Bewertung
Alexander Payne

Descendants, The - Familie und andere Angelegenheiten

"Fuck you. She's dead, and fuck you."

Foto: Copyright: 2011 Twentieth Century Fox
© 2011 Twentieth Century Fox

Inhalt

Vordergründig lebt der wohlhabende Anwalt Matt King (George Clooney) zusammen mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern ein traumhaftes Leben auf der paradiesischen Insel Hawaii. Doch der Schein trügt, denn als seine Frau nach einem Bootsunfall im Koma liegt, wird mehr und mehr deutlich, was für ein unglückliches Leben Matt eigentlich führte: Um seine Kinder hat er sich schon lange nicht mehr richtig gekümmert und auch seine Ehe hat schon bessere Zeiten gesehen. Als er dann noch erfahren muss, dass seine im Koma liegende Frau eine Affäre mit einem verheirateten Immobilienmakler hatte, gerät Matts Leben mehr und mehr ins Wanken. Zusammen mit seinen Töchtern Scottie (Amara Miller), Alexandra (Shailene Woodley) und deren Freund Sid (Nick Krause) macht sich der von Trauer und Wut gezeichnete Matt auf die Suche nach dem Liebhaber seiner Frau, was ihn wieder enger zu seinen Töchtern bringt.

Kritik

Regisseur Alexander Payne hat sich viel Zeit gelassen für sein neuestes filmisches Werk, ist sein letztes - das brillante Wein-Trinker-Drama "Sideways" - doch nun schon fast acht Jahre her. Damals schickte er Charaktermimen Paul Giamatti auf einen melancholischen, tief zu Herzen gehenden Trip durch die amerikanische Weinlandschaft und ergründete damit auf authentisch-ehrliche Weise das Innenleben einer zerrissenen Männerfigur. Starke Männerfiguren haben es Payne generell angetan, so erforschte er männliche Befindlichkeiten auch in seinem ebenfalls äußerst empfehlenswerten tragikomischen Werk "About Schmidt", in der ein kaum wiederzuerkennender Jack Nicholson in der Hauptrolle brillierte. Nun also der dritte Teil seiner inoffiziellen "Traurige-Männer-Trilogie", in dem Megastar George Clooney versucht, mit den schmerzhaften Widrigkeiten des Lebens zurechtzukommen. Doch das für fünf Oscars nominierte leise Drama "The Descendants" hat weitaus mehr zu bieten als einen groß aufspielenden Clooney: Payne thematisiert wieder einmal das Leben an sich und das auf eine zutiefst rührende, ehrliche, unverkitschte Art und Weise, mit dem richtigen Gespür für die kleinen Zwischentöne.

Es ist ein Bootsunfall, der das Leben des hawaiianischen Anwalts Matt King grundlegend verändert. Seine Frau, die sich bisher um seine zwei Töchter gekümmert hat, liegt im Koma und plötzlich muss Matt Verantwortung übernehmen in einer Rolle, die ihm gänzlich fremd ist: als Vater. Das ist die recht einfache Ausgangsprämisse, aus der Payne aber eine komplexe Charakter- und Familienstudie macht, bei der es einerseits um Trauerbewältigung und andererseits um die Bedeutung von Familie geht. Die familiäre Dynamik ist schon länger aus der Balance geraten: Matt ist oft geschäftlich unterwegs, seine ältere Tochter Alexandra ist auf einer Privatschule auf einer gänzlich anderen Insel und kämpft gegen Alkohol- und Drogenprobleme an, und seine jüngere Tochter bringt sich mit ihrem losen Mundwerk immer wieder in Schwierigkeiten. Und Matts Frau hat, wie sich später herausstellt, eine Affäre mit einem verheirateten Mann.

Matt ist wütend, enttäuscht, will seine Frau zur Rede stellen, verstehen, warum sie das getan hat, warum sie ihn nicht mehr liebt, doch seine Frau kann nicht antworten, liegt im Koma und wird daraus auch nicht wieder erwachen. Einer der ergreifendsten Momente des Films resultiert auf dieser ambivalenten Situation: Matt rennt ins Krankenhaus, beginnt, seiner Frau Vorwürfe zu machen, schreit sie an, will, dass sie ihm eine Begründung für ihr Verhalten liefert, was sie natürlich nicht kann. Hier zeigt sich die komplexe Lebenssituation, in der dieser gebrochene Mann steckt. Er ist dabei, seine Frau zu verlieren, die er einst abgöttisch liebte, muss gleichzeitig ihren Vertrauensbruch verarbeiten, feststellen, dass ihre Ehe am Ende war und gleichzeitig auch endlich mal ein Vater für seine Töchter sein. Von dieser vertrackten Situation und dem Umgang damit lebt der Film.

