängnis an den ebenfalls einsitzenden Andreas Baader

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Inhalt

Jahre vor der Formierung der Roten Armee Fraktion studieren Bernward Vesper (August Diehl) und Gudrun Ensslin (Lena Lauzemis) Anfang der 60er Jahre in Tübingen. Vesper ist der Sohn des NS-Dichters Will Vesper und verteidigt die Literatur seines Vaters, obwohl er selbst die deutsche Literatur erneuern und die Gesellschaft verändern will. Als er auf Ensslin trifft, ist dies der Beginn einer leidenschaftlichen und zerstörerischen Liebe. Gemeinsam gründen sie den Verlag Studio Neue Literatur, geraten jedoch bald in finanzielle Probleme; gleichzeitig hat Vesper eine Affäre nach der anderen. Doch Vesper und Ensslin können weder miteinander noch ohne einander leben.

1964 wollen Vesper und Ensslin in West-Berlin einen Neuanfang starten. Dort treten sie mit der linken Schriftsteller- und Künstlerszene in Kontakt und treffen schließlich auf Andreas Baader (Alexander Fehling). Ensslin beginnt eine Affäre mit Baader und findet Gefallen an dessen radikalem Aktionismus.

Kritik

Sieht man sich die unzähligen Bücher und Filme an, die sich mit dem Thema RAF beschäftigen, kann man wohl durchaus eine gewisse Faszination konstatieren, die dieser Gruppierung entgegen gebracht wird. Es scheint paradox, schließlich haben die Taten der RAF über 30 Menschenleben gefordert, die bei Geiselnahmen, Überfällen oder Bombenanschlägen getötet wurden. Dennoch scheint das Phänomen des deutschen Terrorismus immer wieder Interesse bei der Allgemeinheit und vor allem bei den Filmemachern zu wecken, sodass nur drei Jahre nach Uli Edels für den Oscar nominierten Spielfilm "Der Baader Meinhof Komplex" ein weiteres Drama in die Kinos kommt, das sich diesem Thema widmet.

Wie Andreas Veiel selbst sagt, war es für ihn wichtig, das "schon oft Gesagte hier neu und anders dar[zu]stellen". So beleuchtet er die Geschichte aus einer neuen Perspektive und beschäftigt sich vielmehr mit den Gründen für die Rebellion und Radikalisierung, anstatt den Terror selbst zu thematisieren. Veiel interessieren die Menschen hinter den Namen Bernward Vesper, Gudrun Ensslin und Andreas Baader, ihre Vorgeschichten und Einflüsse, ihre Beziehungen zueinander. Im Mittelpunkt stehen dabei vor allem Vesper und Ensslin und deren destruktive Liebesbeziehung, die über Jahre lang ein ständiges Auf und Ab erlebte. Dabei schafft es Veiel, der als erfahrener Dokumentarfilmer viele Recherchen über Vesper, Ensslin und Co. anstellte, dem Zuschauer die Personen durchaus näher zu bringen. Vespers Energie und sein Drang, die lethargische deutsche Gesellschaft verändern zu wollen, sind nachvollziehbar, nicht zuletzt wegen der Problematik mit seinem Vater, den er jahrelang zu verteidigen versucht, bis er schließlich einsieht, dass er ein judenfeindlicher Nationalsozialist war. Dieses ambivalente Verhältnis zu seinem Vater, welches Vesper später in seinem unvollendeten Buch "Die Reise" aufarbeitete, ist prägend für ihn und macht viele seiner Einstellungen verständlich.

Doch während es bei Vesper nie zu einer Radikalisierung kam, da er die Veränderung über Pamphlete, über Essays und über Literatur herbeiführen und so den Intellekt der Gesellschaft umgestalten wollte, sehnte sich Ensslin nach Taten, nach Umsturz, nach mehr als nur Worten. Die von Lena Lauzemis hervorragend dargestellte Ensslin ist die Triebfeder des Films, deren Liebesbeziehungen zu Vesper als auch später zu Baader oft sehr vernunftwidrig erscheinen. Zunächst duldet sie jahrelang Vespers Affären aus Angst, ihn zu verlieren. Nach mehreren Trennungen und Versöhnungen dann der Umzug nach West-Berlin und die Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Felix. Als Ensslin dann auf Andreas Baader trifft, ist sie sofort fasziniert von dessen extremen, absoluten Ideen. Dabei ist die Beziehung zwischen den beiden auch oft von Gewalt geprägt, was Ensslin jedoch nicht daran hindert, bei ihm zu bleiben. Veiels Charakterzeichnung zeigt Ensslin hier zwar als eine Frau, die für ihre politische Überzeugung alles tut, für die es jedoch auch ein Opfer bedeutet, ihr Kind zurückzulassen. Generell schafft Veiel es sehr gut, die Zwiespältigkeit der beiden Figuren Vesper und Ensslin darzustellen – natürlich nicht zuletzt dank seiner talentierten Hauptdarsteller –, wobei Baader ein wenig eindimensional wirkt, was aber natürlich auch daran liegt, dass er erst relativ spät im Film erscheint.

Veiels Inszenierung unterstützt dabei die turbulente Entwicklung seiner Charaktere. So werden immer wieder Originalaufnahmen eingespielt, wie etwa von den Schüssen auf Benno Ohnesorg 1967 oder vom Vietnamkrieg, die versuchen, die politische Stimmung der damaligen Zeit zu transportieren und die Beweggründe für Vespers und Ensslins Veränderungsdrang deutlich zu machen. Doch obwohl Veiel so eine stärkere politische Dimension hinzufügt, bleibt "Wer wenn nicht wir" vor allem ein Liebesdrama, dessen Geschichte jedoch sehr eng mit der Entstehung der RAF verbunden ist und allein deswegen aus dem generellen Rahmen fällt.

Fazit

"Wer wenn nicht wir" ist ein gutes Drama über die Leben von Bernward Vesper und Gudrun Ensslin, über die Gründe politischer Radikalisierung im Allgemeinen und die Zerstörung, die daraus entstehen kann. Veiel gelingt es, eine Balance zwischen den historischen Fakten und der für einen Spielfilm nötigen Dramaturgie zu halten und kreiert vor allem dank seiner überzeugenden Hauptdarsteller ein sehenswertes, aber nicht herausragendes Werk.

Maria Gruber - myFanbase
27.02.2011

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