Bewertung
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Alles steht Kopf

Es gibt einen großen Vorteil bei Filmen aus dem Hause Pixar: Man weiß von vornherein schon, dass es meist ein guter Streifen sein und man nur selten enttäuscht wird - beginnend mit einem niedlichen Kurzfilm über die Umsetzung einer Geschichte für Kinder als auch für Erwachsene, bis hin zum Detailreichtum oder der Recherche der Autoren. Pixar hat sich selbst gewisse Standards gesetzt, die genauso hoch sind wie die Erwartungen der Zuschauer. Dies war bisher bei jedem Film so und wird vermutlich auch so bleiben. Nur wie sieht es bei "Alles steht Kopf" aus?

Foto: Copyright: Walt Disney Studios Motion Pictures Germany
© Walt Disney Studios Motion Pictures Germany

Inhalt

Die zu Grunde liegende Geschichte ist recht simpel. Riley wird durch einen Umzug aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen und muss sich nun an das Leben in San Francisco gewöhnen. Neue Stadt, neue Leute und zu Beginn keine Freunde. Doch Riley ist nicht wirklich der Hauptcharakter des Films. Vielmehr geht es um die Emotionen in ihrem Kopf: Freude, Kummer, Wut, Angst und Ekel. Sie sitzen Tag ein, Tag aus in der Kommandozentrale und steuern Rileys Gefühle.

Freude möchte, dass Riley den ganzen Tag glücklich ist, Angst hat vor wirklich allem Angst. (So fällt er beispielsweise ohnmächtig um, als Riley eine tote Ratte findet.) Ekel beschützt Riley vor unabschätzbaren Dingen (wie Brokkoli) und will dafür sorgen, dass sie mit den coolen Kindern in der Schule befreundet ist. Wut ist hitzköpfig und gibt Riley die Möglichkeit, Dampf abzulassen. Dies ist zwar nicht immer die beste Alternative (durch ihn bekommt Riley Ärger mit ihrem Vater und streitet sich mit ihrer besten Freundin aus der Heimat) Die vier sind ein mehr oder weniger eingespieltes Team - nur Kummer ist etwas Außen vor. Wofür soll Kummer im Leben schon gut sein?

Jeder Moment in Rileys Leben wird als Erinnerung (in Form einer Kugel) gespeichert und wird der Emotion zugewiesen, die für sie verantwortlich war. Freude hat natürlich die meisten Kugeln und ist auch stolz darauf. Kummer hingegen hat keine bis sehr wenige. Eine Vielzahl der Erinnerungen werden am Ende des Tages in das Langzeitgedächtnis übernommen und werden nach Jahren von einem Verblassungskommando in die Vergessenheit gezogen. (Dieses Kommando, so lernen wir im Film, ist auch für die nervigen Ohrwürmer verantwortlich.) Wenige Erinnerungen werden zu sogenannten Kernerinnerungen und spiegeln Inseln in Riley wider, die sie zu der Person machen, die sie ist.

Nach dem Umzug nach San Francisco beginnt Kummer, unabsichtlich, freudige Erinnerungen in traurige zu verwandeln. Bei einem Streit werden Freude und Kummer inklusive der Kernerinnerungen aus der Kommandozentrale geworfen und müssen den beschwerlichen Weg zurück finden, bevor Riley all ihre Inseln verliert. Denn ohne Freude in der Zentrale kann Riley nicht fröhlich sein.

Kritik

Was, mal abgesehen von der Story, besonders hervor sticht, ist die Tatsache, wie sehr der Film auch für Erwachsene ausgelegt ist. Neben fantastischen und bunten Szenen ist "Alles steht Kopf" auch sehr dramatisch und emotional. Man darf nicht natürlich vergessen, dass es ein Pixar-Film ist und man mit Sicherheit erwarten darf, dass am Ende alles wieder gut und sogar besser wird. Das stört auch nicht weiter. Hier ist wirklich der Weg das Ziel. Es ist das Abenteuer, das Spaß bringt. Doch auch wenn man sich von vornherein auf ein Happy End verlassen kann, so muss man doch einige emotional schwer verdauliche Szenen hinter sich bringen.

Ein Tod wird den Kinobesuchern wohl noch länger in Erinnerung bleiben. Erwachsene wie auch Kinder wirkten im Kinosaal geschockt und vergossen die ein oder andere Träne. Die jungen Zuschauer sehen, wie die bunte und fröhliche Welt langsam zerbricht, doch ihren Eltern und den vielen erwachsenen Pixar-Liebhabern wird viel mehr bewusst, was wirklich vor sich geht. Die Freundschaftsinsel, eine von Rileys Kernerinnerungen, zerbricht und geht unter. Riley, die sich schon in einer neuen Stadt und Schule zurecht finden und mit neuen Leuten klarkommen muss, verliert nicht nur eine imaginäre Insel, sondern auch den Kontakt zu ihrer besten Freundin aus der alten Heimat und somit den letzten Bezugspunkt zu ihrem alten Leben. Freude kann nicht mehr zurück in die Kommandozentrale und somit kann Riley nicht mehr fröhlich sein. In der echten Welt fehlen Riley Menschen, mit denen sie reden kann. Ihre Eltern haben selber Probleme mit der Umstellung und ihnen möchte sie nicht zu Last fallen. Die alte beste Freundin fand überraschend schnell neue Freunde. Riley ist ganz auf sich allein gestellt. Dies hat eigentlich nichts mit Wut, Angst und Ekel ganz allein in der Kommandozentrale zu tun, sondern damit, dass sie eine sehr schwere Zeit alleine durch machen muss.

