Die Lieblings-Dystopien der myFanbase-Redaktion - Teil 1

Foto:

Dystopien erfreuen sich einer schier nie endenden wollenden Beliebtheit. In dieser Masse ist es gar nicht so leicht, die besten Werke zu finden. Die myfanbase-Redaktion hat in dieser neuen Ausgabe des Listenfiebers ihre persönlichen Lieblingsdystopien zusammengestellt.

Melanie Wolff meint:

Foto: Copyright: Verlagsgruppe Random House GmbH
© Verlagsgruppe Random House GmbH

Richard Bachman – "Menschenjagd"

Im Jahr 2025 lebt Benjamin Richards mit seiner Frau und seiner schwerkranken Tochter in einer slumähnlichen Wohnsiedlung in einer heruntergewirtschafteten und verdreckten Megacity, in der es faktisch keine Demokratie mehr gibt. Regierung und Fernsehanstalten haben sich zu großen Kooperationen zusammengeschlossen und bieten den desillusionierten Menschen makabere Gameshows, um sie bei Laune zu halten. Richards sieht sich aufgrund seiner finanziellen Schwierigkeiten dazu gedrängt, in der beliebten Show "Running Man" mitzumachen, einer Reality-Show, in der Richards von professionellen Killern gejagt wird. Für jede überlebte Stunde gewinnt seine Frau ein Preisgeld von 1000 Dollar. Sollte es ihm gelingen, einen ganzen Monat durchzuhalten, schenkt man ihm das Leben.
"Menschenjagd" ist eine wahnsinnig düstere Zukunft, die Stephen King unter dem Pseudonym Richard Bachman entwickelt hat. Es ist unglaublich spannend zu lesen, wenn Richards sich durch eine Welt kämpfen muss, in der der voyeuristische Zuschauer nach dem Ende seines Lebens lechzt und Richards keine andere Wahl hat, als sein trostloses Leben in den Ring zu werfen, um vielleicht doch noch sein Kind zu retten, obwohl er sich sicher ist, dass eine Welt wie diese kaum lebenswert ist. Das unerwartete Ende, das für King so typisch ist, setzt dieser Dystopie die Krone auf und hinterlässt nicht nur einen desillusionierten Protagonisten sondern auch einen tief beeindruckten Leser.

Philip K. Dick - "Träumen Androiden von elektrischen Schafen?"

Ein Klassiker unter den dystopischen Romanen ist zweifelsohne Philip K. Dicks "Träumen Androiden von elektronischen Schafen?". Vielen dürfte das Thema des Buchs eher in Form des Films "Blade Runner" mit Harrison Ford ein Begriff sein: Die Menschheit lebt mit den Folgen eines nuklearen Krieges, der die Erde und seine Lebewesen stark in Mitleidenschaft gezogen hat. Tiere sind zu einem seltenen Luxusgut und Statussymbol geworden, während sich das Gros der Bevölkerung nur noch lebensnahe, mechanische Imitate leisten kann. Kopfgeldjäger Rick Deckard jagt in dieser trostlosen Welt technisch immer ausgereiftere Androiden, Replikanten genannt, die aufgrund des rasanten Fortschritts immer menschlicher zu werden scheinen. Ursprünglich wurden sie entwickelt, um Arbeiten auf entfernten Planeten zu verrichten, in der Hoffnung, der Menschheit irgendwo anders eine zweite Chance zu geben. Diese Hoffnung ist jedoch so gering, dass die meisten Bewohner der letzten großen Städte ihre Zuflucht in bewusstseinsverändernden Drogen suchen und sich mit sinnentleertem Fernsehen die Zeit vertreiben. Auch aufgrund der immer gefährlicheren Arbeiten zieht es die Replikanten zurück auf die Erde, wo sie von Deckerd unschädlich gemacht werden sollen. Ihm fällt es mit der Zeit immer schwerer, Replikanten von echten Menschen zu unterscheiden.

Das zentrale Thema des Buches kreist daher immer wieder um die Frage der Menschlichkeit: Was macht uns zu dem, was wir sind? Während Androiden beginnen, willentliche Entscheidungen treffen zu können, stumpfen die Menschen immer mehr ab und verlieren jegliche Gefühlsregung. Am Ende bleibt die Frage zurück, wer hier wen jagt: Menschen Maschinen oder Roboter andere Roboter, die gefangen sind in einer fremdbestimmten Welt ohne Aussicht auf Besserung.

