Bewertung
Jaume Collet-Serra

Carry-On

Foto: Sofia Carson & Taron Egerton, Carry-On - Copyright: 2024 Netflix, Inc.
Sofia Carson & Taron Egerton, Carry-On
© 2024 Netflix, Inc.

Inhalt

An Heiligabend erhält Ethan Kopek (Taron Egerton), der als Agent für die TSA am Flughafen arbeitet, einen Anruf über ein Ohrmikro und wird Teil eines tödlichen Spiels. Denn er bekommt von einem Fremden (Jason Bateman) die Anweisung, ein Handgepäckstück durchlaufen zu lassen, damit es in Flugzeug kommt. Ethan ahnt gleich Schlimmes, doch er wird mit dem Leben seiner Freundin Nora (Sofia Carson) erpresst, die ebenfalls am Flughafen tätig ist. Während Ethan der Stimme in seinem Ohr folgt, sucht er immer wieder nach Wegen, um die sich anbahnende Katastrophe doch noch aufzuhalten.

Kritik

Bei Weihnachtsfilmen denkt die Überzahl an Menschen wohl eher an romantische Liebesfilme oder kindgerechte Filme zum Weihnachtsmann, zu Rudolf und was es nicht noch alles an Optionen gibt. Aber es gibt auch die Fraktion, die jahrelang sich sicher sein konnte, dass in der Programmzeitschrift "Stirb langsam" zu finden ist. Der einzige Grund dafür ist der Umstand, dass der Action-Film mit Bruce Willis als Polizist John McClance an den Weihnachtstagen spielt. Ansonsten ist wohl kaum davon zu reden, dass am Ende eine Weihnachtsbotschaft stehen würde. Aber schon wie die neue Netflix-Serie "Black Doves", die sich die spezielle Atmosphäre der nahenden Weihnachtsfeiertage für sich zunutze gemacht hat, versucht es Netflix-Film "Carry-On" ebenfalls und ist damit unweigerlich Vergleichen zu "Stirb langsam" ausgesetzt. Aber auch hier ist schnell ersichtlich, in den spannendsten Szenen besinnliche und fröhliche Weihnachtsmusik zu hören, das erzeugt einen verrückten Kontrast, aber ansonsten ist Weihnachten kein thematischer Träger. Würde man nämlich all die Elemente dazu herauszunehmen, "Carry-On" hätte auch so funktioniert.

Im Fokus steht vor allem Ethan. Nachdem der Film bei Netflix von den Abrufzahlen eingeschlagen hat, wurde nun auch schon angefragt, ob möglicherweise weitere Teile geplant sind. An der Front ist es bislang ruhig, aber ich kann mir schon gut vorstellen, dass im Hinterkopf solche Ideen existierten, als alles entwickelt wurde und das merkt man an Ethan. Er ist in seiner ganzen Persönlichkeit und in seiner Entwicklung über den Film hinweg aufgebaut, solche Actionfilme weiter tragen zu können. Ethan ist nämlich von der Polizeiakademie nicht angenommen wurde und führt seitdem ein eher lustloses Leben, zunächst vor allem auf das Berufliche bezogen, wobei das Private unweigerlich auch davon beeinflusst wird, wem machen wir da eigentlich etwas vor. Während Ethan also scheinbar zufrieden mit seinem Job am Flughafen ist, wo er tagein und tagaus Sicherheitschecks ausführt, ruht in ihm ein extrem wacher und cleverer Geist. Durch die Schwangerschaft von Nora wird das etwas aufgerüttelt, denn es ist klar, dass mit einem gemeinsamen Kind die finanzielle Verantwortung steigen wird. Doch wenn man jahrelang unter seinen Möglichkeiten im Job agiert hat, dann wird man auch nicht ernst genommen. So ist es purer Zufall, dass Ethan an Heiligabend auf einmal zur Probe in der nächsthöheren Jobbeschreibung arbeiten darf.

Bevor dann aber überhaupt das große Mysterium beginnt, ist schon zu merken, dass Ethans Potenzial völlig verschwendet ist, weil er schnell Zusammenhänge erkennt und dementsprechend den Scan der Gepäckstücke auch auf Logik überprüfen kann. Als er dann aber auch die Stimme im Ohr hat, da zeigt sich mehr und mehr Ethans Potenzial. Da er unter ständiger Beobachtung steht und mit Nora erpresst wird, ist er in die Ecke gedrängt und dennoch war es beeindruckend, wie er immer wieder Meter gut gemacht hat. Ethan mag am Ende triumphieren, aber ich muss schon auch loben, dass es mir positiv gefallen hat, dass er nicht wie Phoenix aus der Asche steil gegangen ist. Dafür gab es zwischendurch zu viele Rückschläge, aber er hat durch seinen starken Willen alles für sich hingebogen. Er ist damit der Held der Geschichte, aber deswegen noch lange kein Überflieger. Genau deswegen glaube ich auch, dass weitere Filme möglich sind, denn Ethan hat noch Luft nach oben. Auch wenn sich Egerton zuletzt eher ernsteren Rollen gewidmet hat und Actionfilme immer eine andere Ebene darstellen, hat er mir gut als Ethan gefallen. Carson als Nora war dagegen für mich echt etwas verschwendet. Auch wenn sie oft genug zu sehen war, aber sie wirkte leider so passiv auf mich. Sie hat sich als Leading Lady schon bewiesen, deswegen schade, dass das Drehbuch für sie nur eine Statistenrolle vorgesehen hat.

