Berlinale 2013: Tag 5
Der fünfte Berlinale-Tag begann für mich mit dem am meist erwarteten Film des ganzen Festivals. Die Fortsetzung der legendär-dialogreichen "Before"-Filmreihe, "Before Midnight", wurde im Wettbewerb außer Konkurrenz gezeigt und erfüllte die kühnsten Erwartungen. Das vielleicht schönste Paar der Filmgeschichte Celine und Jesse sind nach dem bewusst offen gelassenen Ende von "Before Sunset" zusammengeblieben und haben Zwillinge bekommen. Wie auch beim zweiten Teil gab es wieder einen Zeitsprung von neun Jahren und nach der jugendlich-romantischen Leichtigkeit des ersten Teils und des ernsteren und reiferen zweiten Teils entwickelt sich die Geschichte der zwei Liebenden im dritten und vielleicht letzten Teil konsequent weiter. Jesse und Celine kämpfen mit der Last alltäglicher Verpflichtungen und der Stabilität ihrer eigenen Liebe. Die Dialoge sind weiterhin traumhaft schön und pendeln zwischen funkelnder Romantik, humorvoller Spritzigkeit und existenzieller Dramatik hin und her und zeichnen ein ungemein authentisches und aufrichtiges Bild moderner Beziehungen. Bei der diesjährigen Berlinale habe ich bei keinem Film so gelacht und war so angerührt wie bei diesem erneuten Meisterstück, welches den perfekten Abschluss für eine der besten und bemerkenswertesten Filmtrilogien überhaupt bilden würde. Wie schön, ehrlich und außergewöhnlich modernes Kino sein kann, zeigt dieser Film aufs eindrücklichste. Mein bisheriges Berlinale-Highlight, welches schwer zu schlagen sein wird.
Nach diesem Wahnsinnsauftakt hatten es die anderen Filme natürlich umso schwerer und so war der nächste Film "Lovelace", welcher die Geschichte des legendären Pornostars Linda Lovelace erzählt, die in ihrer kurzen Karriere nur einen Pornofilm drehte, damit aber weltberühmt wurde, doch eher eine kleine Enttäuschung. Zwar verkörpert Amanda Seyfried diese ambivalente Persönlichkeit mit einer tiefen Zerbrechlichkeit und auch alle anderen Darsteller stehen ihr da in kaum was nach, trotzdem ist der Film, welcher versucht die Sonnen- und Schattenseiten dieses steilen Aufstiegs nachzuzeichnen, doch arg konventionell geraten. Ein tiefes und vielschichtiges Portrait dieser bemerkenswerten Frau gelingt in den seltensten Fällen. Vieles bleibt oberflächlich und ohne rechten Tiefgang. Schlecht ist dieser Film sicherlich nicht, aber auch nicht wirklich gut. Ein durchschnittliches Werk, welches im regen Festivaltreiben schnell droht unterzugehen. "O.C., California"-Star Adam Brody als Pornostar mit obligatorischem Schnurbart war trotzdem ein Highlight für sich.
Am Abend sah ich mir dann noch zwei sehr unterschiedliche experimentelle Kunstfilme an, die beide recht interessant die Möglichkeiten des heutigen Kinos ausloteten. Zunächst der deutsche Film "Echolot", in dem es um eine Gruppe junger Menschen geht, die nach dem Selbstmord eines ihrer besten Freunde an einem abgeschiedenen Ort zusammenkommen, um diesem zu gedenken und den schwierigen Verlust irgendwie zu verarbeiten versuchen. Ein homogener Spielfilm mit klarer narrativer Struktur war dieser Versuch, Trauer- und Verlustverarbeitung filmisch darzustellen, ganz sicher nicht, eher eine assoziative Vermischung von dokumentarischen und fiktiven Elementen, die über weite Strecken auch ohne große Dialogpassagen auskam. Vielmehr wurden Alkoholexzesse, sexuelle Ausschweifungen und leise Momente tiefer Trauer zu einer Collage menschlichen Leidens verbunden, die poetisch und schmerzhaft zugleich war. Ein mutiger und gewagter Film, der viele vor den Kopf gestoßen hat, weshalb zahlreiche Besucher der Pressekonferenz die Vorstellung des recht kurzen Films auch verließen. Ich persönlich war beeindruckt von diesem intensiven Film über den Umgang von Schmerz, Trauer und Tod. Für solche kleinen Entdeckungen ist ein Festival, wie die Berlinale wie geschaffen.
Zuletzt ging es dann noch in die Vorstellung des Kunstprojektes "Interior.Leather Bar" von James Franco und Travis Mathews, in der die beiden den Versuch unternahmen, die möglicherweise geschnittenen vierzig Minuten des Skandalfilms "Cruising" von William Friedkin nachzustellen. In "Cruising" mit Al Pacino ging es um einen Serienkiller, der Homosexuelle aus der New Yorker S&M-Szene brutal ermordet. Vielmehr als um die Nachstellung der angeblich geschnittenen Szenen, geht es in dem Film eher um die Frage der Darstellung von Homosexualität im Kino und den Versuch Grenzen auszuloten und feststeckende Tabus aufzubrechen. Diese Mischung aus gestellten oder nicht gestellten Szenen der Dreharbeiten und dem fiktiven Filmmaterial selbst ist interessant anzusehen und ein nettes filmisches Experiment, wäre in einem Museum aber wahrscheinlich besser aufgehoben, als auf den großen Leinwänden des Landes. Der Film zeigt aber auch die visionäre Kraft des James Franco, der den modernen Kunstbetrieb mit dieser Produktion weiter aufwirbelt.
Der fünfte Tag bot den bisher besten Film des Festivals, ein eher durchschnittliches Werk und zwei interessante Experimentalfilme. Insgesamt also ein gelungener und vor allem abwechslungsreicher Festivaltag.
Moritz Stock - myFanbase
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