Foto: Copyright: Rowohlt Verlag
© Rowohlt Verlag

Cormac McCarthy – "Die Straße"

Eines der für mich beeindruckendsten Bücher überhaupt stellt Cormack McCarthys "Die Straße" dar. Ein namenloser Mann zieht mit seinem Sohn durch ein von einem Feuer zerstörten Amerika durchs Land auf der Suche nach Rettung oder wenigstens einer Zuflucht, die sich jedoch schnell als Irrglaube erweist. Stattdessen treffen sie auf Menschen, die sich gegenseitig jagen, während die Schwächeren den Starken als Nahrungsquelle dienen und Letztere nicht einmal davor zurückschrecken, Neugeborene zu verspeisen, um zu überleben. Diese Schockmomente sind sehr spärlich gesetzt und es ist auch nicht der Ekelvoyeurismus, der das Buch so grandios macht. Es ist die hoffnungslose Leere der Ausgangssituation und der unbändige Lebenswille des Vater-Sohn-Gespanns, das sehr genau weiß, dass es in der Welt, in der sie gefangen sind, keinen Funken Hoffnung mehr für sie gibt. Doch ihnen bleibt nichts anderes übrig, als weiter zu wandern und von einem Tag in den nächsten zu leben, wohl wissend, dass jeder neu angebrochene Tag ihr letzter sein könnte.

Der minimalistische Schreibstiel McCarthys, gepaart mit den detaillierten Szenenbeschreibungen und dem langsamen Erzählstil, machen den Roman zu einem unglaublich intensiven, herzzerreißenden und am Ende emotional vernichtenden Meisterwerk, das in keiner Sammlung eines Lesers fehlen sollte. Woanders würde man sagen: Ganz großes Kino!

Stephen King – "The Stand. Das letzte Gefecht"

Ja, ein zweiter Stephen-King-Roman hat es in meine Liste der besten Dystopien geschafft. Es ist eines seiner früheren Bücher, in der der Horror nicht sehr plakativ beschrieben wird, sondern seine Kraft aus der Hoffnungslosigkeit und dem Wunsch nach Hoffnung bezieht.
Der größte Teil der Menschheit wurde durch ein Grippevirus dahin gerafft. Die wenigen Überlebenden ziehen durchs Land in der Hoffnung, etwas Essbares und Unterschlupf zu finden. Während einer Gruppe in ihren Träumen eine geheimnisvolle schwarze Frau in einem Haus nahe eines Maisfeldes erscheint, hat die andere Hälfte der Überlebenden Visionen eines Lumpenmanns namens Randall Flagg, der in Las Vegas einen totalitären Staat errichten möchte und Interessierte mit allerhand zivilisatorischen Annehmlichkeiten lockt. Bald stellt sich heraus, dass Flagg das personifizierte Böse ist, ein Abgesandter des Teufels, der das jüngste Gericht einläuten und die Menschheit in die Apokalypse führen soll. Ihm steht nun die kleine Gruppe um Abigail Freemantle entgegen. Es kommt zu einer Schlacht von Gut gegen Böse.

"The Stand" ist ein wahnsinnig gutes, fast schon epochales Buch, das von der grandiosen Szenenbeschreibung, der Detailtreue und einer Bildgewalt verfügt, zu der im Horrorbereich fast nur Stephen King fähig ist. Ehe sich der letzte Kampf (oder das letzte Gefecht) um die Seele der Menschheit entfacht, führt der Meister der Horrorliteratur seine Leser durch eine trostlose, entvölkerte Welt, in der die verbliebenen Menschen desillusioniert und ziellos umherirren, in der Hoffnung, etwas zu finden, das ihnen ihr altes Leben wiederbringt. Dadurch sind sie jedoch am verwundbarsten und empfänglich für die Versuchungen des Teufels, der eine immer größere Armee um sich schart und auch das letzte Quäntchen Hoffnung zerstören möchte. Das Buch ist ein wahrer Wälzer und mit über 1100 Seiten Kings längstes Werk. Es ist deswegen nicht einfach, sich zu überwinden, es in die Hand zu nehmen, doch wer sich auf "The Stand" einlässt, wird nicht nur mit einem bahnbrechenden Kampf Gut gegen Böse belohnt, sondern mit einem Meisterwerk der Dystopie-Literatur, in der es um weit mehr geht als nur zu Überleben.

Übersicht | Nächste Seite

Kommentare