Bewertung
Gaby Dellal

Angels Crest

"I'm so...so sorry."

Foto: Copyright: 2012 Magnolia Pictures
© 2012 Magnolia Pictures

Inhalt

Ethan (Thomas Dekker) möchte mit seinem dreijährigen Sohn Nate einen schönen Tag in den vollgeschneiten Bergen verbringen. Als Ethan auf ein paar Hirsche aufmerksam wird, lässt er den schlafenden Nate im Auto und nimmt deren Verfolgung auf. Wenige Minuten später kehrt er zum Wagen zurück, nur um festzustellen, dass Nate verschwunden ist. Trotz intensiver Suche durch die hiesige Polizei sowie Ethans Freunde und Nachbarn, kann später nur noch die Leiche Nates geborgen werden. Nicht nur Ethan, der sich die Schuld für Nates Tod gibt, sondern auch Nates Mutter, Ethans Ex-Frau und Vollblut-Alkoholikerin Cindy (Lynn Collins), sowie das gesamte Umfeld, unter ihnen Ethans bester Freund Rusty (Joseph Morgan), trifft die Schreckensmeldung mit ungeahnter Vehemenz. Während der Staatsanwalt Jack (Jeremy Piven) die Ermittlungen aufnimmt, ziehen die Einwohner von Angels Crest ihre eigenen Schlüsse aus der Tragödie und versuchen, ihren Alltag zu meistern.

Kritik

Man kommt nicht umhin, bei "Angels Crest", der Filmadaption des gleichnamigen Romans aus der Feder von Leslie Schwartz, zumindest in vereinzelten Szenen an "Winter's Bone" oder "Frozen River" zu denken. Das Setting ist ein ganz ähnliches, auch hier wirkt die Winterkulisse sehr dominant. Darüber hinaus ist das dargebotene Elend, das alle Charaktere gemein haben, auch bereits bei den Werken, die den jeweiligen Hauptdarstellerinnen Jennifer Lawrence und Melissa Leo von allen Seiten Lob einbrachten, ein wichtiger Bestandteil. Damit sind die Gemeinsamkeiten aber leider bereits zu Ende. Dazu kommt, dass "Angels Crest" auch dann, wenn es sich deutlich an den beiden genannten Filmen zu orientieren versucht, nicht zu überzeugen weiß, sodass am Ende die Enttäuschung ob des ungenutzten Potentials, das die Vorlage durchaus geboten hätte, überwiegt.

Dabei macht das aktuelle Werk von Gaby Dellal vor allem zu Beginn richtig Laune. Durch den Start in den gemeinsamen Tag von Ethan und Nate, den der Zuschauer hautnah miterleben darf, bekommt er sehr schnell Zugang zu Ethan, der sich liebevoll und fürsorglich um seinen Sohn sorgt. Auch das Winter-Setting wird durch den Ausflug der beiden und der Verfolgung der Hirsche durch Ethan und wohin diese ihn treibt, auf beeindruckende Art und Weise eingeführt. Als dann auch noch Nate verschwindet und niemand weiß, ob ihm was zugestoßen ist und vielleicht sogar jemand ihm was angetan hat, wird auch noch für eine gehörige Portion Spannung gesorgt. Das eigentlich Schlimme an der Sache ist nur eines: Sie ist nach 23 Minuten vorbei. Man hätte einen Kriminalfall aufziehen und dabei das kleine Städtchen, in dem die Handlung spielt, mitsamt ihren Einwohnern zum Mittelpunkt machen können. Ein wie auch immer gearteter Ermittler könnte immer tiefer in den Dorffilz eindringen und dabei erschreckende Entdeckungen machen. Nur als Beispiel für etwas, das in einer derartigen Situationen eigentlich immer gut funktioniert. Stattdessen: nichts.

Nate ist tot, erfroren. Damit fällt die Kriminalkomponente schon einmal weg, auch wenn man sein Möglichstes tut, um rund um Ethan, der den Tod seines Sohnes leichtsinnig in Kauf genommen hat, eine Story aufzubauen. Sie funktioniert aber nicht, was vor allem auch daran liegt, dass der von "Entourage"-Star Jeremy Piven dargestellte Staatsanwalt Jack überhaupt nicht den Biss hat, sich der Tragödie in dem Maße anzunehmen, den sie verdient gehabt hätte. Stattdessen wird durch allerlei Andeutungen, die eher à la Holzhammer präsentiert als subtil aufgearbeitet werden, versucht, eine Erklärung für seine lethargische und geradezu desinteressierte Herangehensweise zu finden sowie eine Geschichte rund um seine Vergangenheit aufzubauen. Doch der Versuch scheitert, weil es bei Andeutungen bleibt und offensichtlich gar nicht geplant ist, Jack Profil zu verleihen. Aber wenn schon das Potential der Story gar nicht ausgeschöpft wird und durch die fehlende Aufarbeitung durch einen (zumindest vermeintlich) Außenstehenden auch noch das verbindende Element fehlt, wie soll das dann was werden?

