Hurry Up, We're Dreaming
Episch solle es werden, das fünfte Studioalbum von M83. Sehr, sehr, sehr episch sogar, ließ Anthony Gonzalez im Vorfeld der Veröffentlichung von "Hurry Up, We're Dreaming" voller Stolz anklingen. Es wäre ein Leichtes gewesen, diese Worte als einen Anflug von Größenwahn abzutun, hätte nicht der spektakuläre Vorbote "Midnight City" die Hoffnung auf einen in der Tat monumentalen Wurf geschürt. Und doch stellt sich im Endeffekt die Ernüchterung ein, dass auch der begnadetste Künstler nicht vor den Tücken eines Doppelalbums gefeit ist.
Stand der Vorgänger "Saturdays = Youth" noch ganz im Zeichen nostalgisch-melancholischer Adoleszenzhymnen à la "We Own the Sky", so stellt das aktuelle M83-Album einen Schritt zurück ins Kindesalter dar. Zurück zu jenem weitgehend unbeschwerten Lebensabschnitt, in dem der Phantasie noch keine Grenzen gesetzt sind und mit offenen Augen ebenso ungeniert geträumt werden darf wie mit geschlossenen. Unüberhörbar schwelgt Anthony Gonzalez in Erinnerungen an eine sorglosere Zeit und mischt bei der Gelegenheit so manch prägendes Klangelement aus den 1980ern unter seine vorwiegend elektronischen Kompositionen mit Dream-Pop-Anleihen. Gleichzeitig macht er aber mit "Hurry Up, We're Dreaming" einen nicht ganz unwesentlichen Schritt nach vorne: Neue Bekanntschaften werden geschlossen ("Stridulum II"-Sirene Zola Jesus darf beim Intro mitmischen), neue Herausforderungen furchtlos in Angriff genommen (Gonzalez greift erstmals selbst zum Mikrofon).
Aus musikhandwerklicher Sicht geht der mittlerweile in den USA beheimatete Franzose bei seinem Streifzug durch die Kindheit in die Vollen, lässt keinen Produktionskniff unversucht. Das Resultat eines insgesamt drei Jahre andauernden kreativen Schöpfungsprozesses ist ein nicht weniger als 22 Lieder umfassendes Doppelalbum, auf dem sich gleich mehrere potentielle Karrierehighlights tummeln. Besonders den schwelgerischen und dicht arrangierten Wall-of-Sound-Stücken "My Tears Are Becoming a Sea" und "Echoes of Mine" gelingt es, einen ebenso guten ersten wie bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Man kann gar nicht umhin, sich vor dem geistigen Auge auszumalen, wie großartig diese kraftvollen Melodien als Untermalung eines bildgewaltigen Filmepos wirken würden. Aber auch abseits großer kompositorischer Gesten kann der bewandte Musiker glänzen, etwa im Form der sich trügerisch zaghaft anschleichenden Ballade "Wait". Zu den anfangs verhaltenen, mit lediglich ein paar dezenten elektronischen Farbtupfern versehenen Akustikgitarrenklängen gesellt sich nach und nach ein ganzes Orchester, das den textlichen Schwermut der Nummer gekonnt in Szene setzt. Es bleibt wahrlich nichts unversucht, um den Hörer trotz Überlänge bei der Stange zu halten.
Und doch lässt es sich seltsamerweise nicht abschütteln, das ungute Gefühl der Übersättigung, das einen mit fortschreitendem Albumkonsum beschleicht. Vermag der fünfte M83-Wurf im Kleinen noch so sehr zu überzeugen, wirkt er als Gesamtwerk doch irgendwie überladen und unfokussiert. Das anfängliche Staunen über die imposante stilistische Vielseitigkeit weicht über kurz oder lang dem Gefühl, dass "Hurry Up, We're Dreaming" ein roter Faden fehlt, der einem auf der immerhin 72-minütigen Reise durch Gonzalaz' phantastische Traumwelt den Weg weist. Groß ist daher die Verlockung, einfach eine Handvoll persönlicher Favoriten auf die mit "Lieblingslieder 2011" betitelte Playlist zu packen, während das Album selbst ins CD-Regal wandert und nur mehr an Tagen mit sehr viel Zeit und Muße hervorgekramt wird. Was bleibt, ist somit die ernüchternde Erkenntnis, dass der Grat zwischen einem ambitionierten und einem überambitionierten Werk ein schmaler ist.
Fazit
Selbst wenn man der im Titel versteckten Aufforderung ordnungsgemäß Folge leistet, fällt es schwer, auf der an sich gelungenen musikalischen Reise durch die Kindheitserinnerungen von Anthony Gonzalez nicht den Anschluss zu verlieren. Für den Alltagskonsum doch eine Spur zu lang und verworren geraten, weiß "Hurry Up, We're Dreaming" auf Songebene letztlich mehr zu begeistern als auf (Doppel-)Albumlänge.
Anspieltipps
Intro
Midnight City
Wait
This Bright Flash
My Tears Are Becoming a Sea
Echoes of Mine
Artistpages
Tracks
CD 1 | 1. | Intro | featuring Zola Jesus | |
2. | Midnight City | |||
3. | Reunion | |||
4. | Where the Boats Go | |||
5. | Wait | |||
6. | Raconte-Moi Une Histoire | |||
7. | Train to Pluto | |||
8. | Claudia Lewis | |||
9. | This Bright Flash | |||
10. | When Will You Come Home? | |||
11. | Soon, My Friend | |||
CD 2 | 1. | My Tears Are Becoming a Sea | ||
2. | New Map | |||
3. | OK Pal | |||
4. | Another Wave From You | |||
5. | Splendor | |||
6. | Year One, One UFO | |||
7. | Fountains | |||
8. | Steve McQueen | |||
9. | Echoes of Mine | |||
10. | Klaus I Love You | |||
11. | Outro |
Willi S. - myFanbase
03.11.2011
Diskussion zu dieser CD
Weitere Informationen
Veröffentlichungsdatum (DE): 14.10.2011Genre: Independent, Elektro
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