Bewertung
J Blakeson

I Care A Lot

Foto: I Care A Lot - Copyright: 2021 Netflix, Inc.
I Care A Lot
© 2021 Netflix, Inc.

Inhalt

Marla Grayson (Rosamund Pike) ist eine professionelle, vom Gericht beauftragte Betreuerin für Senioren, die keine eigenen Entscheidungen mehr treffen können. Doch Marla und ihre Lebensgefährtin Fran (Eiza González) machen das nichts aus Nächstenliebe. Stattdessen verkaufen sie deren Besitz durch zweifelhafte, aber dennoch legale Methoden. Doch ihr nächstes 'Goldstück' erweist sich als gefährlich. Jennifer Peterson (Dianne Wiest) wirkt wie eine wohlhabende Rentnerin ohne Angehörige, doch der Schein trügt, denn sie hat Verbindungen zur russischen Mafia.

Kritik

Wer bereits privat mit dem Gesundheits- und Pflegesystem zu tun hatte, der weiß bestens, dass sich dieses hervorragend für eine Parodie eignet. Kein Wunder also, dass der neue Netflix-Film "I Care A Lot" hier zugeschlagen hat. Dennoch war es schwer, ein gewisses unbehagliches Gefühl abzuschütteln, denn der Zustand des Gesundheits- und Pflegesystems sollte überhaupt gar keine Grundlage bieten können. Die konkrete Idee des Films, dass sich vom Gericht bestellte BetreuerInnen am Vermögen der ihnen anvertrauten Personen bedienen, ist keine reine Fiktion, diese Vermutungen und Verdächtigungen habe ich bereits im engeren Umfeld miterlebt, weswegen nachvollziehbar sein sollte, dass diese Thematik nicht unmittelbar zum Schmunzeln einlädt. Dennoch habe ich dieses Unbehagen im Verlauf des Films abschütteln können, denn schließlich knüpfen sich Satiren oft Themen vor, bei denen die Auseinandersetzung damit ganz schön wehtun kann.

Mit Rosamund Pike, der für diese Rolle frischgebackenen Golden Globe-Gewinnerin, ist die gewissenlose Betreuerin Marla Grayson natürlich großartig besetzt. Diese Figur ist der Star des Films und daher war es bitter nötig, dass die Rolle mit einer Schauspielerin besetzt wird, die einen solchen Film problemlos alleine auf ihren Schultern tragen kann. Wer bereits "Gone Girl - Das perfekte Opfer" mit ihr gesehen hat, der hat beeindruckend vor Augen geführt bekommen, dass Pike dafür mehr als qualifiziert ist. Man kann sogar fast sagen, dass die dortige von ihr gespielte Hauptrolle Amy durchaus vom selben Schlag wie Marla ist. Wenn diese beiden Figuren aufeinandertreffen würden, wäre das vermutlich ein ewiges Katz-und-Maus-Spiel auf extrem hohen Niveau. Diese Ausführungen zeigen wohl deutlich, wie ideal besetzt ich Pike finde, dennoch ist "I Care A Lot" keinesfalls ein Abklatsch von "Gone Girl". Die Filme könnten inhaltlich unterschiedlicher nicht sein, aber dennoch lassen sich auch gewisse Parallelen nicht leugnen, vor allem wenn man die Reaktionen der Zuschauer mit in die Beurteilung nimmt.