"Alles steht Kopf" funktioniert sehr gut auf diesen zwei Ebenen. Zum einen haben wir eine fröhlich-bunte Welt, die für Kinder und Erwachsene beide neu und entdeckungswert sind; zum anderen haben wir die Geschichte eines jungen Mädchens, welches kurz davor steht, sich auch von ihren Eltern gänzlich zurück zu ziehen. Beide Ebenen sind dramatisch und trotzdem macht es auf beiden Spaß, zuzusehen.

Aber auch die Liebe zum Detail macht den Film so sehenswert. Pixar hat eine Welt erschaffen, in der sich alle, ob jung oder alt, wieder finden. Anders als bei anderen Animationsfilmen handelt es sich hier nicht um ein futuristisches oder phantastisches, fremdes Land. Hier findet man sich in den Welten und Ideen wieder, die man noch immer täglich durchlebt. Der Großteil des Kopfes dient nicht der Kommandozentrale, sondern dem Langzeitgedächtnis, einem riesigen Labyrinth, in dem die Erinnerungen gespeichert werden. Neben den Emotionen bevölkern bakterienartige Wesen den Kopf von Riley, die für so ziemlich alles Zuständig sind. So treffen Freude und Kummer auf das Verblassungskommando. Diese Sorgen dafür, dass das Langzeitgedächtnis nicht zu voll wird. Denn nur Erinnerungen, die ab und an wieder an Wichtigkeit gewinnen, dürfen bleiben. Die anderen werden nach Jahren auf eine Art Deponie geworfen, wo sie verblassen und vergessen werden. Dieses Team schiebt immer mal wieder eine alte Zahnpasta-Werbung hoch in die Kommandozentrale, weil die Musik so schön nervig ist und man diese nur schwer wieder aus dem Kopf bekommt. Nun wissen wir also, woher Ohrwürmer wirklich kommen.

Genauso schön ist die Idee um die Traumstudios. Ein Hollywood, in dem wahrhaftig Rileys Träume entstehen. Sobald sie die Augen schließt, fangen auch hier wieder die kleinen bakterienartigen Lebewesen an, zu arbeiten und werden mit Hilfe eines Kamerafilters zu echten Menschen. Freude beispielsweise trifft auf dem Weg durch die Studios auf ihr großes Idol: das Regenbogeneinhorn.

Neben den Traumstudios und den Ohrwürmern werden zahlreiche Dinge dargestellt, die sich täglich in unserem Kopf abspielen. Meist sind es nur kleine Sachen und Witze, die nebenbei vorkommen, aber genau diese machen den Film viel runder und schöner. So gibt es das Fantasieland, abstraktes Denken wird gezeigt und es gibt einen Gedankenzug. Im Laufe des Films lernen wir auch Bing Bong kennen, Rileys früheren imaginären Freund (dessen Rakete mit Liedkraft fliegt), der nun durch ihren Kopf irrt und wie ein abgehalfterter Schauspieler versucht, sich vor dem Vergessen zu retten.

Übrigens: Auch wenn der Vorfilm keine Verbindung zum Hauptfilm hat, so gehört er dennoch dazu. Auch hier wird in nur fünf Minuten genauso viel Liebe hineingesteckt, wie in die 100-minütige Geschichte um Riley und ihre Familie. An dieser Stelle soll nicht zu viel verraten werden, aber es ist echt unglaublich, was für Charaktere Pixar erschaffen und diese sogar zum Singen bringen kann.

Fazit

Mittlerweise gehen die meisten (erwachsenen) Zuschauer mit gewissen Erwartungen in Pixar-Filme und auch in "Alles steht Kopf" werden diese wieder erfüllt werden. Meine hat der Film sogar übertroffen. Ich hatte mich auf einen viel kindlicheren Film eingestellt. Doch obwohl "Alles steht Kopf ein Kinderfilm ist (und Kinder hatten im Kinosaal sichtlich Spaß), kommen auch Erwachsene voll auf ihre Kosten. Es ist ein Kinderfilm mit überraschend viel Tiefe und Emotion. Hier und da gibt es Sachen, wo die älteren Zuschauer die Augen verdrehen werden, aber das mindert den Spaß nicht im Geringsten. 7 von 9 Punkten gibt es für diesen bunten wie dramatischen Pixar-Film.

Martin Thormann - myFanbase
24.09.2015

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