Berlinale 2013: Tag 8

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Langsam bewegt sich die 63. Berlinale in die Zielgerade, es bleibt also nicht mehr viel Zeit um die, in den diversen Filmstätten versteckten, filmischen Perlen zu bergen. Der heutige Tag begann zunächst mit der deutschen Dokumentation "Out in Ost-Berlin – Lesben und Schule in der DDR", welches anhand diverser Interviews ein vielschichtiges und interessantes Bild der Schwulen- und Lesbenbewegung in der damaligen DDR zeichnete. Durch die Auswahl der abwechslungsreichen Lebensgeschichten, die Einflechtung persönlicher lebensalltäglicher Erfahrungen und politischer Entwicklungen entsteht breit gefächertes Bild eines kaputten und widersprüchlichen Gesellschaftssystems. Ein guter, nachdenklich stimmender und interessanter filmischer Auftakt des achten Tages.

Unmittelbar danach erwartete mich das nächste ganz große Highlight der diesjährigen Filmfestspiele von Berlin: Die Tragikomödie "Frances Ha" von Noah Baumbach mit Greta Gerwig in der Hauptrolle einer 28-jährigen jungen New Yorkerin, die versucht ihre Vorstellungen von Selbstverwirklichung und persönlichem Glück im unbarmherzigen Großstadtalltag zu verwirklichen. Ein in wunderschönen Schwarz-Bildern gestalteter und mit einem liebevollen, herzerwärmenden Humor durchzogener Film über das Leben, die Freundschaft und das späte Erwachsenwerden. Die Themen des Films passen gut zur HBO-Serie "Girls", aber auch zum deutschen Selbstfindungsfilm "Oh Boy" mit Tom Schilling. Das ganz große Highlight dieses Films, der dankenswerterweise auf plumpe Liebesgeschichten verzichtet und sich ganz auf den steinigen Lebenswert seiner unheimlich charismatischen Hauptprotagonistin konzentriert, ist Independent-Sternchen Greta Gerwig, die die pointiert geschriebenen Dialoge mit einem Charme und einer Power vorträgt, dass einem ganz schwindelig wird. Man leidet, lacht und träumt mit diesem ganz starken Frauencharakter in diesem bemerkenswerten Film, der Ernsthaftigkeit, Wahrhaftigkeit und Humor wunderbar miteinander kombiniert. Nach der anschließenden Pressekonferenz, die traurigerweise sehr spärlich besucht war, bekam ich noch die Gelegenheit ein paar Worte mit Greta Gerwig selbst zu wechseln, die nicht nur auf der Leinwand ungemein sympathisch ist, sondern auch im direkten Austausch. Rauschen viele Schauspieler nach der Pressekonferenz ganz schnell weg, blieb sie da und nahm sich für jeden, der Fragen hatte oder noch ein Foto wollte, ausreichend Zeit. Eine ganz bemerkenswerte Frau und Schauspielerin, von der noch ganz viel zu erwarten ist.

Nach dieser wunderschönen Erfahrungen mit "Frances Ha" und Greta Gerwig selbst, legte ich eine kleine Pause ein, um mir dann am Abend noch zwei weitere, völlig unterschiedliche Filme anzuschauen, von denen der eine fast schon bewusstseinserweiternd war. Doch zunächst sah ich mit den deutschen Film "Zwei Mütter" an. Ein Spielfilm über die Bemühungen eines lesbischen Paars ein Kind zu bekommen. Interessantes Thema, spröde Umsetzung, die im Fernsehen besser aufgehoben wäre. Die Regisseurin kommt aus dem Dokumentarfilmbereich und das merkt man dem Film auch in jeder Szene an. In einem dokumentarisch, unterkühlten Stil erzählt sie von der Diskriminierung und dem langen Leidensweg lesbischer Paare, sich den Traum eines Kindes erfüllen zu können. Der Film, der auch von dem langsamen Auseinanderbrechen einer Beziehung erzählt, hat einige starke Momente und auch der bewusst offen gelassene Schluss ist durchaus interessant gestaltet. Doch insgesamt entwickelt der Film nie einen wirklichen Spannungsbogen und weiß mit der tieferen Charakterisierung seiner Figuren auch nicht allzu viel anzufangen. Insgesamt also eher eine Enttäuschung.

Nichtsahnend besuchte ich dann direkt danach die Vorstellung des amerikanischen Independent-Films "Upstream Color". Ich hatte von dem Regisseur des Films bisher kaum etwas gehört und auch sein Erstlingswerk nicht gesehen. So bin ich ohne großes Vorwissen, völlig unbekümmert in diesen Film gestolpert und nun um eine ganz besondere filmische Erfahrung reicher. Ich würde hier gerne etwas über den Inhalt dieses symbolisch aufgeladenen, fragmentarischen, eine Metaebene auf die nächste schichtenden artifiziellen filmischen Kunstwerk sagen, doch dies ist nicht möglich, da ich auch nach der Sichtung des kompletten Films nicht wirklich weiß, worum es ging. Die in wunderschönen Bild- und Tonkompositionen gestalteten angerissenen Themen sind konstruierte Identitäten mentale Verbindungen zwischen Mensch und Schwein, die Beziehung zwischen Mensch und Natur, den Kampf um Einzigartigkeit, Erinnerungskonstruktionen, Liebe, Leid, Tod und noch vieles mehr. Eine abschließende Bewertung nach nur einer Sichtung ist hier schwer, fest steht aber, dass Regisseur Shane Carruth die erzählerischen Konventionen des modernen Kinos komplett auseinandergenommen, neu zusammengesetzt und etwas komplett Neuartiges erschaffen hat, welches auf einer weniger handlungskontrierten, als vielmehr auf einer sinnlichen Ebene funktioniert. Der Film ist eine chaotische Sinfonie des Wahnsinns, den man sich sicherlich mehrmals ansehen muss, um alle enthaltenen Elemente zu entdecken. Forderndes Kopfkino also, was in seiner Wahnwitzigkeit teilweise anstrengt, aber auch fasziniert. Für solche Entdeckungen, die in den großen Kinos des Landes wohl nie gezeigt werden, ist ein Festival wie gemacht. Auf die Frage, was der Film nun also eigentlich konkret ist, antwortete der Regisseur im anschließenden Publikumsgespräch nur: "Es ist, was es ist." Mehr ist dem nicht hinzuzufügen.

Moritz Stock - myFanbase

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