Bewertung
Sam Raimi

Doctor Strange in the Multiverse of Madness

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Doctor Strange in the Multiverse of Madness
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Inhalt

Nachdem Steven Strange (Benedict Cumberbatch) mit einem verbotenen Spruch die Tore zu den Multiversen geöffnet hat, lernt er die Jugendliche America Chavez (Xochitl Gomez) kennen, die offenbar zwischen den Multiversen hin- und herreist, das aber nicht kontrollieren kann. Damit hat sie die Aufmerksamkeit eines unbekannten Wesens auf sich gezogen, das sich ihre Kräfte aneignen will. Da America schon mit einer anderen Version von Doctor Strange zusammengearbeitet hat, sieht sich Steven verpflichtet, ihr zu helfen und ist überrascht, als sich offenbart, wer der Gegner ist. Es ergibt sich ein heftiger Kampf, bei dem das Reisen durch die Multiversen die einzige Lösung zu sein scheint und wo sich vor allem Doctor Strange seinem Ich stellen muss.

Kritik

Bereits im letzten großen Marvel-Blockbuster, "Spider-Man: No Way Home", war kontextuelles Wissen jenseits der großen Phasen des MCUs erforderlich, um das optimale Sehvergnügen zu erleben. Die aktuell laufende vierte Phase, die erstmals durch bei Streamingdienst Disney+ laufende Serien angereichert ist, scheint mehr denn je vernetzt zu sein und großes Interesse für sämtliche Marvel-Themen vorauszusetzen. Deswegen gleich eine Warnung vorab, vor allem der Inhalt von Marvel-Serie "WandaVision" (hier bei uns nachzulesen) ist ein absolutes MUSS, um den nächsten großen Streich, "Doctor Strange in the Multiverse of Madness", in seiner Komplexität gut begreifen zu können. Auf weitere Empfehlungen bezüglich Informationsbeschaffung verzichte ich aus Spoilergründen an dieser Stelle, aber es fällt auch deutlich weniger ins Gewicht als bei "WandaVision", so dass sich auch im Nachgang noch das ein oder andere nachlesen lässt, wie ich es im Übrigen auch getan habe. Dennoch ist schon augenscheinlich, dass die Bedeutung von Kontextwissen immer größer zu werden scheint. Sich nur die großen Blockbuster zu Gemüte zu führen, scheint nicht mehr auszureichen, was durchaus ein deutliches Drängen in Richtung von Streaming ist, das man sehen mag, wie man will. Für diverse Überraschungseffekte ist es in jedem Fall eine geniale Sache.

Ist es nicht unglaublich, dass "Doctor Strange" bald schon sechs Jahre alt ist? Wenn man sich der rasch voranschreitenden Zeit bewusst werden will, muss man nur mal auf die Erscheinungsdaten der einzelnen Marvel-Filme schauen. Für mich jedenfalls fühlt es sich definitiv nicht wie sechs Jahre an, denn ich kann mich noch gut an das Gefühl leichter Überforderung erinnern, als ich damals das Kino verlassen habe, denn die ganze Idee hinter "Doctor Strange" war definitiv grenzensprengend und auch die ganzen visuellen Aspekte waren schlichtweg voll von Reizüberflutungen, die ich erstmal separat für mich klären musste. Nun ist der von Benedict Cumberbatch dargestellte Doctor Strange nun wahrlich auch kein klassischer Sympathieträger, der aber dennoch mit seinen deutlich sichtbaren Ecken und Kanten etwas hatte, das fasziniert, doch das hat Gewöhnung gebraucht. Deswegen ist die Entwicklung in den bald sechs Jahren mit Doctor Strange ordentlich vorangeschritten und er ist als Figur definitiv greifbarer geworden. Vor allem ist auch seine humorvolle und nennen wir es mal weiche Seite immer deutlicher zu Tage getreten, was dann schließlich im letzten "Spider-Man"-Film gipfelte, wo aus ihm und dem obersten Zauberer, Wong (Benedict Wong), endgültig ein kultiges Duo wurde. In dem Sinne ist es (zunächst mal neutral gemeint) überraschend, dass "Doctor Strange in the Multiverse of Madness" von der Stimmungslage her sehr düster und stellenweise wie ein Horrorfilm angelegt ist, wo der Humor mit der Lupe zu suchen ist. Es gibt sicherlich Versuche, die Handlung zwischendurch durch einen netten Spruch hier und da aufzulockern, aber vielleicht auch erdrückt durch die sonstige Atmosphäre will das einfach nicht zünden.