Payne gelingt es fast mustergültig, tief in seinen Hauptcharakter einzutauchen, ihn lebendig werden zu lassen, mit seinen Stärken und Schwächen, er nimmt sich viel Zeit für seine Figuren, erzählt in einem langsamen, fast schleichenden, ruhigen Erzähltempo von den Schwierigkeiten des Lebens, darüber, weiterzuleben und darüber, Rückhalt in der eigenen Familie zu finden. Denn die Suche nach der Affäre von Matts Frau ist nicht nur dazu da, Matt die Situation besser verstehen zu lassen, sie ist auch dazu da, ihn und seine Töchter wieder näher zueinander zu bringen. Diese Interaktion zwischen Matt und seinen Töchtern ist dann auch das Herzstück dieses Films, ihr langsames Zusammenwachsen ist nicht nur rührend und mit dem richtigen Gespür für die kleinen Momente erzählt, es ist oftmals auch wirklich humorvoll, was an der direkten Art der beiden jungen Frauen liegt und dem Umstand, dass man es hier mit wirklich echten, ungekünstelten Figuren zu tun hat, die wie echte Menschen handeln. Payne gelingt es, all seinen Figuren Tiefe zu verleihen, auch dem auf dem ersten Moment recht unsympathisch wirkenden Freund von Alexandra, der auf der ganzen Reise der Familie King dabei ist und meist wirklich unpassende Dinge von sich gibt, nach und nach aber auch eine Entwicklung durchmacht und so niemals Gefahr läuft, als Witzfigur zu enden.

Die Authentizität in der Charakterzeichnung ist einerseits dem formidablen Drehbuch, andererseits natürlich auch dem groß aufspielenden Darstellerensemble zu verdanken, das angeführt wird von einem George Clooney, der auf der Höhe seines Schaffens ist und eine beeindruckende Performance bietet, die dominiert wird von den kleinen Gesten und einem ruhig-nuancierten Spiel, bei dem jede Emotion spürbar wird. Eine große Leistung, die nicht hoch genug bewertet werden kann. Dass dieser Film aber nicht zur reinen Clooney-Show wird, ist den anderen, perfekt besetzten Darstellern zu verdanken, bei denen vor allem noch Shailene Woodley und Amara Miller hervorgehoben werden müssen, die als Matts Töchter gleichermaßen in den humorvollen, wie den dramatisch-traurigen Momenten vollständig überzeugen. Woodley, die bisher fast nur bekannt ist aus der Teen-Drama-Serie "The Secret Life of the American Teenager", empfiehlt sich hier eindeutig für höhere Aufgaben und bei Miller ist es sogar erst die erste Filmrolle überhaupt - ein beeindruckendes Debüt.

Ein weiterer zentraler Faktor, der zum Gelingen dieses Films beiträgt, ist die Insel Hawaii selbst. Dieses Paradies mit seinen wunderschönen Stränden und Landschaften bildet einen optimalen Kontrast, zu den alles andere als paradiesischen Umständen, der sich die Familie King ausgesetzt sieht. Trauer ist Trauer, Familie ist Familie, egal ob in Hawaii oder Recklinghausen. Der Film endet dann mit einem wunderbar-passenden Schlussbild, das Hoffnung verspricht und beweist, dass es immer irgendwie weitergehen muss, egal, wie sehr das Leben manchmal auch schmerzen mag.

Fazit

Die fünf Oscar-Nominierungen sind gerechtfertigt, erzählt Regisseur Payne hier doch eine kleine, perfekt inszenierte und gespielte Geschichte über das Leben, die Familie, den Schmerz und die Bedeutung des familiären Zusammenhalts. Ein ruhiges, gänzlich unaufgeregtes filmisches Erlebnis, das berührt und von einer intensiven melancholischen Grundstimmung getragen wird, die niemals kitschig oder pathetisch wirkt, sondern immer echt und aufrichtig.

Moritz Stock - myFanbase
31.01.2012

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