Drehbuchautorin Catherine Trieschmann, die die Romanvorlage für den Film umgeschrieben hat, und Regisseurin Gaby Dellal sehen als verknüpfendes Element aber ohnehin nicht die (fehlende) Kriminalgeschichte an, sondern vielmehr die Beziehung der einzelnen Figuren untereinander. Wenn man diesen Ansatz statt des anderen verfolgt, sollte er aber wenigstens konsequent zu Ende gedacht werden. Hier sollte eigentlich die Devise lauten, den Charakteren genug Facetten zu geben, damit man mit ihnen fühlen kann, und sich im ersten Schritt auf einige wenige zu konzentrieren, damit der unsichtbare Faden, der sie alle miteinander verbindet, deutlich wird. Anschließend kann man die Zahl der Personen erweitern. Stattdessen wird mit farb- und gesichtslosen Charakteren um sich geworfen, die allesamt gar nicht die Möglichkeit bekommen, sich auszuzeichnen. Vor allem aber sind sie oft nur eine Randnotiz, da sie mit der Hauptstory wenig bis teilweise gar nichts zu tun haben, sodass man sich durch sie eher gelangweilt fühlt, weil sie nichts Nennenswertes zum "großen Ganzen" beitragen.

Hier die nette Bedienung in einem Diner (Mira Sorvino), da das lesbische Paar (u.a. Kate Walsh), das nicht einen Augenblick glaubwürdig wirkt (hat Gaby Dellal als Vorbereitung auf den Film auch nur ein lesbisches Paar näher beobachtet?) oder auch die alkoholkranke Ex-Frau und Mutter (Lynn Collins). Wenn selbst letztere 90 Prozent des Films zu sehen ist, wie sie diverse Alkoholika ihrem Körper zuführt und entweder komplett hysterisch oder geradezu depressiv reagiert, muss man sich fragen, wer, wenn nicht sie mehr zum Gelingen beitragen sollte als ein einziges Klischee zu sein. Aber sie reiht sich ein in die Riege an Charakteren, die sich in ihrem eigenen Elend suhlen, alles um sich herum zerstören und in den Abgrund reißen und dabei so schrecklich uninteressant und eindimensional wirken, dass man unmöglich Interesse für sie aufbringen kann. Über 70 Minuten hinweg ändert sich im Grunde lediglich der Ort des Geschehens, an der dauerdepressiven Grundstimmung, die in dieser Form auch gar nicht mal sonderlich glaubwürdig, da zu einseitig ist, ändert sich nichts. Niemand erwartet, dass der Film darüber, wie ein kleines Kind erfriert und danach versucht wird, damit umzugehen, tatsächlich heiter ist. Das Problem liegt eher darin, dass alle gleich reagieren und zwischen den Charakteren kaum Nuancen zu erkennen sind, sodass man auch am Ende mitunter echte Schwierigkeiten hat, sie auseinander zu halten. Selbst Thomas Dekker ("The Secret Circle"), der zu Beginn durch die zerbrechliche und am Boden zerstörte Art wirklich einen guten Eindruck hinterlässt, verkommt zusehends zu einem undefinierten Individuum in einer großen Masse Einheitsbrei.

Der Score versucht zwar alles, um die eher depressive Grundstimmung zu halten, ist aber viel zu präsent, um einzelne Szenen hervorzuheben statt sie zu auf störende Art und Weise zu übertünchen. Als ob das nicht alles schon genug wäre, offenbart Dellal auch noch kinematographische Schwächen. Aus dem Winter als eigene Filmfigur ist schon allein deshalb nichts geworden, weil er nicht einmal annähernd so eindrucksvoll in Szene gesetzt ist wie bei den Vorbildern, an denen man sich zu orientieren scheint. Nach dem Moment mit den Hirschen am Anfang vertraut man lieber auf Aufnahmen, die genau dann weitläufig sind, wenn man gespannt auf die Reaktion in den Gesichtern der Charakteren ist, oder genau dann das Blickfeld stark einschränken, wenn Zeit gewesen wäre für eine schöne Landschaftsaufnahme, die vielleicht auch die Bedrohlichkeit der Umgebung besser demonstriert hätte. Die Schwächen durch eine viel zu hektische Schnittfolge zu kaschieren hat auch nicht funktioniert, im Gegenteil.

Fazit

23 Minuten durchaus ansehnliches Indie-Kino, 70 Minuten Langeweile - Gaby Dellal macht bei "Angels Crest", der Filmadaption zum gleichnamigen Roman, erst recht viel richtig, verirrt sich dann aber in monotoner Charakterzeichnung und einem fehlenden roten Faden, die die inszenatorischen Schwächen nur noch deutlicher zu Tage treten lassen. Was genau sich gestandene TV-Größen dabei gedacht haben, Teil dieses Werks der verschenkten Möglichkeiten zu werden, ist völlig unklar.

Andreas K. - myFanbase
21.01.2012

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