Bewertung
Michael Lewen

Der erste Blick, der letzte Kuss und alles dazwischen

Foto: Jordan Fisher & Talia Ryder, Der erste Blick, der letzte Kuss und alles dazwischen - Copyright: 2022 Netflix, Inc.
Jordan Fisher & Talia Ryder, Der erste Blick, der letzte Kuss und alles dazwischen
© 2022 Netflix, Inc.

Inhalt

Als Claire (Talia Ryder) nach einiger Zeit in ihre Heimatstadt zurückkehrt, um dort ihren High School-Abschluss zu machen, begegnet sie dem sympathischen Aidan (Jordan Fisher), mit dem sie sich sofort großartig versteht. Sie überredet ihn aber zu dem Pakt, dass sie am letzten Schultag Schluss machen. Als es so weit ist, will Aidan mit ihr eine Reise durch die Vergangenheit machen, um all ihre ersten Male Revue passieren zu lassen. Während er Hoffnung hat, dass Claire sich noch einmal anders entscheidet, will sie unbedingt bei ihrer Entscheidung bleiben, als Single ans College weiterzuziehen. Beide müssen sich dabei der Frage stellen, ob die High School-Liebe für die Ewigkeit sein kann.

Kritik

Teenie-Romcoms haben ein recht deutliches Schema und daran gibt es auch kaum etwas zu rütteln, weswegen ich immer schon aufmerksamer werde, wenn sich in einem recht engen Rahmen dennoch auch neue Ideen finden lassen. "Der erste Blick, der letzte Kuss und alles dazwischen" gehört definitiv in diese Reihe. Unter dem Originaltitel "Hello, Goodbye, and Everything in Between" ist das Buch 2015 von Jugendbuchautorin Jennifer E. Smith veröffentlicht worden. Diese hat inzwischen eine ganze Reihe von Romanen veröffentlicht und auch eine zweite Adaption ist aktuell in Produktion, so dass sie vermutlich nun einem breiteren Publikum bekannt werden dürfte. "Der erste Blick, der letzte Kuss und alles dazwischen" war ursprünglich für eine Kinoveröffentlichung vorgesehen, doch dann sind die Rechte an Streamingdienst Netflix gegangen, was definitiv nicht von ungefähr kommt, denn zum einen stecken hinter diesem Film die "To All the Boys I've Loved Before"-Produzenten und zum anderen ist eine der Hauptrollen mit Jordan Fisher besetzt, der zuletzt öfters in Netflix-Produktionen wie "To All the Boys: P.S. I Still Love You" und "Work It" zu sehen war, so dass sich für den Streamingdienst ein vielversprechendes Gesamtpaket ergeben hat.

Was "Der erste Blick, der letzte Kuss und alles dazwischen" nun etwas aus der Reihe tanzen lässt, das ist die Erzählweise. Denn den Zuschauer*innen wird nur das erste Kennenlernen gegönnt, bevor es einen Zeitsprung von etwa neun Monaten gibt und wir uns am Ende der Beziehung befinden, denn die beiden haben den Pakt geschlossen, vor dem College getrennte Wege zu gehen. Eine Liebesgeschichte vom Ende her aufzurollen, das war definitiv mal ein kleines Ausrufezeichen, das mir inhaltlich auch durchaus zugesagt hat. Zudem ist es dem Film auch gut gelungen, einen gewissen Spannungsbogen aufzubauen und das auch aus gleich zweierlei Gründen. Nach dem Kennenlernen gibt es eine kleine Abfolge von Schnipseln, die uns bedeutende gemeinsame Momente von Aidan und Claire zeigen. Als er schließlich für sie am Tag der Abreise die Nostalgietour startet, geht es an den Kern dieser Momente und sie werden dort deutlich länger ausgelegt, so dass sich zwischendurch auch gezeigt hat, dass wir durch die Schnipsel nur halbe Wahrheiten bekommen haben. Es war im Grunde wie ein Puzzle, dass sich erst nach und nach sinnig zusammengesetzt hat. Der zweite spannende Effekt war natürlich die Frage, wann, wie und wodurch die beiden am Ende ihre Entscheidung treffen werden. Natürlich war klar, dass sie sich im Grunde füreinander entscheiden werden, aber ich fand es doch offen genug gelöst, wie es für Aidan und Claire tatsächlich ausgehen wird.

So interessant ich diese ungewöhnliche Erzählweise fand, so hatte die Geschichte dadurch aber auch ein großes Hindernis. Während es beim völlig typischen Schema F meist ein stringentes Herantasten an eine Beziehung gibt, wo man mit dem Pärchen also auf einer Ebene ist, zunächst fremd und dann immer vertrauter wird, so macht die hier gewählte Erzählweise dem natürlich einen Strich durch die Rechnung. Die erste Begegnung von Aidan und Claire war zwar süß, aber man hat dort schon gemerkt, dass ein wenig aufs Tempo gedrückt wurde, um zum eigentlichen Hauptteil des Films zu kommen und das ist eben der letzte Tag der beiden gemeinsam und das neun Monate in der Zukunft. Und eine Beziehung in den Anfängen und eine neunmonatige Beziehung sind zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe. So sind Aidan und Claire nun in einer gewachsenen Beziehung, die eine dunkle Wolke über sich schweben hat, die aber dennoch vertraut und viel intimer ist. Das ist natürlich ein großer Bruch, um ein Gefühl für die Figuren zu bekommen. Zwar bekommen wir die einzelnen Stationen ihrer Beziehung noch zu sehen und doch habe ich deutlich gemacht, dass es für mich nicht gereicht hat, um die beiden als Paar wirklich auf einer Reise zu begleiten und mich daran zu erfreuen. Hat vielleicht die Chemie zwischen den beiden Hauptdarsteller*innen nicht gepasst? Das würde ich eigentlich verneinen, denn Fisher, der auch immer mal wieder in "The Flash" zu sehen ist, zeichnet sich in seinen Rollen bislang durch eins aus und das ist Charme ohne Ende und dass man ihm immer abkauft, dass er den Figuren, die mit ihm eng verbunden sind, die Welt zu Füßen legt. Talia Ryder ist dagegen für mich ein neues Gesicht, aber dennoch bin ich mit ihrer schauspielerischen Leistung nicht unzufrieden.