Dennoch ist es eine Erleichterung, dass deswegen mit Doctor Strange keine charakterlichen Rückschritte gemacht werden. Stattdessen wird das Düstere vor allem durch die ganzen anderen Versionen von Doctor Strange bedient, die wir durch die Multiversen kennenlernen. Aber das wird auch inhaltlich so verarbeitet, denn während die Antagonistin des Films (zu ihr gleich mehr) eine verheerende Vernichtung nach der anderen herbeiführt, bleibt es in anderen Universen bezüglich ihrer Taten relativ entspannt, während die Skepsis gegenüber Doctor Strange unermesslich scheint. Hier wird also genau das Bild von Doctor Strange bedient, was wir zu Beginn seiner Einführung als Fans auch so wahrgenommen haben, weswegen es umso schöner ist, auf den Doctor Strange zu schauen, den wir jetzt haben. Er ist immer noch von einer gewissen arroganten Aura umgeben, er steht sich deswegen oft genug selbst im Weg, aber trotz seiner oft absichtlich hart wirkenden Schale sehen wir einen sensiblen Steven, der durch die Erfahrungen der letzten Jahre gereift ist. Das sieht man besonders deutlich an seinem Umgang mit gleich zwei Frauen. Zum einen haben wir wieder Christine Palmer (Rachel McAdams, die Ex-Verlobte, der wir ebenfalls in gleich mehreren Versionen begegnen und es ist immer zu merken, dass sie sein Schwachpunkt ist, oder – um es positiver zu formulieren – die, die ihn antreibt ein besserer Mensch zu sein. Auch wenn er am meisten mit einer Version interagiert, die nicht aus seinem eigenen Universum kommt, so führt ihm das doch seine schicksalshafte Liebe für sie vor Augen. Die zweite Frau ist die junge America Chavez, eine neue Superheldin der jungen Generation, die uns hier eingeführt wird. Da Träumen die Brücke zu anderen Universen ist, baut Doctor Strange dort bereits eine unwiderrufliche Verbindung zu ihr auf, die er dann auch in der Realität nicht mehr ablegen kann. Er hat nur noch eine Aufgabe: America zu schützen. Die Konstellation hat mich ein wenig an "Logan: The Wolverine" erinnert und es funktioniert auch wieder, denn America gilt es nicht nur zu schützen, sondern sie lässt in ihm auch Saiten erklingen, denen er sich so nicht länger verweigern kann. In dem Sinne ist es für die Entwicklung von Steven Strange ein wirklich guter Film geworden, auch wenn Cumberbatch deutlich anzumerken war, dass er die anderen Visionen genauso gerne gespielt hat.

Etwas schade ist wiederum, dass der Titel des Films nur auf Doctor Strange verweist, denn er hätte genauso Scarlet Witch verdient gehabt. Wanda Maximoffs (Elizabeth Olsen) neues Alter Ego stellt nämlich den Gegenpol zu Doctor Strange dar und ist eine wirklich extrem spannende Antagonistin, die alleine deswegen fasziniert, weil wir sie jahrelang als Heldin Wanda angefeuert haben. Zum Ende von "WandaVision" hin war noch nicht ganz klar, wohin der Weg für Wanda nun führen würde, aber es ist mutig und hat sich definitiv gelohnt, sie als Scarlet Witch Angst und Schrecken verbreiten zu lassen. Daher verneige ich mich auch tief vor Olsen, denn in der Miniserie von Disney+ habe ich sie schon gefeiert, weil sie den lange vorherrschenden Sitcom-Stil mit ihrer Art zufriedenstellend ausgefüllt hat und eine ganz andere Seite gezeigt hat. Nun als Scarlet Witch dreht sich all das noch einmal um 180° und es ist einfach sehr berührend gespielt. Wandas ganze Geschichte im MCU führt auf diesen Punkt hin, weswegen man ihre Denkart sehr gut nachvollziehen kann. Wo andere Antagonisten mal eben im Schnelldurchlauf eine Hintergrundgeschichte verpasst bekommen, um sie zu 'erklären', hat es bei Wanda bereits in ihrer Kindheit angefangen und endete nun in dem Moment, wo Scarlet Witch ihre Existenz übernommen hat und getrieben davon ist, sich ihr Mutterglück wiederzuholen, was eben nur in einem anderen Universum geht und dafür braucht sie America, die Portale zu anderen Welten schaffen kann. Faszinierend ist natürlich auch, wie das Zusammenspiel von Wanda und Steven Strange verläuft, weil die beiden schon Seite an Seite zusammengearbeitet haben, und sich nun auf gegensätzlichen Seiten wiederzufinden, ist schwierig; für beide. Manches Mal habe ich mich auch bei dem Gedanken erwischt, ob die Geschichte rund um Scarlet Witch nicht mehr wert gewesen wäre als ein Solo-Film, aber sei's drum, durch die Magie war Doctor Strange natürlich die sinnigste Verbindung und es ist sehr gut ausgespielt worden.

