Bewertung
Steve McQueen

Shame

"We're not bad people. We just come from a bad place."

Foto: Copyright: 2012 PROKINO Filmverleih GmbH
© 2012 PROKINO Filmverleih GmbH

Inhalt

Der in New York lebende Brandon (Michael Fassbender) hat einen guten Job, eine tolle Wohnung und ein scheinbar erfülltes Leben. Doch Brandon ist geplagt von einer tiefsitzenden, seinen Alltag komplett kontrollierenden Sexsucht, der er mehrmals am Tag fröhnt. Mit dem plötzlichen Auftauchen seiner Schwester Sissy (Carey Mulligan) muss Brandon auf einmal seine Gewohnheiten ändern und versuchen, seine Sucht geheim zu halten.

Kritik

In einem Interview mit dem Onlinemagazin Collider erklärte Regisseur und Drehbuchautor Steve McQueen, dass das letztendliche Ziel von "Shame" nicht unbedingt die schonungslose Darstellung der zerstörerischen Kraft von Sex sei. Vielmehr sei es die komplexe Situation, in der sich der postmoderne Mensch heutzutage allgemein befindet: "Es geht nicht nur um Sexsucht. Momentan ist es ist schwierig ein Mensch zu sein. Ich wollte uns als zerbrechlich zeigen." Mit "Shame" geht McQueen tatsächlich diesen letzten Schritt und zeigt die Zerbrechlichkeit, die Selbstzerstörung, die ein Mensch durchlaufen muss, wenn er von der emotionalen Leere seiner Umgebung übermannt wird.

Im Zentrum der Geschichte steht der New Yorker Yuppie Brandon, der sicherlich nicht zufällig an den krankhaften Patrick Bateman aus "American Psycho" erinnert, allerdings in abgeschwächter Version und daher weitaus authentischer. Brandon ist emotional abgestumpft, hat keine bedeutungsvollen Beziehungen und kann dem Leben keinerlei tieferen Sinn abgewinnen. Er ist eine Figur, dem der Zuschauer Verständnis entgegenbringen kann, für den er Mitleid empfinden kann, ja mit dem er sich auf einer gewissen Ebene vielleicht sogar identifizieren kann. Brandon ist ein Mensch, der von seiner Sucht konsumiert wird, der keine Minute verbringen kann, ohne nicht an Sex zu denken, mehrmals am Tag onanieren muss und abends Internet-Pornographie ansieht und sich Prosituierte nach Hause holt. Doch das alles ohne wirkliche Befriedigung, ja vielmehr mit Nüchternheit, mit Schmerz. Denn letztendlich leidet er unter einer tiefen Einsamkeit, und versucht, diese durch körperliche Befriedigung zu kompensieren, was nie gelingen kann.

Eine sehr eigenartige, aber sehr besondere Beziehung wird zwischen den Geschwistern Brandon und Sissy aufgebaut, die vor allem dadurch interessant wird, dass letztere das komplette Gegenteil ihres Bruders ist: Brandon ist still und brodelt unter der Oberfläche, während Sissy laut und extrovertiert ist und verzweifelt nach menschlichem Kontakt sucht. Beide verlangen auf ihre Art nach bedeutsamen Beziehungen, können sie aber nicht eingehen. Das wird vor allem bei Brandon schmerzlich klar, als dieser mit seiner Kollegin Marianne schlafen will, es aber nicht kann. Der Moment, in dem Brandon Marianne abweist, da er keinen hochbekommt, ist sein zerbrechlichster und schamvollster, und die Schlüsselszene des Films. Denn die Scham, die als großes Schlagwort über dem Film steht, sitzt tief im Inneren dieses Mannes, der sich in einer Abwärtsspirale aus bedeutungslosem Sex befindet und dessen Verzweiflung immer größer wird.

Die gezielte Facettenlosigkeit Brandons, dessen charakterliche Leere widerspiegelt, wie sehr seine Sexsucht ihn entmenschlicht, weiß Hauptdarsteller Michael Fassbender absolut grandios darzustellen. Er verfällt nie dem Pathos, sondern spielt Brandon mit brutaler Ehrlichkeit, mit einer Verzweiflung, einer Depression, die man als Zuschauer in manchen Szenen förmlich greifen kann. McQueen weiß genau, wie er Fassbender inszenieren muss, um die maximale Wirkung zu erzielen, die Gefühlslosigkeit, die Kälte, die Härte des ganzen Geschehens. Gerade als Regisseur kann McQueen sein cineastisches Talent unter Beweis stellen und filmt "Shame" mit fast schon ästhetischem Kontrast zu seinem desolaten Inhalt. Dies kompensiert die storytechnische Einfachheit seines Drehbuchs sehr, doch es ist letztlich vor allem Fassbender, der als hochtalentierter und erbarmungsloser Charakterdarsteller alles aus diesem Drehbuch herausholt und eine Paradevorstellung abliefert, die den Film enorm aufwertet.

Fazit

"Shame" ist ein Film über Sucht, ein Film über Sinnleere, ein Film über die letzte potentielle Kraft familiären Zusammenhalts. Mit einem alles überragenden Hauptdarsteller und einer sehr beeindruckenden Inszenierung gelingt es Steve McQueen, die Tiefen der menschlichen Psyche sowohl faszinierend als auch schockierend darzustellen und liefert ein sehenswertes Drama ab.

"Shame" ist ab dem 13. September 2012 auf DVD und Blu-ray erhältlich.

Maria Gruber - myFanbase
14.08.2012

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