Weißes Rauschen
Inhalt
USA Mitte der 1980er Jahre: Jack Gladney (Adam Driver) ist an der Universität ein Professor für Hitler-Studien und wird dafür frenetisch gefeiert und überall anerkannt. Privat plagt er sich mit diffusen Todesängsten, obwohl er mit seiner Frau Babette (Greta Gerwig) und ihrer gemeinsamen Patchwork-Familie ein angenehmes Leben führen. Doch sie nimmt eine geheimnisvolle Pille, über die sie keine Auskunft erteilen will und dann kommt es auch noch zu einem Unglück auf der Bahnstrecke, die für eine große schwarze Wolke über dem Stadtgebiet sorgt. Jack versucht für alle so ruhig wie möglich zu bleiben, doch letztlich wird auch er panisch und so treten sie die überstürzte Evakuierung an, was alle möglichen weitere Ereignisse auslöst.
Kritik
Ich bin wahrlich nicht der Typ, der nach Drehbuchautor*in oder Regisseur*in auswählt, aber bei Noah Baumbach kam mir unweigerlich "Marriage Story" in den Sinn, ein Drama, das mich zu berühren wusste. Zudem war eben auch Adam Driver als Hauptdarsteller angekündigt, was eine erneute Zusammenarbeit bedeutete. Es waren also schon einige gewichtige Faktoren, die mich zum Einschalten bewegt haben. Don DeLillo alleine wäre wohl definitiv kein Argument für mich gewesen. Natürlich ist er mir als zeitgenössischer amerikanischer Autor ein Begriff, aber selbst habe ich bislang noch nie etwas von ihm gelesen. Dennoch eilt ihm natürlich ein Ruf voraus und das ist vor allem, wie wenig adaptierbar seine Werke für Film und Fernsehen erscheinen, was dazu passt, dass es tatsächlich bislang nur wenig erfolgreiche Versuche gibt. Für mich ist es nun das erste Mal also und ich muss schon eingestehen, dass der Film sich als große Herausforderung erwiesen hat, auch weil er idealerweise wohl besser gleich mehrfach gesehen wird, um wirklich auch all die inhaltlichen Nuancen aufzunehmen und zu verstehen. Denn klar ist, dieser Film ist definitiv sehr komplex und sicherlich nicht als lustige Gruppenerhaltung geeignet.
"Weißes Rauschen" ist in drei Teile geteilt, weswegen diese Rezension nun auch nach diesen aufgeteilt werden soll. Der erste Teil ist eine Art Einfinden in die Geschichte. Sowohl der Kollegenkreis an der Universität als auch die Patchworkfamilie wird in den Fokus der Handlung gerückt. Vieles erscheint hier völlig absurd. Das beginnt schon mit Jacks Profession und dass wegen seines Hitler-Wissens ein Kult um ihn selbst entstanden ist. Um das auch ja nur aufrechtzuerhalten, nimmt er heimlich Deutschstunden, damit ihm niemand auf die Schliche kommen kann, weil er eben doch eine inhaltliche Lücke aufweist. Doch auch privat hat er ein Geheimnis, denn er wird ständig von Todesängsten heimgesucht, die ihn auch in der Nacht wachhalten. Seiner Frau Babette geht es ähnlich, doch da sie nicht miteinander reden, bleibt dieser Umstand verborgen und still und leise wird ein Keil zwischen sie getrieben. DeLillo wollte mit seinem Roman die omnipräsente Angst in den 1980ern aufgreifen, die besonders bei den gehobenen Schichten stellenweise absurd erschien, weil sie alles zu haben schienen und sich dennoch keine Zufriedenheit einstellen wollte. Das merkt man hier schon deutlich, denn nicht nur ist Jack solo im Beruf erfolgreich, sondern auch die Familie wird trotz vieler interner Diskussionen so inszeniert, dass es zwar ein zusammengewürfelter Haufen ist, aber einer der zusammenhält und wo jeder seinen Teil zu beiträgt. Kollege Murray Siskind (Don Cheadle) wird zwar nicht als eifersüchtiger Faktor genutzt, aber er spricht klar an, dass er seine Elvis-Studien gerne genauso erfolgreich hätte. Die Beweise sind also mehr als deutlich: läuft bei den Gladneys.
Dann aber kommt es zu einem Bahnunglück ganz in der Nähe und da Giftgas transportiert wurde, hängt eine große, bedenkliche Wolke über dem Geschehen. Ausgerechnet an der Stelle bleibt Jack dann tiefenentspannt, obwohl er sich doch eigentlich bestätigt sehen sollte, sein Glück scheint nicht von Dauer zu sein. Während Sohnemann Heinrich (Sam Nivola) sich bestens vorbereitet auf jegliche Art von Katastrophe erweist und mit wissenschaftlichen Fakten um sich wirft, versucht Jack bewusst, den Druck rauszunehmen, doch als dann die Evakuierung über Lautsprecher und alle Medien verkündet wird, da bricht endgültig bei allen Panik aus und wir befinden uns im zweiten Teil. Dieser zweite Katastrophenteil ist ohne Frage an die Corona-Pandemie angelegt. Zwar wird der Giftwolke entsprechend gehandelt, aber wenn auf einmal alle Masken tragen und im späteren Verlauf dann kurz diskutiert wird, warum man nun sicher sei, dass es die Maske nicht mehr brauche, dann sind die Parallelen überdeutlich. Der Film hat aber auf einmal auch eine völlig andere Atmosphäre. Das Geschehen ist nun ganz nah bei den Gladneys und hält mein persönliches Highlight bereit. Als die Familie nämlich vom ersten vermeintlich sicheren Hafen ein weiteres Mal aufbrechen muss, ergeben sich absurde Sequenzen, denn die Panik ist überall, das Tempo ist auf einmal gehetzt und der Film bekommt unerwartete Dynamik. Nachdem das Kuscheltier dann doch noch gepackt werden konnte, hat Jack die fixe Idee, einem einzelnen Auto zu folgen statt der großen Masse. Das führt die Familie durch einen dichten Wald und plötzlich stecken sie im Wasser fest. Kurzfristig wirkt "Weißes Rauschen" wie ein abgedrehter Abenteuerfilm und wird perfekt aufgelöst, als sie endlich mit dem Auto wieder frei sind und der jüngste Sprössling Wilder (Henry & Dean Moore) begeistert äußert, dass er das gerne nochmal machen würde. Da habe ich dann doch laut gelacht. Hiernach folgt aber wieder ein harter Cut, denn nach einem Zeitsprung geht es um die Nachwirkungen dieser kurzfristigen Katastrophe und was das für die Zukunft bedeutet.
