21
Es gibt so etwas wie den Zweitalbums-Fluch – nach einem erfolgreichen Debütalbum gelingt es jungen Künstlern mit dem zweiten Album oft nicht, an die schwindelerregenden Höhen ihres Debüts anzuknüpfen. Duffy, mit der Adele oft verglichen wird, kann ein Lied davon singen. Mit ihrem Zweitwerk "21", dem Nachfolger des Album-Bestsellers "19", gelingt es der 22-jährigen Londonerin Adele Adkins nicht nur diesem Fluch zu entkommen, sondern auch, ein frühes musikalisches Highlight für das Jahr 2011 zu setzen, welches sich wohltuend von den Autotune-Orgien in den Charts abhebt.
Was mag fabelhaft genug sein, um die Fußstapfen von "Hometown Glory" und "Chasing Pavements" ausfüllen zu können, mag sich vielleicht manch Liebhaber von Adeles erstem Album gefragt haben - schließlich gehören beide Lieder schon jetzt zu Klassikern, die ob ihrer Zeitlosigkeit und Qualität auch noch in zwanzig Jahren ihren Platz auf dem iPod oder in der heimischen CD-Anlage finden werden.
Die Antwort ist drei Minuten und 48 Sekunden lang, eröffnet das Album und trägt den Titel "Rolling in the Deep". Leise und zurückhaltend setzt das Lied an, nur von einer akustischen Gitarre angestimmt und baut sich immer weiter auf, bis es in einem wehmütigen "we could have had it all" ausbricht. Retrosoul-, Blues- aber auch modernere Einflüsse prägen den Song. Obwohl Adeles Verletzlichkeit durchaus ihren Part spielt, wird der Song vor allem von einem gesunden Kampfgeist getragen, der durch die fast allgegenwärtige Trommel auch ein instrumentales Antlitz erhält. "Rolling in the Deep" ist ein perfekter, ja, brillanter Soulsong, der die Stimmkraft der Britin komplimentiert und durch eine erfrischende Instrumentalisierung unterstützt. Die Hookline macht den Song zu einem Ohrwurm, seine Qualität sorgt dafür, dass er sich dennoch nicht abnutzt. Zusammen mit Erfolgsproduzent Paul Epworth liefert Adele hier ein kleines Meisterwerk ab.
Wer einen Blick in die Songwriting-Credits des zweiten Songs wirft, könnte kurz mit dem Gedanken spielen, "Rumour Has It" zu überspringen – immerhin wurde der Song von Ryan Tedder mitgeschrieben, der in der Vergangenheit repetitive Refrainschleifen wie in Beyoncés "Halo" ("I can see your halo halo halo, I can see your halo halo halo, I can see your halo halo halo") verbrochen hat. Doch die Vorbehalte erweisen sich als unberechtigt, denn "Rumour Has It" überrascht positiv. Die Nummer ist recht schnell, sie ist soulig angehaucht, sie spielt ein wenig mit gewohnten Klangstrukturen und sie zeigt Adele von einer kecken, frechen Seite. Das Fingerschnippen im Hintergrund sorgt für zusätzlichen Pepp.
Tiefer Schmerz und Liebeskummer halten in der Klavierballade "Turning Tables" wieder Einzug. "I won't let you close enough to hurt me" singt sie – und man kann förmlich die Pein spüren, die aus ihren Poren strömt und fühlt sich mit ihr in ihrer Trauer vereint. Der Song demonstriert nicht nur eindrucksvoll das stimmliche Können der jungen Künstlerin, er ist auch ein mächtiger Beleg für ihre Fähigkeit, Emotionen zu transportieren und den Zuhörer damit anzustecken.
Um Liebeskummer geht es auch im Song "Don't You Remember". Die Ballade hat einen starken Country-Unterton – Einflüsse, die Adele aus ihrer letzten Tour in Amerika mitgenommen hat. Ist der Song die Neuerfindung des Rads? Nein, sicher nicht. Aber es ist allemal sehr gefälliger Country-Pop, der sich schnell im Ohr festsetzt und den Zuhörer erreicht. Jeder saß schon einmal zu Hause und hat sich nach einer Person gesehnt, die einen vermutlich schon längst aus ihren Gedanken gestrichen hatte.
"Set Fire to the Rain", eine Produktion von Fraser T. Smith, hat bereits aus einer Entfernung von hundert Kilometern kommerziellen Erfolg auf der Stirn geschrieben. Das muss nichts Schlechtes sein und ist es in diesem Fall auch nicht, denn obwohl kein anderer Song auf dem Album so auffällig mit dem Mainstream flirtet, glänzt der Song dennoch mit schönem Pop-Rock. Der Titel ist unglaublich kraftvoll und erweist sich gerade im Refrain als ein musikalisches Epos. Noch besser hätte es dem Track zu Gesicht gestanden, wenn er nicht ganz so überproduziert wäre, aber "Set Fire to the Rain" ist dennoch extrem gelungen und gehört mit zu dem Besten, was "21" zu bieten hat.
Dieses Niveau kann das Album nicht durchgehend aufrechterhalten. "He Won't Go" mit seinen Hip-Hop- und R&B-Anleihen hat durchaus Potential und Groove, schafft es aber nicht, seine selbst gesteckten Grenzen aufzubrechen – zu mehr als einem "nett" reicht es nicht.
