Berlinale 2013: Tag 7
Am späten Vormittag schleppte ich mich in den wie immer völlig überfüllten Berlinale Palast, um mir den ersten Film des Tages anzusehen. Der Festivalalltag kann teilweise schon an den Nerven zerren: Jedes Kino ist überfüllt mit hektischen Menschen, die Beinfreiheit ist meistens eingeschränkt und vor allem Journalisten haben die Angewohnheit sofort nachdem der letzte Satz des jeweiligen Filmes noch nicht mal ausgesprochen ist, aufzuspringen und zum nächsten Film, zur Pressekonferenz oder zum Laptop zu sprinten, um schnell noch zwischen einzelnen Vorstellungen eine Kritik zusammenzuzimmern. Das kann anstrengend sein, doch all diese kleinen festivalalltäglichen Anstrengungen sind vergessen, wenn das Licht ausgeht, der Vorhang sich öffnet und ein Film gezeigt wird, der einen wahrhaft begeistert und berührt.
Dabei versprach der erste Film, "Prince Avalanche", auf dem Papier eher ein Reinfall zu werden: Ein Film von David Gordon Green, der früher mal sehr interessante kleine Independent-Dramen und mit "Ananas Express" eine enorm unterhaltsame Kiffer-Komödie inszenierte, zuletzt aber mit "Your Highness" und "Bad Sitter" zwei übermäßig vulgäre Komödien von der Stangen inszenierte über zwei Typen, die Linien auf der Straße nachzeichnen. Das kann ja was werden. Doch diese zwei Typen werden gespielt von "Into the Wild"-Star Emile Hirsch und dem von mir sehr geschätzten ehemaligen "Friends"-Darsteller und jetzt Komödienstar Paul Rudd. Aber nicht nur wegen dieser beiden tollen Darsteller, bei denen vor allem Rudd eine nuancierte, zwischen Melancholie, Weltschmerz und übermütigem Witz perfekt hin und her pendelnde Performance abliefert, ist dieser Film eines der bisherigen Highlights der Wettbewerbssektion. Dieser Film hat so viele schöne humorvolle Momente, dabei aber gleichzeitig auch einige wirklich herzzerreißende Momente voller Wahrhaftigkeit. Liebesschmerz, Weltangst und Freundschaft werden hier auf eine tiefsinnige, aber nie schwere Art und Weise behandelt. In einem Festival voll bedeutungsschwerer, dramatischer und oft sehr niederschmetternder Filme ist dieses Kleinod eine gelungene Abwechslung. Bei keinem von mir gesehen Film wurde bisher in der Pressevorstellung so laut und hemmungslos gelacht. Das sich sonst eher zurückhaltende Kritikerpublikum schien sehr angetan und das zu Recht. Ein winziger Film über zwei Straßenarbeiter, die Linien zeichnen, avanciert zu der wohl positivsten Überraschung des ganzen Festivals. Dieser Film hat ein großes Publikum und einen breitflächigen Kinostart zweifelsfrei verdient.
Weiter ging es dann mit der groß angekündigten und starbesetzten Romanverfilmung "Nachtzug nach Lissabon", in dem Oscar-Preisträger Jeremy Irons die Hauptrolle eines Lehrers spielt, der auf ein ihn zutiefst bewegendes Buch stößt, welches ihn dazu bringt nach Lissabon zu reisen, um der Lebensgeschichte des Autors nachzugehen. Mit dabei sind auch die deutschen Schauspieler August Diehl und Martina Gedeck und "Alias"-Star Lena Olin. Da ich das Buch leider nie gelesen habe, kann ich keinen direkten Vergleich ziehen, gehe aber davon aus, dass es die Geschichte wesentlich komplexer und vielschichtiger erzählt. Der Film ist hübsch gemacht, unterhält ganz ordentlich und gewährt einen ganz interessanten und teilweise auch berührenden Blick in die portugiesische Geschichte. Trotzdem wird vieles eher oberflächlich abgehandelt, die durch einen Off-Kommentar eingestreuten Passagen aus dem gefundenen Buch wirken im filmischen Kontext nicht so stark und kommen auch zu häufig vor. Die Charaktere entwickeln nicht wirklich ein Eigenleben. Jeremy Irons als sich in einer Lebenskrise befindender Professor leistet aber gute Arbeit und auch die anderen Schauspieler holen das Beste aus ihren Rollen heraus. Besonders beeindruckt war ich von Lena Olin, deren längere Szene am Schluss zu den stärksten des ganzen Films gehört. Insgesamt ein ordentlicher Film, der vor allem von seinen Schauspielern und vereinzelten schön inszenierten Momenten lebt. Ein tiefgreifendes Geschichtsdrama über das diktatorische Regime Portugals zu Zeiten von António de Oliveira Salazar ist dieser Film jedoch leider nicht.
Nachdem wirklich sehr interessanten und aufschlussreichen Interview mit dem Regisseur, dem Drehbuchautor und der Hauptdarstellerin der gestern bereits vorgestellten deutschen Produktion "Endzeit", welches in den nächsten Tagen auch noch bei myFanbase veröffentlicht wird, bewegte ich mich in den letzten Film des Tages. Dabei entschied ich mich für das türkische Drama "Soğuk" von Ugur Yücel, in dem sich ein Mitarbeiter der Eisenbahn in eine russische Prostituierte verliebt. Leider konnte ich mit dieser Geschichte und vor allem auch der Inszenierung überhaupt nichts anfangen. Die Handlungsmotivationen der Charaktere blieben mir schleierhaft, der Geschichte fehlte die rechte Kraft und auch die gesellschaftskritischen Komponenten dieses unterkühlt und unrund erzählten Films haben mich nicht erreicht. Ein Film zu dem ich überhaupt keinen Zugang gefunden habe und dessen tieferer Sinn mir verschlossen blieb. Aber schon allein aufgrund des nächsten großen Berlinale-Highlights "Prince Avalanche" sicherlich kein schlechter Festivaltag.
Moritz Stock - myFanbase
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