Der dritte Teil war für mich persönlich der absurdeste und auch der Teil, wo am deutlichen der Satire-Charakter herausstach, weswegen die Absurdität denn auch kaum noch verwundet, weil es eben ein beliebtes begleitendes Stilelement ist. Während sich Jack der Realität stellen muss, dass nur die Zeit ihm verraten wird, ob die tödliche Wolke und dass er ihr kurzfristig ausgesetzt war, ihn töten wird, geht er Babettes Pillenkonsum auf den Grund, Hiermit wird noch ein weiteres Thema in den Film aufgenommen, die Kritik an Pharmaunternehmen. Lars Eidinger hat in diesem dritten Teil seinen großen Auftritt und wenn man eins über den deutschen Schauspieler weiß, dass extreme Rolle ihm gerade recht sind. Der Film wird zwar an dieser Stelle sehr diffus und die Botschaften werden schwerer zu packen, aber der dritte Teil steht sinnbildlich für den ganzen Film in einem bestimmten Punkt: Die schauspielerische Leistung ist in "Weißes Rauschen" sehr gut. Immerhin ist das ganze Drehbuch von intellektuellen Dialogen gepickt, manchmal vermutlich auch nur pseudoaktuell, um den satirischen Ton zu treffen und so etwas zu spielen, ist eine große Herausforderung, die vor allem Driver, der der dominanteste Teil des Films ist, großartig meistert, aber auch der junge Cast hat meine Bewunderung verdient, weil man eben auch bei den Gladney-Kindern merkt, dass sie schon jetzt die Welt mit ihrem Geist bereichern. Der dritte Teil nimmt schließlich auch noch Glaube und Kirche auf, ein vermeintlich letzter rettender Hafen für Jack und Babette, um mit ihren Ängsten nicht alleine zu sein. Doch dem Film geht es gar nicht um Hoffnungsbotschaften, weswegen personifiziert durch Nonne Hermann Marie (Barbara Sukowa) auch noch darüber mit dem Bulldozer gefahren wird. Lustigerweise bleib nach Beendigung des Films dennoch ein positives Gefühl zurück und dazu trägt der Abspann bei, in dem alle freudig durch den farbenfrohen Supermarkt tanzen. Es ist ein Schlusspunkt, der zu diesem von Themen überfüllten Film passt, der eben oft mehr absurd als ernst gemeint ist und der wieder alles ins Gegenteil kehrt.
Fazit
"Weißes Rauschen" ist eine anspruchsvoll erzählte Satire, die vor allem über die schauspielerische Leistung und die Unterschiedlichkeit ihrer verschiedenen Teile zu punkten weiß. Denn ansonsten hätte man in dem an Themen so vollen Film irgendwann definitiv den Überblick verloren. Es ist dennoch beachtlich, dass DeLillos Vorlage sich als so zeitlos erweist. Auch wenn der zweite Teil an das Pandemiegeschehen bewusst angelegt wurde, alles sonst zeigt, dass die Ängste, Sorgen und Probleme noch dieselben wie vor 40 Jahren sind.
Lena Donth - myFanbase
08.01.2023
Diskussion zu diesem Film
Weitere Informationen
Originaltitel: White NoiseVeröffentlichungsdatum (USA): 30.12.2022
Veröffentlichungsdatum (DE): 08.12.2022
Länge: 136 Minuten
Regisseur: Noah Baumbach
Drehbuchautor: Noah Baumbach
Genre: Komödie, Drama
Darsteller/Charaktere
Adam Driver
als Jack Gladney
Greta Gerwig
als Babette Gladney
Don Cheadle
als Murray Siskind
Raffey Cassidy
als Denise Gladney
Sam Nivola
als Heinrich Gladney
May Nivola
als Steffie Gladney
Henry & Dean Moore
als Wilder Gladney
Danny Wolohan
als Deutschlehrer
Lars Eidinger
als Mr. Gray
Sam Gold
als Alfonse
George Drakoulias
als Cotsakis
Carlos Jacott
als Grappa
André 3000
als Lasher
Jodie Turner-Smith
als Winnie
Francis Jue
als Dr. Lu
Kenneth Lonergan
als Dr. Hookstratten
Barbara Sukowa
als Schwester Hermann Marie
Meggie Loughran
als Schwester Hildergard
J. David Hinze
als Herr Doktor
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