Review Staffel 1 - "A voice of a generation"
Es ist schon erstaunlich, wie sich eine junge Frau namens Lena Dunham innerhalb weniger Monate ins Rampenlicht Hollywoods katapultieren konnte. Während vor ihrem ambitionierten Serienprojekt "Girls" allerhöchstens ein eingefleischter Fan amerikanischen Independentkinos etwas von ihr gehört haben könnte ("Tiny Furniture" gewann 2010 drei renommierte Awards), so stand ihr Name ab Ende März 2012 in quasi jedem Branchenmagazin. Man war gespannt auf das TV-Debüt der Mittzwanzigerin, die ihr erstes Fernsehprojekt gleich mal bei HBO unterbrachte und niemand anderen als Judd Apatow ("Beim ersten Mal", "Brautalarm") als Mentor, Befürworter und Mitproduzenten hinter sich stehen hatte.
"Girls" ist Lena Dunhams Baby, keine Frage. Als Autorin, Regisseurin, Produzentin und Protagonistin ist Dunham die treibende kreative Kraft des 30-minütigen Dramedyformats und verausgabt sich dabei in jeder dieser vier Funktionen. Sie schreibt enorm pointierte, oft unterschwellig sehr humorvolle Dialoge und legt dabei jeder der vier Hauptcharaktere – die schusselige Hannah Horvath (Dunham), die organisierte Marnie (Allison Williams), die freisinnige Jessa (Jemima Kirke) und die naive Shoshanna (Zosia Mamet) – die richtigen Worte in den Mund. Sie inszeniert die Episoden mit einem Händchen für die richtigen Perspektiven und Schnitte, kombiniert mit einem hervorragenden Soundtrack. Und sie erschafft mit Hannah eine dreidimensionale, authentische Figur, die bei weitem nicht gegen Fehler und Missgeschicke gefeit ist, aber dennoch eine unglaubliche Liebenswürdigkeit ausstrahlt.
Hannah ist der Dreh- und Angelpunkt von "Girls" und steht definitiv für eine Art von Frauenfigur, wie man sie sonst selten im Fernsehen sieht. Endlich einmal eine junge Frau, die ihre Fehler nicht mit einem zuckersüßen Augenaufschlag wettmachen kann (vgl. Jess aus "New Girl"), die nicht immer sofort eine Retourkutsche parat hat (vgl. Lorelai aus "Gilmore Girls") und nicht mit perfektem Aussehen und Figur aufwartet (vgl. ungefähr alle Frauencharaktere zeitgenössischen Fernsehens). Hannah hat viele Ecken und Kanten, und gerade das macht sie interessant. Sie hat Gewichtsprobleme, ihr fehlt die Inspiration fürs Schreiben, sie hat einen schwul gewordenen Ex-Freund, einen verrückten Fast-Freund, und trägt ihr Schicksal trotzdem (meist) mit Fassung. Neben Hannahs Erlebnissen und Eskapaden bleiben – und das ist eigentlich der einzige wirklich große Kritikpunkt, den man der ersten Staffel von "Girls" vorwerfen kann – die anderen drei Charaktere leider oft im Hintergrund. Marnie macht innerhalb der ersten zehn Episoden zwar eine nachvollziehbare und wichtige Entwicklung durch – sie trennt sich von ihrem langjährigen Freund –, und auch Jessa hat einige wichtige Szenen – die in einer großen Überraschung im Finale kulminieren –, doch sie bleiben merklich im Hintergrund. Gerade Shoshanna, die mit ihrer Ausgangssituation ein großes Potential für einen charakterlichen Reifeprozess gehabt hätte, wird fast komplett außen vor gelassen.
Neben den vier Girls glänzen auch die großartig konzipierten Nebencharaktere. Allen voran der oft sehr eigenartige, anfangs als kompletter Idiot agierende Adam (Adam Driver), Hannahs Affäre und später Freund, den man im Sekundentakt hasst und dann wieder liebt. Er entpuppt sich jedoch trotz seiner Verrücktheit als ein aufrichtiger, ehrlicher Typ mit erstaunlicher Vielschichtigkeit. Auch Marnies Freund Charlie (Christopher Abbott) sowie dessen Kumpel Ray (Alex Karpovsky) bereichern die Charakterpalette. Der allgemeinen Kritik an "Girls", dass die Serie die ethnische Vielfalt New Yorks überhaupt nicht repräsentiere – es gibt keinen einzigen nicht-kaukasischen Haupt- oder Nebencharakter – schließe ich mich allerdings an. Dunham gelobte aber bereits Besserung für die kommende zweite Staffel, in der unter anderem Donald Glover diese Kritik zum Verstummen bringen soll.
Was "Girls" letztlich besonders auszeichnet, das ist die Erfüllung eines an sich selbst erhobenen Anspruchs: nämlich eine (wohl gemerkt nicht "die") Stimme einer Generation zu sein ("a voice of a generation", wie Hannah im Piloten sagt). "Girls" ist weder das umgedrehte noch das neue "Sex and the City". Dunham gibt hier einer Generation eine Stimme, die mit dem perfekten Schein der Film- und Serienwelt aufgewachsen ist und aufwächst, die glaubt, das eigene Glück läge in der Perfektion, die die Medien tagtäglich vorgaukeln. Doch das Leben sieht vielmehr so aus wie das in "Girls", wo Beziehungen, Sex, Freundschaft und Berufsleben bei weitem nicht so perfekt sind, ja teilweise ziemlich unperfekt sind. In diesem Sinne bietet "Girls" eine Plattform der Identifikation für junge Leute, die sich in der ein oder anderen Figur oder Situation wiedererkennen, und wenn das nicht der Fall ist, zumindest darüber lachen können. Wo frühere HBO-Projekte wie etwa "How To Make It In America" gescheitert sind, kann sich "Girls" nun etablieren und zumindest einen Ausschnitt davon zeigen, was es bedeutet, im neuen Millennium Mitte 20 zu sein: das Phänomen verlängerter Adoleszenz, berufliche und private Unsicherheit, das Gefühl, sich festlegen zu müssen, es aber gar nicht zu wollen und der Wunsch, endlich zu wissen, was man eigentlich will.
Maria Gruber - myFanbase
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