Bewertung
Kathryn Bigelow

Zero Dark Thirty

"Who are you?" - "I'm the motherfucker that found this place, Sir."

Foto: Copyright: 2013 Universal Pictures
© 2013 Universal Pictures

Inhalt

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hat eine US-Eliteeinheit, bestehend aus Mitarbeitern der Geheimdienste und des Militärs (u.a. Jessica Chastain und Jason Clarke) im Verborgenen und auf der ganzen Welt verteilt ein Jahrzehnt lang auf ein Ziel hingearbeitet: Osama bin Laden, den Hauptverantwortlichen für die Anschläge und die seitdem meistgesuchte Zielperson, zu finden und zu töten. "Zero Dark Thirty" erzählt die in der Chronologie wichtigsten Ereignisse, die zur Tötung bin Ladens in der Nacht zum 2. Mai 2011 in seinem Anwesen in Pakistan führten.

Kritik

Ein Film wie "Zero Dark Thirty", die zweite Kooperation von Regisseurin Kathryn Bigelow und Drehbuchautor Mark Boal, die für ihre Arbeit an "Tödliches Kommando – The Hurt Locker" beide je mit einem Oscar ausgezeichnet wurden, ist prädestiniert dafür, zu polarisieren. Während sich die überwältigende Mehrheit der Kritiker darin einig ist, dass dies ein sagenhaftes Werk ist, das die größte Jagd auf eine einzelne Person, die es je gab, differenziert wiedergibt, erhoben sich zahlreiche Stimmen aus allen möglichen Lagern, die dem Film vorwerfen, Werbung für eine Neuwahl Barack Obamas zu machen oder alternativ die Foltermethoden der USA zu verherrlichen. Beides ist nicht der Fall.

Zunächst ist Obama bis auf eine kleine Szene aus einer Nachrichtenmeldung überhaupt nicht zu sehen. Ebenso wird der Beitrag, den er für die letzten Endes erfolgreiche Jagd nach bin Laden hatte, keineswegs unnötigerweise hochstilisiert. Dies ist bekanntlich auch gar nicht notwendig, weil es sich kein US-Präsident, egal aus welchem Lager er nun kommt, zu dieser Zeit erlauben konnte, eine derart öffentlichkeitswirksame Suche nach dem vermeintlich gefährlichsten Menschen der Welt nicht mit aller Macht zu forcieren. Die Folterszenen wiederum, der wohl größte Kritikpunkt, den Bigelow und Boal in den vergangenen Wochen und Monaten zu hören bekamen, sind definitiv vorhanden – und dies durchaus prominent unter anderem gleich zu Beginn des Films. Es ist mitnichten leicht für das Publikum, mit diesen Szenen in dieser Ausführlichkeit konfrontiert zu werden. Sie sind jedoch erforderlich, um die moralische Ambivalenz, die der "War on Terror" provoziert, zu illustrieren. In keinem Moment wird Folter jedoch verherrlicht, im Gegenteil: Der Wahnsinn, der hinter jenen Methoden steht, wurde selten so offensichtlich wie hier.

Ja, "Zero Dark Thirty" wirft Fragen auf. Auf jeden Fall. Fragen darüber, was Terrorbekämpfung eigentlich bedeutet und umfasst, was Menschenwürde bedeutet, wie viel ein Menschenleben wert ist und inwieweit es Sinn macht, sich derart auf eine einzelne Person zu konzentrieren, deren Bedeutung mit der Zeit sicherlich geschwunden ist. Eines kann man dem Film aber nie vorwerfen: Dass er Partei ergreift. Dies ist ein großer Verdienst von Boal, einem angesehen Journalisten, der die zahlreichen Informationen und Fakten, die die letzten Jahre gesammelt wurden, zu einem großen Teil sichten konnte und auf dieser Basis sein Drehbuch aufbaute. Teilweise ging die Recherche so weit, dass nicht wenige die berechtigte Angst hatten, es könnten durch den Film Informationen ans Tageslicht gelangen, die unter Verschluss bleiben sollten. Trotzdem war die Datenlage nicht so dicht, wie dies jemand wie Boal gern gehabt hätte. Dazu kamen Begebenheiten beim Dreh, die ein geringfügiges Abweichen von den Fakten notwendig machte, wie fehlende Drehgenehmigungen von bestimmten Drehorten. Ursprünglich wollte sich "Zero Dark Thirty" zudem mit der erfolglosen Suche nach bin Laden beschäftigen. Nach den Ereignissen vom 2. Mai 2011 jedoch musste der Film umgeschrieben werden.

