Billie-Eve
Manch einer empfindet den Wunsch "Bleib so wie du bist" als Kompliment, weil er sich angenommen und geliebt fühlt. Für manch anderen ist ein solcher Satz dagegen ein No-Go, weil er sich doch weiterentwickeln und verbessern will. Letztlich ist wohl beides wichtig und richtig: Sich treu bleiben und sich gleichzeitig verändern. Ayọ, die Sängerin mit dem Punkt unter dem "O", schafft diesen Spagat seit ihrem Debüt wunderbar. Ihre Stärken und Charakteristika nie als Grundfeste verlierend hat doch jedes Album einen anderen Ton und unterschiedliche Facetten und Experimente.
"Joyful", ihr Erstling von 2006, lud zum Träumen und Kuscheln ein, war durch Gitarre, Akkordeon und Mundharmonika sehr akustisch. Das zwei Jahre jüngere "Gravity At Last" war einerseits bluesiger, andererseits beatorientierter und damit reggae-mäßig tanzbarer. "Billie-Eve" überrascht jetzt mit E-Gitarren und einigen rockenden Stücken. Ayọ weiß diese Wandlung gekonnt zu inszenieren, wenn der erste Track mit zarten Klavier-Läufen beginnt, sich mit der Zeit aber in ein fesselndes Feuerwerk aus verzerrten Gitarren-Klängen, pulsierenden Drums und leidenschaftlichem Chorgesang verwandelt. Auch in der ersten Single "I'm Gonna Dance" darf Lenny Kravitz' Stamm-Gitarrist Craig Ross wieder ordentlich in die Seiten hauen, während die 30jährige Rheinländerin so kratzig und punkig wie nie zuvor singt.
In "My Man" wird's kurzeitig mal funkig, während mit "We've Got To" das Albumhighlight aus dem Gospel-Genre kommt und die Stimme der UNICEF-Botschaftlerin genauso glänzen lässt wie Ross' Fingerspiel. Das nicht mal zweiminütige "Believe" sticht eindeutig am meisten heraus, ist es doch eher ein Track von Saul Williams, Rapper aus der New Yorker Poetry-Slam-Szene, bei dem Ayọ "nur" für den Hintergrundgesang und die Gitarre sorgt. An diesem Stück werden sich wohl die Geister scheiden: Musikalisch eindeutig gut und spannend, wirkt es – anders als das Jackson 5-Cover "I Want You Back" – auf mich wie ein Fremdkörper zwischen den anderen Titeln.
Grundfeste ihrer Lieder sind weiterhin ihre soulige Stimme, die mal samtweich, mal rauchig oder feurig daherkommt und sowohl an Sophie B. Hawkins, als auch an India.Arie ("Testimony Vol 2.: Love & Politics") erinnert, sowie ihre Musik zwischen Soul, Folk und Reggae. Lockerleichte und smoothe Titel schreibt die Tochter eines Nigerianers und einer rumänischen Roma immer noch als würden sie ihr ganz einfach zufallen. Die neue E-Gitarre fügt sich in ruhigere Songs wie "Real Love" dann auch so gut und dezent ein als gehörte sie schon immer zu Ayọs Orchester. Und wenn sie dann mal fehlt, trumpft die Ehefrau von Reggae-Sänger Patrice ("Free-Patri-Ation") mit dem Fokus auf ein anderes Instrument auf, wie in "It's Too Late", wenn ein Piano so süß eingesetzt wird, dass man über Ayọs Können nur staunen kann.
Und dann wären da ihre Texte: Ähnlich wie bei einer Lauryn Hill sollte man die Songs nicht nur als relaxte Hintergrundmusik nutzen, sondern sich tatsächlich die Zeit nehmen und ganz genau hinhören, nachlesen und drüber nachdenken, denn die Dame hat etwas mitzuteilen. Das wird schon im Opener klar: "How many people really speak their minds? How many people really stand for something? How many people go and follow blind?" Ja, das ist direkt. Noch entwaffnender sind die Strophen! Weiterer Klartext im zweiten Song: "I wanna live, I wanna give, I wanna have sex, I wanna feel good." Ayọ hat nichts zu verstecken, auch nicht die Drogensucht ihrer Mutter, die jene ins Gefängnis und ihre Kinder ins Heim gebracht hat, und die "Black Spoon" inspiriert hat. Später, im Klagelied "Julia", nimmt Ayọ einen gefangen, wenn sie selbst fast zu weinen beginnt; "I Can't" hat allein durch seinen bitteren Text den gleichen Effekt. Einen intelligenten Geist und ein leidenschaftliches Herz hat die Mutter zweier Kinder eindeutig.
Fazit
Vermutlich wird wieder nur Frankreich begreifen, welch gutes Album Joy Olasunmibo Ogunmakin – so Ayọs bürgerlicher Name – hier (zumindest was Songwriting und Produktion betrifft im Alleingang) geschaffen hat. Definitiv ihr ausgeklügeltes, reifstes und gleichzeitig auch best-unterhaltendes Werk – genauso vielfältig und offen wie eigen und charakteristisch. Wie gesagt, Spagat kann sie...
Anspieltipps
How Many People?
I'm Gonna Dance
Julia
We've Got To
Artistpage
Tracks
1. | How Many People | |||
2. | I'm Gonna Dance | |||
3. | Black Spoon | |||
4. | I Can't | |||
5. | Flowers | |||
6. | Real Love | |||
7. | Julia | |||
8. | My Man | |||
9. | It's Too Late | |||
10. | Who Are They? | |||
11. | We Have Got To | |||
12. | Before | |||
13. | It Hurts | featuring Matthieu Chedid | ||
14. | Believe | featuring Saul Williams | ||
15. | I Want You Back (Bonustrack) | |||
16. | I Know a Place (Bonustrack) |
Micha S. - myFanbase
19.04.2011
Diskussion zu dieser CD
Weitere Informationen
Veröffentlichungsdatum (DE): 18.03.2011Genre: Soul
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