Es gab noch zwei andere sehr wichtige Figuren. Zum einen war das Elena Cole (Danielle Deadwyler), die für mich der deutlich stärkere weibliche Gegenpart war. Sie hat als LAPD-Detective mit einem untrüglichen Gespür und den Hinweisen, die sie erhalten hat, sofort das Gefühl, dass am Flughafen etwas laufen könnte, doch trifft auf sehr viel Skepsis, obwohl sie genau die richtigen Puzzleteilchen gegeneinander gesetzt hat. Sie war also die zweite Heldin, die der Film brauchte. Dann haben wir natürlich noch die Bösewichte des Films. Jason Bateman ist für mich eigentlich kein typischer Schauspieler, den ich für den Antagonisten casten würde. Er ist sehr breit zu besetzen, Comedy kann er genauso wie Drama. Bei dem preisgekrönten "Ozark" hat er auch die Balance dazwischen wiederholt bewiesen. Dementsprechend hat es mich auch nicht gewundert, dass seine Rolle des Travelers kein klassischer Antagonist war. Durch die Plaudersituation mit Ethan entstand trotz der Bedrohung ein Gefühl von Nähe. Diese Entscheidung fand ich clever, denn wir haben den Traveler immer als charismatische Stimme gehört, wir haben ihn teilweise auch gesehen und obwohl er auf eine Art in seinen Motiven aalglatt ist, fühlte es sich so nicht an. Er wirkt auch empathisch. Über den Knopf im Ohr bekommt er mit, in welche Situationen Ethan gerät, u. a. in einen Streit mit Nora, was er sofort halb mitfühlend kommentiert. Das ist dann wahrscheinlich die hohe manipulative Kunst. Nicht per se böse zu wirken, sondern die Schwächen des Gegenübers zu erkennen und sie für sich zu nutzen, indem man ihnen auf emotionale Weise begegnet, ohne tatsächlich emotional betroffen zu sein.

Bislang habe ich mich in meiner Review vor allem an den Figuren orientiert und das hat durchaus einen Grund, denn der Cast ist enorm riesig. Das Personal an so einem Flughafen wird auch in der Vielzahl gebraucht. Dafür sind echt einige sehr bekannte Namen noch gewonnen worden. Theo Rossi, Logan Marshall-Green, Dean Norris, Sinqua Walls, Curtiss Cook sind nur einige der wenigen. Man merkt bei deren Rollen aber deutlich, dass sie im Gegensatz zu den anderen nur Sparring-Partner sind. Sie haben Funktionen für diesen Film, indem sie Wendungen für die Handlung markieren, aber sie haben keine Persönlichkeit. Das ist im Action-Genre eher wenig überraschend, aber bei funktionalen Rollen hätte man auch etwas an den Gagen der Rollen sparen können, denn dafür hätte es die ganzen bekannten Gesichter nicht gebraucht. Vielleicht passt das auch ein wenig zu meinem allgemeinen Eindruck des Films. Alleine vom Papier her wird alles richtig gemacht. Selbst wenn in dem Genre alles schon irgendwie erzählt ist, aber so ein Flughafen funktioniert als Setting und Ethan ist echt sehr gut geeignet, sich mit ihm in das wilde Abenteuer zu stürzen. Aber mit der Weihnachtsthematik, mit dem Cast, da wollte man alles etwas aufblasen, ohne es dann aber adäquat mit Qualität zu füllen.

Fazit

Ich konnte "Carry-On" sehr gut weggucken. Der Film tut viel für seine Kurzweiligkeit und hat in die zentralen Charaktere auch alles gesteckt, was geht, sowohl schauspielerisch als auch in den Details. Von diesem Kern abgesehen wird der Film dann zu den Rändern hin immer oberflächlicher. Aber das ist oft mein Empfinden bei Action, weswegen ich "Carry-On" insgesamt durchaus als empfehlenswert einstufen würde, auch ganz unabhängig von der Weihnachtszeit.

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Lena Donth - myFanbase
12.01.2025

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