Marla ist von Anfang an die 'Böse'. Der Film stellt sich nicht der Aufgabe, sie sympathisch zu machen, stattdessen ist sie eine Antagonistin wie sie im Buche steht. Einzig ihre Beziehung zu ihrer Partnerin im Beruf und im Privaten, Fran, lässt sie nahbarer wirken. Aber da beide mit ihrem Betrug an einem Strang ziehen, entsteht kein Gegenpol. Zudem kann man auch sagen, dass González in ihrer Rolle deutlich untergeht. Fran wirkt nicht so hart wie Marla, man ahnt bei ihr, dass sich vielleicht mal ein schlechtes Gewissen zeigen könnte, aber das passiert bei ihr nicht, weswegen sich ihre Funktion letztlich nur darauf beschränkt, die Schwachstelle von Marla zu sein. Das war mir für eine häufig auftretende Rolle echt zu wenig. Aber zurück zu Marla: Da man bei ihr von Anfang keine Aspekte sucht, um sie nett zu finden, kann man sich durchgängig auf Pikes tolles Schauspiel konzentrieren. Dabei entsteht dennoch ein Effekt, den man so eigentlich gar nicht erwartet. Denn als sich für Marla mehr und mehr ein Gegenspieler auftut, schwankt man ständig zwischen den Gedanken, ob man ihr nun das Ende wünscht oder doch die Daumen drückt, dass sie durchhält. Das ist dann auch der Effekt, bei dem ich wieder auf "Gone Girl" verweisen möchte, weil Amy eine ähnliche Wirkung hatte. Das sind eben Figuren, bei denen man es liebt, sie hassen zu können.

Letztlich scheitert der Film ein wenig daran, dass Peter Dinklage als Gegenspieler Roman Lunyov Marla nicht wirklich das Wasser reichen kann. Das liegt aber weniger am Schauspieler selbst, sondern daran, dass seine Rolle schrecklich einseitig dargestellt wird. Seine immer mal wieder ausbrechende Wut wirkte kindisch und wie wenig er tatsächlich selbst in die Hand genommen hat, war für so einen Mafiaboss enttäuschend. So gesehen hätte ich mir wirklich jemanden à la Amy gewünscht, die Marla in ihrer Komplexität das Wasser reichen könnte. Auf der anderen Seite muss man so wieder sagen, dass viele von Marlas Handlungen so besser nachzuvollziehen sind. Denn richtig Angst hat sie fast den gesamten Film über nicht. Dabei ist sie keine ausgebildete Gangsterin. An einigen Stellen wirkt ihr auf Anhieb perfekt funktionierendes Handeln unglaubwürdig, aber wenn Roman eben auch kein Gegenspieler par excellence ist, geht das wohl in Ordnung.

Atmosphärisch sind über den Verlauf des Films hinweg einige Unterschiede zu bemerken. Während der Einstieg wirklich satirisch bis in alle Spitzen ist und somit Pike viel Raum für ihre Schauspielkunst gibt, wendet sich die zweite Hälfte eher in einen Action-Thriller. Hier kann man wie erwähnt manchmal an einer etwas übertriebenen Darstellung zweifeln, aber spannend ist es für den Zuschauer in jedem Fall. Zumal man diesen Verlauf des Films auch nicht erwartet hätte. Relativ schnell entsteht beim Zuschauer normalerweise eine Vorstellung davon, was wie passieren könnte, aber der Film zerstört diese völlig. Da ist das Ende dann auch das absolute Sahnehäubchen, denn wieder wandelt sich atmosphärisch alles und erneut im Gewand einer perfekten Satire wird die Geschichte von Marla abgeschlossen, wie sie es verdient hat. Ja, am Ende ist trotz zwischenzeitlicher Schwächen alles wieder gut.

Fazit

"I Care A Lot" nimmt sich auf satirische Weise eines Themas an, das eigentlich viel zu ernst ist, aber wenn man das gedanklich wegschieben kann, ergibt sich zugegebenermaßen ein überzeugender Film, bei dem Rosamund Pike mit ihrem Können brilliert und jede einzelne Szene mit ihrer Anwesenheit strahlen lässt. Peter Dinklages Schauspielkunst ist derweil etwas vergeudet, was durchaus einen Dämpfer darstellt. Dennoch kann man die immer spannender werdende Handlung begeistert verfolgen. Spätestens am Ende kommt dann alles so, wie es sollte, so dass man einen Haken dranmachen kann.

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Lena Donth - myFanbase
02.03.2021

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