"Take It All" klingt wie eine Kreuzung eines Alicia-Keys- und Sarah-McLachlan-Songs, was keineswegs als Kritik zu verstehen ist. Adele stellt hier einmal mehr ihren beeindruckenden Stimmumfang unter Beweis und präsentiert eine leicht heisere Komponente in ihrer Stimmfarbe. Leider fehlt dem Track trotzt seiner Gefälligkeit ein entscheidender Höhepunkt.
"I'll Be Waiting" ist einer der schnelleren Songs und liefert stellenweise herrlichen Old-School-Soul. Bedauerlicherweise ist das Arrangement im Refrain fast Migräne induzierend. Insgesamt handelt es sich um eine der schwächeren stimmlichen Darbietungen auf "21". Man mag es kaum aussprechen, aber klingt sie an der einen oder anderen Stelle nicht sogar leicht schief?
"I know it ain't easy giving up your heart" singt sie dann im Gospel-/Bluestrack "One and Only" und fleht anschließend "I dare you to let me be your, your one and only" – so hinreißend, dass es einem fast das Herz zerbricht. Ähnlich ergreifend ist ihre schöne, simpel gehaltene Interpretation von The Cures "Lovesong".
Den Höhepunkt ihres Albums liefert Adele aber zum Schluss. "Someone Like You" ist vermutlich eine der schönsten Liebeskummer-Balladen aller Zeiten. Adele sinniert hier darüber, wie ihre ehemalige große Liebe inzwischen verheiratet und glücklich ist, während sie selbst diesem Menschen noch nachtrauert und ihn aufsucht, in der Hoffnung, er werde ihre Gefühle bemerken. Doch es gibt kein Happy-End und ohne Bitterkeit singt sie "never mind, I'll find someone like you, I wish nothing but the best for you, too". Aber spätestens wenn sie die Worte "don't forget me, I beg" anstimmt, spürt man ihren tiefen, unendlichen Schmerz, der einem fast ins Herz schneidet. Die lakonische Feststellung "sometimes it lasts in love but sometimes it hurts instead" ist wohl die ergreifendste Zeile des ganzen Albums.
Der Track berührt einen im tiefsten Inneren und beim Hören kullert auch die eine oder andere Träne. Ein einziges kleines Manko hat der Song – er ist in der Liveversion um zwei Klassen besser. Adele hat ihn letztes Jahr in der britischen Musikshow "Later… with Jools Holland" und bei den diesjährigen BRIT-Awards gesungen. Beide Liveauftritte waren ergreifender als der Studiotrack. Warum weist die Albumversion im Vergleich zur Liveversion einen schnelleren Rhythmus und an einigen Stellen eine höhere Tonlage auf? Diese Änderungen schmälern das emotionale Potential, das der Song besitzt – aber eine Eins minus ist am Ende dennoch eine Eins.
Fazit
Adele Adkins hat ihre Emotionen nach der Trennung von ihrem jetzigen Ex-Freund dazu genutzt, ein brillantes Album zu kreieren, das voller Emotionen steckt und ihre großartige Stimme perfekt zur Geltung bringt. Man mag kaum glauben, dass eine 22-Jährige in der Lage ist, Songs mit solcher Lebensweisheit und so viel erlebtem Schmerz zu verfassen, aber tatsächlich hat sie – das The-Cure-Cover "Lovesong" ausgenommen – an allen Liedern mitgeschrieben.
Wer vom Album eine emotionale Achterbahn erhofft – von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt – wird schnell enttäuscht sein. Fast alle Songs befinden sich auf der dunkleren Seite des Gefühläquators. "21" ist eine Ode an den Liebeskummer, eine Liebeserklärung an den Schmerz. Manche Tracks wie "Rolling in the Deep", "Someone Like You", "Turning Tables" und "Set Fire to the Rain" brillieren und hören sich schon beim ersten Hören der Platte wie Singleauskopplungen an, wieder andere wie z.B. "Take It All" sind eher reine Albumtracks. Das ist aber vollkommen in Ordnung so, denn diese Platte ist ein klassisches Konzeptalbum, das unter dem Motto "Liebeskummer" steht. Jeder einzelne Song auf "21" trägt seinen Anteil zum Gesamtbild bei.
Bei einigen Liedern wie etwa "Set Fire to the Rain" hätte man sich eine leicht dezentere Produktion gewünscht, wieder anderen wie z.B. "He Won't Go" hätte mehr Mut und Ideenreichtum gut getan. Insgesamt liefert Adele jedoch ein wunderbares Album ab und stellt einmal mehr unter Beweis, dass sie zu Recht zu den talentiertesten Künstlerinnen unserer Generation gezählt wird.
Anspieltipps
Set Fire to the Rain
Someone Like You
Rolling in the Deep
Artistpage
Tracks
1. | Rolling in the Deep | |||
2. | Rumour Has It | |||
3. | Turning Tables | |||
4. | Don't You Remember | |||
5. | Set Fire to the Rain | |||
6. | He Won't Go | |||
7. | Take It All | |||
8. | I'll Be Waiting | |||
9. | One and Only | |||
10. | Lovesong | |||
11. | Someone Like You |
Eva T. - myFanbase
24.02.2011
Diskussion zu dieser CD
Weitere Informationen
Veröffentlichungsdatum (DE): 21.01.2011Genre: Soul, Blues
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