Bewertung
Ledisi

Turn Me Loose

Vier Grammy-Nominierungen und bei uns vollkommen unbekannt? Leider kein Einzelfall. Doch myFanbase hat ja die Macht, dies zu ändern... Also, verehrte Leserinnen und Leser, das ist Ledisi: Die Tochter einer R'n'B-Sängerin trat bereits als Achtjährige mit einem der in den US-Südstaaten raren Sinfonie-Orchestern auf. Später sang sie in Chören, Musicals und Revues und studierte Oper und Klavier in Berkley. Nachdem sie ihre selbst gegründete Soul- und Jazz-Combo bei keinem Label unterbekam, gründete sie einfach ihr eigenes und brachte so zwei Platten raus. Auf die wurden Hörer, Kritiker und endlich auch Plattenbosse aufmerksam, und so ist "Turn Me Loose" ihr mittlerweile zweites Release bei einem großen Jazz-Label.

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Doch es ist kein Jazz. Von dem hat Ledisi sich eh schon mit dem letzten Album ein Stückchen verabschiedet und führt dies nun umso drastischer fort. Vielmehr ist es souliger, gerne mal rockiger Funk. Oder funkig rockender Soul – egal. Blues, Hip-Hop und R'n'B sind zudem auch ganz deutlich Einflüsse. Nicht zuletzt daher wäre es zu tief gestapelt, sie mit S(oul)p(op)rockerin Anastacia zu vergleichen. Stimmlich passt der Vergleich mit Ayiesha Woods, vor allem wenn's in die rauen, röhrenden Gefilde geht. Wenn sie höher und klarer singt, fühlt man sich an Labelle, wenn sie fast punkig shoutet an Tina Turner erinnert. In urbanen R'n'B-Nummern wie "Higher Than This" dann an Mary J. Blige und Mary Mary, was ja heute in jenem Genre fast selbstverständlich ist, bei all den anderen Killertracks aber echt nicht nötig für Ledisi erscheint und daher auch nie die erste Single hätte werden sollen.

Der gefühlvolle Nachfolger "Alone" zeigt dann nämlich, dass sie durchaus fähig ist, sich den drei Marys anzunähern, ohne ihren Fingerabdruck zu verlieren und genug retro zu bleiben. Dass sie auch den heute immer noch charts-tauglichen Motown drauf hat, zeigt sie im mit Raphael Saadiq geschriebenen und zu einer smoothen Bassline groovenden "Love Never Changes". Die zweite Collabo der zwei kommt danach fast etwas zu lockerleicht daher, "Knockin'" knallt dann aber endlich wieder ordentlich und könnte auch gut von Macy Gray oder The Raveners gecovert werden.

Mit "Say No" kommt daraufhin der einzige Titel, der in die Jazz-Ära der Sängerin und Songschreiberin gepasst hätte und gleichzeitig aus diesem Grund dafür sorgt, dass die auch von Whitney Houston hätte stammen könnende R'n'B-Ballade "Goin' Thru Changes" danach nicht irritiert. Und als wären all diese Griffe in die verschiedenen Stilschubladen nicht genug, gibt es in "I Need Love" auch noch einen atmosphärischen Elektrosound, der gemeinsam mit Ledisis melancholischem Gesang an Elaine Hanley erinnert. Und danach mit "Trippin'" Reggae- bzw. Dub-Anklänge, die sofort Nneka in den Kopf rufen, sowie einen zuerst spärlich akustischen, dann mit Streichern und Gospelchor sich steigernden Titel namens "The Answer to Why", der auch aus India.Aries Fingern hätte stammen können. Irgendwie glaubt man die ganze Platte lang auch, die junge Chaka Kahn würde heute genau diese Musik machen, die es schafft gleichzeitig frisch und erwachsen, modern und old school zu sein.

Bei so vielen Vergleichen und Facetten kann der Eindruck entstehen, ein Künstler habe kein Profil. Oder der, dass es keine stimmige Platte sein kann. Falsch. Beide Aussagen könnten nicht weniger zutreffen. Es passt stilistisch und es ist musikalisch stimmig. Letztlich auch vor allem deshalb, weil die Dame selbst in keine Schublade passt – was sie laut eigener Aussage, auch wenn es uns bereits nach Lesen ihrer Biografie klar war, nach Fertigstellung des Albums auch endlich für sich selbst annehmen konnte.

Jene Unsicherheit von vorher hört man interessanterweise genauso wie das Selbstbewusstsein, das sie mittlerweile erlangt hat. "I confess, I'm a mess and I'm tryin' to catch up to life. The clock keeps tickin' away and I'm losin' myself everyday", würde nicht jeder so kraftvoll, frech mit funkingen Gitarrenriffs unterlegt im ersten Song des Albums herausposaunen. Und dass ganze vier Lieder das Wort "Veränderung" bereits im Titel haben, zeigt, dass hier ein lebensgeprüfter Mensch das Anliegen hat, etwas mitzuteilen: "If I could change my world, things would be the same. There would still be love and pain ‘cause without it, I would never change. "

Fazit

Wohl wahr: Everything changes. Ledisis dynamische Stimme zum Glück genauso wenig wie ihre Leidenschaft und die Qualität ihrer Arbeit. Und die haben definitiv die Macht, (nicht nur) myFanbase-Leserinnen und -Leser zu Ledisi-Hörerinnern und -Hörern bzw. –Liebhaberinnen und –Liebhabern zu machen.

Anspieltipps

Runnin'

Turn Me Loose

Love Never Changes

I Need Love

Trippin'

Them Changes

Artistpage

Ledisi.de

Tracks

1.Runnin'
2.Everything Changes
3.Turn Me Loose
4.Higher Than This
5.Alone
6.Love Never Changes
7.Please Stay
8.Knockin'
9.Say No
10.Goin' Thru Changes
11.I Need Love
12.Trippin'
13.The Answer to Why
14.Them Changes

Micha S. - myFanbase
25.03.2010

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