Vor allem die Scarlet Witch ist natürlich der Grund, warum der Film insgesamt so düster geworden ist, denn ihre Macht ist so groß und der Wahnsinn nimmt zunehmend überhand, dass es nur logisch erscheint, nicht zu zimperlich vorzugehen. Gerade in den Multiversen war die stellenweise bediente Brutalität zwar nicht leicht anzusehen, aber nicht 'schlimm', weil es eben um Figuren ging, die eh keine Bewandtnis mehr haben werden. Dennoch bin ich immer noch unentschlossen, ob es in diesem Ausmaß wirklich nötig war. Horror ist absolut nicht mein Genre, mir wurde also definitiv kein Gefallen getan. Vor dem Hintergrund, dass auch America Chavez eingeführt wurde, die eine neue Generation von Marvel-Fans heranführen soll, finde ich die Gegensätze schon sehr krass und auch nicht unbedingt angemessen für die damit intendierte Zielgruppe. Hinzu kommt auch noch die Thematik mit Wandas zwei kleinen Söhnen, Billy (Julian Hilliard) und Tommy (Jett Klyne), denn die damit betonte Mütterlichkeit stand ebenfalls in einem völligen Gegensatz. Alles in allem sticht "Doctor Strange in the Multiverse of Madness" als Solofilm so heraus, aber die bereits genannten positiven Aspekte hätten auch schon gereicht.

Kommen wir abseits des wilden Genremix' noch zu einer Einschätzung der sonstigen Machart. Sam Raimi, der sonst vor allem durch die "Spider-Man"-Filme mit Tobey Maguire in der Hauptrolle mit dem Superheldengenre vertraut ist, hat offenbar seine Vorliebe für Horror, die er schon als Produzent von "Ash vs. Evil Dead" ausgelebt hat, ausleben lassen, aber auch sonst hat er einen bildgewaltigen Film auf die Beine gestellt, der ergänzt durch das Drehbuch von Michael Waldron vom Grad der Komplexität her simpler gestaltet ist, aber das ist absolut positiv gemeint. Die Handlung ist klar zu verstehen und dennoch hat sie visuell einiges erlaubt und ermöglicht, was das Kinoerlebnis an der Stelle dann unersetzlich macht. Gerade im ersten Viertel des Films sind die magischen Fähigkeiten von Strange und Wong wunderbar ausgespielt worden. Später ist es mehr die Faszination für die Multiversen, die dominiert, denn es ist schon unterhaltsam, kleine Einblicke zu erhalten, wie anders die Welt gestaltet sein könnte. Es ist sicherlich nicht der dominierende Handlungsaspekt des Films, dafür wird es zu beiläufig stellenweise behandelt, aber auch die Sequenz, in der America und Doctor Strange unkontrolliert durch die Universen fielen, das war dann wieder typisch für "Doctor Strange". Man konnte den Stil also bewahren, aber auf einem deutlich konkreteren Niveau.

Fazit

"Doctor Strange in the Multiverse of Madness" ist gerade auf der Charakterebene ein sehr gut gelungener neuer Streich aus dem MCU, denn die Entwicklung von Doctor Strange wird konsequent fortgesetzt und die Darstellung von Wanda alias Scarlet Witch erreicht neue Dimensionen, die gerade schauspielerisch exzellent gemeistert wurden. Auch inhaltlich gibt es so eigentlich nichts zu meckern, weil es sich logisch aus der Charakterarbeit ableitet und es ist vor allem nicht gerade so komplex wie der erste Solo-Film gestaltet worden. Doch die Hinlehnung zum Genre Horror ist sehr überraschend. Meinen Geschmack hat es nicht unbedingt getroffen, andere wiederum werden begeistert sein. Dieser Film wird demnach definitiv aus vielfältigen Gründen in Erinnerung bleiben.

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Lena Donth - myFanbase
06.05.2022

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