Bewertung
Luca Guadagnino

Call Me by Your Name

"We rip out so much of ourselves to be cured of things faster than we should that we go bankrupt by the age of thirty and have less to offer each time we start with someone new. But to feel nothing so as not to feel anything - what a waste!"

Foto: Copyright: 2017 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH
© 2017 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

Inhalt

Der 17-jährige Elio (Timothée Chalamet) verbringt den Sommer von 1983 gemeinsam mit seinen Eltern auf deren Landsitz in Norditalien. Elios Vater (Michael Stuhlbarg), ein Archäologieprofessor, holt sich für seine Forschungsarbeiten vor Ort Unterstützung von Oliver (Armie Hammer), einem 24-jährigen attraktiven Amerikaner. Erst verwundert über das starke Selbstbewusstsein Olivers, fühlt sich Elio schnell zu ihm hingezogen, kann aber seine Gefühle nicht so recht einordnen. Als Oliver ähnliche Gefühle zeigt, entwickelt sich zwischen den beiden ein Sommer, den sie nie vergessen werden.

Kritik

Viel wurde im Vorfeld zu Luca Guadagninos ("I Am Love") neuem Werk "Call Me by Your Name" geschrieben. Insbesondere in den USA entstand in entsprechenden Kreisen schnell eine gänzlich fragwürdige Diskussion über Sexualität, Reife und Alter, bei dem sich auch die unpassendsten Herrschaften zu Wort meldeten. So bekam der Film teils tatsächlich den Ruf, irgendwie anrüchig oder provokant zu sein. Glücklicherweise hat sich mittlerweile das Bild gefestigt, die eigentliche Qualität zu beurteilen und nicht Nebenkriegsschauplätze herbei zu beschwören, um emotional aufgeladene und reichlich unsachliche Diskussionen zu führen. Denn "Call Me by Your Name", nach dem gleichnamigen Roman von André Aciman aus dem Jahre 2007, ist schlussendlich vor allem eines: ein äußerst gelungener und erwachsener Liebesfilm.

"Erwachsen" deshalb, weil zunächst das Milieu, in dem der Film spielt, sehr anspruchsvoll und gebildet ist. Elio bewohnt mit seinen Eltern den Sommer über ein ausladendes Anwesen in der Nähe des Gardasees, spielt gern klassische Stücke auf dem Klavier, Elios Vater ist Archäologieprofessor, Elios Mutter Übersetzerin, Oliver ist Doktorand, man hat Hauspersonal und Elio eine französische Freundin. Da kommt man als Zuschauer gar nicht umhin, immer wieder Untertitel zu lesen, je nachdem, in welcher Sprache sich die generell mehrsprachigen Charaktere unterhalten. Aber auch aufgrund der Art und Weise, wie die Liebesgeschichte erzählt wird, trifft es "erwachsen" vielleicht ganz gut. Auch weil die einzelnen Hauptfiguren allesamt hochgebildet sind und Guadagnino absolut keine Lust auf eine herkömmliche Liebesgeschichte hat, verliert man sich nicht in Plattitüden. Viel hat auch damit zu tun, dass Elio und Oliver untereinander eine für einen Film durchaus ungewöhnliche Beziehung zueinander haben. Hier ist noch sehr viel unbedarft und unerfahren, aber auch roh und eloquent und manchmal auch einfach nur arrogant. Eine Beziehung wie die der beiden sieht man im Kino äußerst selten und genau deswegen ist sie so erfrischend anders und aufregend.

Armie Hammer als Oliver kann in diesem Film zunächst genau das zeigen, wofür er oft kritisiert wird – er kann den Schönling mimen. Dass hier aber deutlich mehr dahinter steckt, zeigt er sehr schnell. Anfangs noch eher arrogant und irgendwie undurchschaubar, blüht er in diesem neuen Umfeld schnell auf und öffnet sich - auch emotional. Die verwirrte und verletzliche Seite, seine Leidenschaft und dann doch wieder der Versuch, zur vermeintlichen Vernunft zurückzukehren prägen die Figur des Oliver und werden phänomenal dem Zuschauer gegenüber gespiegelt durch Hammer. Kein Wunder, dass Hammer mit seiner Rolle einer der großen Favoriten für die diesjährigen Filmpreise ist.

Timothée Chalamet, in "Lady Bird" noch mit einer schon fast vernachlässigbaren, da stark eingeschränkten Rolle, kommt die undankbare Aufgabe zu, mit Elio einen Charakter zu verkörpern, der auf der einen Seite alles zu wissen scheint und auf der anderen Seite auch wiederum gar nichts. Er springt mühelos zwischen den einzelnen Sprachen hin und her, spielt Klavier auf beachtlichem Niveau, liest Bücher, die vielen zu anspruchsvoll wären und macht auch mit seiner französischen Freundin einen schon fast routinierten Eindruck. Und doch gibt es da eine andere Seite an ihm, die der Zuschauer gemeinsam mit ihm entdecken darf. Gerade dieser Kontrast zwischen den beiden Seiten und das ungewohnte Terrain, das Elio da beschreitet und das ihn emotional in absolut ungewohnte Ausnahmezustände versetzt, muss auch entsprechend darstellerisch untermauert werden. Das gelingt Chalamet mit Bravour, sodass man gespannt sein darf, was die Zukunft für ihn bereit hält.

Dazu kommt, dass "Call Me by Your Name" von Bild und Ton her einfach nur unfassbar schön ist. Von den Credits zu Beginn über die Einblicke in das wundervolle Norditalien mit seinen alten und charismatischen Häusern, Wegen und Landschaften bis zur letzten Sekunde zieht der Film alle Register, einem die Schönheit der Region und des dortigen Lebens näher zu bringen. Wer sich danach nicht genau dorthin sehnt, um Diskussionen über Luis Buñuel zu führen, dabei einen köstlichen Pfirsich (vor der berühmten Szene) zu essen und ein Glas Wein zu trinken, dem ist nicht mehr zu helfen. Vor allem schafft es Guadagnino, das Setting derart lebensnah zu gestalten, dass man selbst denkt, man wäre mittendrin und könnte selbst die italienische Sonne genießen.

Aus musikalischer Sicht hat man eine bisweilen recht gewöhnungsbedürftige Mischung aus den Musikgenres (Neo-)Klassik, italienischem Pop, 70er-Jahre-Punk-Rock oder gutem altem Singer-Songwriter-Indie vor sich, angeführt vom wie immer phänomenalen Sufjan Stevens, der zwei Lieder beiträgt. Alle einzelnen Songs sind für sich genommen passend für die jeweilige Szene oder Stimmung, die sie betonen möchten, aber wenn man den ganzen Filmverlauf betrachtet, wäre eine stimmigere, homogenere Auswahl der Genres vielleicht besser gewesen. Das ändert aber nichts daran, dass nach "Call Me by Your Name" jeder fühlende Mensch "Visions of Gideon" in Dauerschleife hören wird. Denn die Szene, in der eben dieser Song zu hören ist, ist eine der eindrucksvollsten, die das Kino in den letzten Jahren hervor brachte.

Fazit

"Call Me by Your Name" ist eine anspruchsvolle und sehr gelungene Geschichte über das Älterwerden, die Schönheit und die Liebe, ein Aufruf, mutig zu sein, zu fühlen und Fehler zu begehen.

Andreas K. - myFanbase
04.01.2018

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