Vermutlich sind es neben der Erzählweise, die so definitiv gewisse Tücken hat, Schwächen im Drehbuch, denn die Charakterzeichnung ist auch nicht intensiv genug gelungen. Bei Claire gab es einen interessanten Ansatz, denn durch die Scheidung ihrer Eltern und ihr dadurch entstandenes Nomadenleben hat sie sich zwar der Liebe nicht verschlossen, aber definitiv Zweifel daran, welche Zwänge eine Beziehung auferlegen kann. Zudem merkt man deutlich, dass Claire ein wenig das ausleben will, was ihre Mutter Nancy (Jennifer Robertson) verpasst hat und dabei vor allem ihre Selbständigkeit und Autonomie als höchste Güter ausmacht. Ich finde dieses Denken von Claire nachvollziehbar, weil sie in einem Muster aufgezogen worden ist, was sie belastet hat und wo offenbar nie wirklich drüber gesprochen wurde. Deswegen fand ich es schade, dass auch Nancy nicht mal ein ehrliches Gespräch zu ihrer Tochter gesucht hat und sie stattdessen einfach hat machen lassen, obwohl sie vermutlich am besten weiß, was Claires Gefühle beeinflusst. Da all das fehlte, wirkte die Jugendliche stellenweise auch furchtbar borniert, weil man als Zuschauer*in genau gemerkt hat, dass sie sich völlig verrennt. Ihre Bestrebungen sind nicht falsch, aber sie schließen das Liebesglück mit Aidan nicht automatisch aus. Da es in der Gegenwart auch eine treibende Kraft war, dass sich Claire ihrem Freund entzogen hat, fehlten da auch die besonderen Momente, die ich mir von so einem Film erhoffe.

Aidan wiederum ist ein Romantiker durch und durch; er ist prädestiniert für die großen Gesten, weswegen er das Gegenteil von Claire darstellt. Es ist von Anfang an klar, dass er sich nur auf den Deal eingelassen hat, um Claire überhaupt kennenlernen zu dürfen und immer darauf gesetzt hat, dass sie beide zusammen sie vom Gegenteil überzeugen werden. Zudem ist er eine Künstlerseele, der noch nicht so recht in sich selbst vertraut und den elterlichen Druck verspürt, Arzt zu werden. Doch auch hier zeigen sich gewisse Schwächen, denn es wird immer wieder suggeriert, dass Aidan im Grunde keine Wahl hat, bis sich dann zeigt, dass Claudia (Julia Benson) und Rick (Dalias Blake) sehr wohl unterstützende Eltern sind. Das steht im großen Widerspruch und unterstreicht, dass auch bei Aidan einige Zwischenschritte ausgelassen wurden. Positiv sehe ich wiederum die jeweils besten Freunde Stella (Ayo Edebiri) und Scotty (Nico Hiraga), die eine gute Ergänzung darstellten. Andererseits haben sie auch aufgezeigt, dass sie jeweils mit den anderen beiden ernsthaftere und ehrlichere Gespräche führen konnten, als Aidan und Claire miteinander. Aber sei es drum, das Ende fand ich denn wieder echt gelungen. Denn es war kein rosarotes Happy End; es war ein Bekenntnis zueinander, aber auch eins, das für beide ein Kompromiss bedeutete. Es fühlte sich dadurch gleichberechtigt hat und ich finde auch, dass es ein schöner Gedanke ist, dass beide auf ihre Weise einen Weg im Leben finden, der sich irgendwann zwangsweise wieder kreuzen wird. Letzter Pluspunkt ist dann Fishers Gesang und dass seine ganz eigene Single am Ende genutzt wurde. Diese Verschmelzung von Realität und Fiktion weiß immer zu glänzen!

Fazit

"Der erste Blick, der letzte Kuss und alles dazwischen" hat mich zunächst durch eine ungewöhnliche Erzählweise überrascht, die durchaus etwas für sich hatte, aber auch gleichzeitig gewisse Schwächen verursacht hat. Denn durch die eher rückwärts gewandte Erzählweise fehlt der besondere Funken in der Beziehung von Aidan und Claire und auch gewisse Oberflächlichkeiten bei ihren Charakteren sind nicht verborgen geblieben. Dennoch werde ich diesen Film in einem beliebten Genre definitiv länger im Kopf behalten, auch weil er trotz der Schwächen definitiv durchgängig unterhaltsam war.

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Lena Donth - myFanbase
11.07.2022

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