FlashSideways
Während die ersten Staffeln auf Flashbacks setzen, durch die der Zuschauer mehr über die einzelnen Charaktere und deren Leben vor dem Absturz erfahren hat, setzen die Staffeln drei bis fünf auf FlashForwards. Nachdem die Oceanic Six die Insel verlassen haben, sehen die Zuschauer, was mit ihnen seit der Flucht von der Insel passiert ist.
In der sechsten Staffel wählten Damon Lindelof und Carlton Cuse nun ein ganz anderes Stilmittel - den FlashSideway. Zunächst sah es so aus, als hätte Juliets Opfer, die Atombombe zu zünden, tatsächlich Früchte getragen. Der Flug Oceanic 815, der von Sydney nach Los Angeles unterwegs war, stürzte nicht über dem Pazifik ab. Die Charaktere landeten sicher auf LAX.
Doch die FlashSideways sind keineswegs eine alternative Realität, kein "was wäre wenn" zum Leben auf der Insel. Vielmehr zeigen sie ein Leben, das die Charaktere gehabt haben könnten, gäbe es die mysteriöse Insel nicht. So ist Sawyer kein Betrüger, sondern ein Polizist, der jedoch noch immer auf der Suche nach dem Mörder seiner Eltern ist. Jack ist verheiratet mit Juliet und kämpft nach dem Tod seines Vaters um eine gute Beziehung zu seinem Sohn David. Desmond arbeitet für Pennys Vater Charles Widmore. Hurley wiederum genießt seinen neuen Reichtum, ist beliebt in der Bevölkerung und nahezu omnipräsent in Los Angeles.
Doch einige Charaktere stehen vor den gleichen Problemen, vor denen sie auch auf der Insel standen. Kate ist auf der Flucht vor einem US-Marshal, Claire ist auf dem Weg zu der Familie, die ihr Kind adoptieren will und Charlie ist ein abgehalfterter Musiker, der sich in Alkohol und Drogen flüchtet.
Im Laufe der Zeit verweben sich die FlashSideways. Bereits auf dem Flughafen trifft Sawyer auf die fliehende Kate und lässt sie gewähren, obwohl er ihre Handschellen sieht. Locke trifft auf Jack, der ihm schließlich anbietet, sich um seinen kaputten Rücken zu kümmern und Claire sitzt zufällig im gleichen Taxi, mit dem auch Kate flüchten möchte.
Dass hinter den FlashSideways mehr stecken muss als nur eine alternative Realität, bemerkt schon bald Desmond, der durch das Eingreifen von Charlie das Auto in einen See steuert und dabei Flashes von seinem Leben auf der Insel sieht und sich auch an Penny erinnert, die er in der alternativen Realität nie kennen gelernt hat. Von diesem Zeitpunkt an beginnt er, die einzelnen Charaktere so zusammen zu bringen, dass sie sich an ihr Leben auf der Insel erinnern können, was ihm zum Teil recht einfach gelingt.
So führt er zunächst die beiden Geschwister Claire und Jack zusammen, bevor er dafür sorgt, dass sich die Wege von Libby und Hurley kreuzen. Auch Libby ahnt, dass sie einst ein anderes Leben führte und kann dieses Leben auf der Insel schließlich auch Hurley zeigen, als sie ihn küsst. Nach und nach machen alle Charaktere die gleiche Erfahrung und erinnern sich an das, was sie einst hatten.
Und als sich am Ende der Serie auch Jack endlich den Flashes öffnet, steht er seinem Vater gegenüber, der ihm erklärt, dass diese Realität von allen kreiert worden ist, um sich wieder zu finden, nachdem sie gestorben sind.
Die FlashSideways haben uns das Leben nach dem Tod gezeigt, eine Art Fegefeuer, eine Übergangsphase, die es ermöglichen soll, mit dem Leben abzuschließen und loszulassen. In der Welt von "Lost" ist der Tod nicht das absolute Ende, sondern nur das Ende des weltlichen Lebens. Dabei lässt man offen, was nach dieser Zwischenwelt passiert: Gehen die Losties "ins Licht"? Leben sie im "Himmel" weiter? Werden sie wiedergeboren? Für den Moment zählt jedoch nur, dass sie alle im Tod wieder vereint sind.
Ein jeder Charakter erhält einen "Moment der Erkenntnis": Jin und Sun beim Ultraschall, als sie ihr Kind Ji-Yeon sehen; Aarons Geburt unter Beisein von Kate und Charlie; Lockes Erwachen nach der OP, als er seinen Fuß bewegen kann; Sawyer und Juliet am Süßigkeitenautomaten; Sayids und Shannons Wiedersehen vor der Bar. Diese Momente führen die Charaktere an Punkte, an denen sie glücklich waren und die sie jetzt noch einmal erleben dürfen.
Und auch die beiden ewigen Kontrahenten Jack und Locke, der Mann der Wissenschaft und der Mann des Glaubens, die stets gegeneinander standen und am Ende doch auf der gleichen Seite landen, kommen zu einem guten Abschluss. Dass Jack in seinem "Fegefeuer" die Chance bekommt, Locke zu helfen und zu heilen, ist wie eine Heilung für ihn selbst: "If I can fix you Mr. Locke, that's all the peace I need", so Jack in dem Dialog mit Locke vor der OP. So ist es Jack, der Locke seinen Moment der Erkenntnis ermöglicht.
Jack selbst erkennt erst durch seinen Vater, dass er ein Leben auf der Insel hatte und akzeptiert, dass er bereits tot ist. Dann geht er zu den anderen und es kommt zu einem Wiedersehen alter Freunde, ehemaliger Kontrahenten, die nun am Ende einer langen Reise stehen.
Melanie Wolff & Maria Gruber - myFanbase
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