Bewertung
Ang Lee

Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger

"Above all... it is important not to lose hope."

Foto: Copyright: 2012 Twentieth Century Fox
© 2012 Twentieth Century Fox

Inhalt

Piscine Molitor Patel (Suraj Sharma), genannt Pi, wächst im indischen Pondicherry als Sohn eines Zoodirektors auf. Seine Kindheit ist von zwei entscheidenden Umständen geprägt: Seiner Liebe und Faszination gegenüber den Tieren des Zoos und einer gewissen religiösen Desorientierung, im Zuge derer er sich jeder der großen Weltreligionen auf eine spezifische Weise zugehörig fühlt.

Im zarten Alter von 16 Jahren wird Pis Glaube auf die wohl denkbar härteste Probe gestellt: Nach einem tragischen Schiffsunglück, bei dem nicht nur seine gesamte Familie, sondern auch der Großteil der zu verschiffenden Zootiere ihr Leben verlieren, bleibt Pi als einziger menschlicher Überlebender auf dem pazifischen Ozean zurück. Gänzlich allein ist er jedoch nicht: Pi teilt sich das kleine Rettungsboot mit einem ausgewachsenen, ungezähmten bengalischen Tiger des Zoos, der den skurrilen Namen Richard Parker trägt.

Es beginnt die wohl gefährlichste als auch faszinierendste Zeit seines noch jungen Lebens – im tragischen Kampf um Leben und Tod, einem Konflikt zwischen Überlebensinstinkt und Moralansprüchen. Ein Tiger, ein Boot, ein Ozean, ein Junge. Und viel Raum, sich selbst zu finden.

Kritik

Ich habe mir "Life of Pi" aus zwei unterschiedlichen Motivationen heraus angesehen. Zum Einen war es der Ruf, der dem Film vorauseilte. Gehypt wurde er als der Oscar-Kandidat für das Jahr 2013 schlechthin, was nach einer kurzen Betrachtung des Inhalts wohl auch nicht abwegig erscheint: Eine tragische Lebensgeschichte mit ausreichend Konfliktpotential und philosophisch-alternativem Ansatzpunkt, eine bei den Academy Awards immer gern gesehene Kombination. Zum Anderen war es Regisseur Ang Lee, der meine Aufmerksamkeit auf sich zog, steht doch der Schöpfer von so einfühlsamen Meisterwerken wie "Sinn und Sinnlichkeit" (1995) oder "Brokeback Mountain" (2005) von jeher für das stille Versprechen eines aussichtsreichen und denkwürdigen Kinoerlebnisses. Die Beweggründe, einen Film zu sehen, sind jedenfalls höchst variabel und ebenso individuell wie die Meinung des Zuschauers zum Gezeigten. Vielleicht hat jemand anderes eine Vorliebe für indische Kultur, sieht gerne Tierfilme oder ist bereits mit der gleichnamigen Romanvorlage von Yann Martel vertraut. Egal warum man "Life of Pi" eine Chance gibt, man sollte es in jedem Fall tun.

Auf den ersten Blick bietet der Film vor allem eins – spannende Unterhaltung. Trotz der Tatsache, dass der Ausgang des Abenteuers von vornherein aufgeklärt ist, ist er mitreißend. Pi Patel hat überlebt, erzählt in der Gegenwart einem kanadischen Romanautor (Rafe Spall) seine Geschichte. Der Weg ist also das Ziel des Films und Ang Lee schafft es auf grandiose Weise, jede Minute dieses Weges derart fesselnd zu gestalten, dass ein Wegsehen zu keinem Zeitpunkt in Frage kommt. Dass der Film, welcher bis dahin mit nur wenigen, scheinbar schlichten Elementen mehr als nur gut unterhalten konnte, gegen Ende eine philosophische Komponente erhält, eröffnet eine völlig neue Dimension und lässt das bisher Gesehene in anderem Licht erscheinen. "Life of Pi" avanciert damit vom kurzen Unterhaltungsvergnügen zum bedeutsamen Gedankenanstoß. Die Geschichte des jungen Pi Patel, der durch unglaubliche persönliche Willensstärke und die Freundschaft eines gefährlichen bengalischen Tigers 227 Tage auf hoher See überlebte, ist dazu da, besprochen und bedacht zu werden. Besonders, da nicht zuletzt so bedeutsame Themen wie Glaube, Hoffnung und der so viel diskutierte Sinn des Lebens thematisiert werden. Ang Lees Darstellung bleibt dabei bis zum Ende gänzlich wertungsfrei, lässt dem Zuschauer Raum für eigene Überlegungen.

Unabhängig von seinem hervorragenden Plot überzeugt der Film jedoch auch durch technische Vorzüge. Die 3D-Technologie, allgemein ebenso hochgelobt wie scharf kritisiert, wird hier sehr vorteilhaft zur Untermalung des filmischen Spiels eingesetzt. Man kann regelrecht "eintauchen" in Pis Unterwasser- und Fantasiewelten des pazifischen Ozeans, sich verlieren in der Tiefe des Abgrundes oder der Schönheit des nächtlichen Szenarios, in dem Traum und Realität des Jungen in nie dagewesener Weise zu verschmelzen scheint. Eine Umsetzung des Formats, die seit James Camerons hochgelobtem "Avatar – Aufbruch nach Pandora" nicht mehr so gut gelungen sein dürfte und sich in jeden Fall auf der großen Leinwand lohnt. Gelungen ist vor allem auch die Darstellung des Tigers, dem zweiten Protagonisten des Films. Gedreht wurde hier neben dem üblichen Aufgebot an Animationstechnik auch mit vier echten bengalischen Tigern, was sich deutlich in den intensiven Bootszenen bemerkbar macht. Diese sind an Realismus und Authentizität nicht zu übertreffen, wurde doch das Verhalten der echten Tiger bis ins kleinste Detail studiert und ideal umgesetzt.

Wie man merkt, hat "Life of Pi" seinen Ruf mehr als verdient und ist für mich das Kino-Highlight des Jahres 2012. Auch die hier erbrachten Leistungen von Schauspielern, Technikern und Regisseur Ang Lee werden mit Sicherheit im kommenden Jahr mit diversen Filmpreisen honoriert werden. Warum es sich also für jeden Einzelnen lohnt, den Gang ins Kino zu unternehmen und sich zwei Stunden von der Geschichte des Pi Patel bezaubern zu lassen, ist klar: Eine Erzählung, die fasziniert, eine Technik, die Meilensteine setzt und eine Idee, die jeder Einzelne in seinem eigenen Alltag wiederfinden wird.

Fazit

Ein grandioses Stück Kinogeschichte, das uns vor allem einen Glauben zurückgibt: nämlich den an Mut, Hoffnung und darüber hinaus grenzenlose Kreativität. Danke schön, Ang Lee!

Vinona Wicht - myFanbase
29.12.2012

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