Ein Film, der sich derart um Neutralität und journalistische Distanz bemüht (beachtenswert: es keinen magischen Twist kurz vor Ende oder Charaktere und/oder Situationen zum Spannungsabbau und "comic relief"), ist wahrlich selten. Trotzdem ist aus "Zero Dark Thirty" keine Dokumentation geworden, sondern eine aus dramaturgischen Gründen notwendige Erzählung aus Sicht der jungen CIA-Agentin Maya. Jedoch beruht die Figur der Maya, dargestellt durch Jessica Chastain, auf einer realen jungen Frau, die für die Terrorbekämpfung eingesetzt wurde, und bei der lediglich genug persönliche Details geändert wurden, um ihre Identität zu schützen. Den Weg zu gehen, eine Quasi-Neueinsteigerin bis zum absoluten Höhepunkt ihrer zwölfjährigen Mitarbeit im Geheimdienst zu begleiten, ist aus vielerlei Gründen genau der richtige. Die innere Zerrissenheit Mayas, die Überzeugung, das Richtige zu tun und dabei immer wieder die Methoden hierfür zu hinterfragen, der teils aussichtslose Kampf, um sich Gehör zu verschaffen: all dies kulminiert in die wohl stärkste Frauenfigur, die das Kino in den letzten Jahren geschaffen hat.

Getragen durch das fulminante Schauspiel von Jessica Chastain, die in der Vergangenheit zuhauf beweisen konnte, dass sie aktuell eine der zweifellos talentiertesten Schauspielerinnen ist, und nun berechtigte Chancen auf einen Oscar hat, ist aus Maya ein hochkomplexer Charakter geworden. Dies ist vor allem deshalb geradezu ungewöhnlich, weil niemand im Film (und damit auch nicht Maya) eine wirkliche Hintergrundgeschichte erhielt und auch keinerlei Liebesgeschichte o.ä. vorhanden ist, was im Normalfall gängige Mittel sind, um Figuren auszudifferenzieren. Maya erscheint nicht selten als der eigentliche Katalysator der Jagd nach bin Laden und damit des Films. Dadurch wirkt so mancher, mit dem sie zusammenarbeitet, mitunter faul und inkompetent, aber ein Film, der aus ihrer Sicht spielt, muss auch ihrem Eindruck, dass sie in ihrer Ermittlungsarbeit (die manchmal an die leider viel zu kurzlebige US-Serie "Rubicon" erinnert) an allen Fronten kämpfen musste, gerecht werden.

Fazit

Es ist wahrlich nicht einfach, über ein derart öffentlichkeitswirksames Thema wie die Jagd nach Osama bin Laden einen Film zu drehen, der den Daten und Fakten, die auch jetzt noch nachträglich ans Licht geraten, gerecht wird und gleichzeitig eine Dramatik erzeugen, die das Publikum fesselt. Kathryn Bigelow jedoch ist dieser Drahtseilakt über die gesamte Laufzeit von mehr als zweieinhalb Stunden gelungen. "Zero Dark Thirty" ist der Film, an dem sich im Kinojahr 2013 nicht nur alle anderen messen müssen, sondern auch ein Paradebeispiel dafür, dass die Realität immer noch die besten Geschichten schreibt.

Andreas K. - myFanbase
05.01.2013

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