Der Deutsche Buchpreis 2015: Shortlist
Kaum wurde die Shortlist des Deutschen Buchpreises bekanntgegeben ging ein Aufschrei durch die Feuilletons und Literaturblogs des Landes: kein Clemens Setz? Aber nein, kein Clemens Setz. Der heimliche Favorit, der bereits 2009 und 2012 unter die besten sechs kam, wurde in diesem Jahr mit seinem 1000-Seiten Epos "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre" nicht ins Finale gewählt. Auch davon abgesehen entbrannten wie jedes Jahr Diskussionen über die nominierten Titel und über Sinn und Zweck des oftmals kritisierten Buchpreises (so untersagten Ralf Rothmann und Andreas Maier dem Suhrkamp-Verlag bereits im Vorfeld, ihre Romane einzureichen). 2015 erweist sich die Auswahl als erstaunlich heterogen – manch einem Kritiker ist sie sogar zu heterogen, ergo an äußeren Faktoren wie einer Frauenquote ausgerichtet. Auffällig ist die Abwesenheit von DDR-Romanen, die in der Vergangenheit gerne ausgezeichnet wurden. Wir werfen einen Blick auf die sechs Romane, die es auf die Shortlist geschafft haben. Am Abend des 12. Oktobers wird in Frankfurt der Sieger gekürt.
Frank Witzel – Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 (Matthes & Seitz)
Fünfzehn Jahre lang hat Ralf Witzel an seinem Roman mit dem einprägsamen Titel gearbeitet, in dem er die deutsche Gesellschaft der ausklingenden 1960er Jahre seziert und dabei in einer hyperaktiven Sprache zwischen den Ereignissen hin- und herspringt. Aus der ganz eigenen Sicht eines Teenagers rekonstruiert er die Geschichte der RAF und interpretiert dabei die führenden Köpfe der Terrorgruppe um.
Chancen: In der deutschen Literaturkritik hagelte es neben einigen Verrissen vor allem Lobeshymnen für Witzels Romanexperiment. Auch beim Buchpreis hat der Schriftsteller gute Chancen. Die Jury kann durch die Wahl eines literarisch anspruchsvollem Werk zum einen beweisen, dass sie nicht so konservativ ist, wie dem Deutschen Buchpreis mitunter vorgeworfen wird, sondern auch innovative Romane auszeichnet, zum anderen dreht es sich auch hier um des Deutschen Lieblingsthema: die Aufarbeitung der nahen Vergangenheit des eigenen Landes.
Rolf Lappert – Über den Winter (Carl Hanser Verlag)
Einen Künstler mittleren Alters ereilt im Ausland die Nachricht, dass seine Schwester gestorben ist. Er reist zurück nach Deutschland und somit zurück in seine eigene Vergangenheit. Zuhause muss er sich mit dem Rest der Familie auseinandersetzen. In Rückblenden wird das Leben dreier Generationen geschildert.
Chancen: Ein Gesellschaftsroman als Buchpreisträger? Warum eigentlich nicht. Auch wenn viele Kritiker Lapperts "Über den Winter" als einen Gesellschaftsroman "light" abgestempelt haben, könnte er für einen Überraschungserfolg sorgen.
Inger-Maria Mahlke – Wie Ihr wollt (Berlin Verlag)
Der Titel gibt bereits einen deutlichen Hinweis auf das Thema des Romans: das englische Königshaus im 16. Jahrhundert. Die kleinwüchsige Mary Grey, eine Cousine von Elisabeth I., steht seit Jahren unter Hausarrest. Der Rest ihrer Familie ersten Grades wurde bereits hingerichtet und auch ihr steht das gleiche Schicksal bevor. Aber Mary Grey begehrt auf.
Chancen: Inger-Maria Mahlkes Roman war kein Publikumserfolg, wurde aber für seinen satirischen Witz von der Kritik hochgelobt. Die Wahrscheinlichkeit, dass "Wie Ihr wollte" den Deutschen Buchpreis mit nach Hause nimmt, ist trotzdem gering. Das Thema ist zu speziell und vor allem zu englisch.
Monique Schwitter – Eins im Anderen (Literaturverlag Droschl)
Die Handlung erinnert entfernt an Nick Hornbys "High Fidelity": Eine Frau mittleren Alters rekapituliert vergangene Lieben und erzählt in zwölf Kapiteln von den zwölf Männern, die ihr Leben prägten.
Chancen: Klar, Liebe ist DAS Motiv der Literatur, kaum ein Klassiker der Weltliteratur hat die Liebe nicht zum zentralen Thema. Trotzdem hat die Schweizerin Monique Schwitter die Außenseiterrolle inne. Die Jury des Deutschen Buchpreises tendiert dazu, Romane mit aktuellen gesellschaftlichen und politischen Themen auszuwählen.
Ulrich Peltzer - Das bessere Leben (S. Fischer Verlag)
Der Wirtschaftsroman des Jahres stammt von Ulrich Peltzer. In "Das bessere Leben" treffen zwei Männer mittleren Alters aufeinander. Der eine hat angeblich mit Versicherungen zu tun, finanziert sich sein Leben aber bevorzugt durch Erpressung und Korruption, während der andere Sales Manager eines Konzerns ist, der in der Krise steckt.
Chancen: Auch wenn Ulrich Peltzer das Schwergewicht dieser Liste ist, stehen seine Chancen nicht hoch. Zu sperrig die Sprache, zu unlesbar das Buch, beschwerten sich nicht wenige Leser im Netz. Da beim Deutschen Buchpreis nicht nur auf die literarischen Qualitäten eines Romans, sondern auch auf Vermarktungsmöglichkeiten geachtet wird (nicht zuletzt in Hinblick auf das nahende Weihnachtsgeschäft), hat ein schwer zugänglicher Roman keine großen Chancen.
Jenny Erpenbeck – Gehen, ging, gegangen (Knaus Verlag)
Ein emeritierter Professor ist auf der Suche nach einer Tätigkeit, um die vielen leeren Stunden in seinem Leben auszufüllen. Am Berliner Oranienplatz begegnet er afrikanischen Flüchtlingen, die in einem Altersheim in der Nähe seiner Wohnung untergebracht werden. Er beschließt, die Männer zu besuchen und hofft dadurch, auf seine grundlegenden Sinnfragen eine Antwort zu finden.
Chancen: Jenny Erpenbeck konnte beim Verfassen ihres Romans natürlich nicht ahnen, welche Dimensionen die Flüchtlingskatastrophe in diesem Sommer annehmen würde. Ihr kommt die Aktualität ihres Themas natürlich zugute. Einige Beobachter meinen zwar, dass "Gehen, ging, gegangen" zu naheliegend wäre, um wirklich als Sieger hervorzugehen. Aber nur weil der Sieg für Erpenbeck auf der Hand liegt, muss er ja nicht nicht geschehen.
Isabella Caldart - myFanbase
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