The Lateness of the Hour
Es ist eine Schande, wenn gute Musik erst durch den Einsatz in einem Werbeclip Popularität erlangt, verheizt wird und dann als ein One-Hit-Wonder in den Köpfen und CD-Regalen der Menscheheit zurück bleibt. Feist erfuhr dieses Schicksal vor fünf Jahren, Yael Naim vor vier und Emiliana Torrini vor drei. Empire of the Sun waren vorletztes Jahr dran, Paul Kalkbrenner vergangenes Jahr und aktuell könnte es The Overtones so ergehen. Und Alex Clare. Dem verhalf eine Microsoft-Werbung sogar auf Platz 1 unserer Charts.
Zuvor verhalf ihm diese Firma aber erst einmal wieder zurück in seine Plattenfirma. Die hatte ihn nämlich schon rausgeschmissen, weil letztes Jahr sein Debütalbum genauso wenig Käufer ranschaffte wie seine drei Singles. Ein Jahr später ist der Brite dank des neuen Internet Explorers in aller Munde und Ohren, schaffte es sogar über dem Teich in die Charts und bei uns gar höher als in seiner eigenen Heimat. Das Lied ist aber einfach auch zu gut, transportiert eine unglaubliche Atmosphäre und hebt sich nicht nur dadurch vom restlichen Radiogedudel ab.
Schön, dass man über die anderen elf Songs das gleiche sagen kann. Mit diesen schafft Alexander G. Muertos – so sein korrekter Name – nämlich einen musikalischen Spagat, der in der Theorie nicht so einfach klingt: Den zwischen Liedermachertum und Clubtauglichkeit. Alex schreibt wie ein sensibler Songwriter, singt leidenschaftlich soulig und das über den ultratiefen Bassläufen und minimalistischen Elektrospielereien des Dubsteps. Der Drahtseilakt zwischen den Stilen gelingt perfekt mit einer Ausnahme: "Hands Are Clever", ein souliger Stampfer mit Bläsern und funkigem Straßenchor, ist zwar eine tolle Nummer aus dem Hause Eg White (der schon Joss Stone, Adele und Florence & the Machine Hits bescherte), wirkt in diesem Songgefüge aber etwas fehl am Platz.
Die meisten anderen Lieder stammen aus der Produzentenschmiede der Dubstep-Experten Diplo und Switch, die nach M.I.A.s "Paper Planes" für Leute wie Beyoncé, Santigold, Robyn und Christina Aguilera angeheuert wurden und nun dem mittlerweile 27-jährigen Briten seinen Sound maßschneiderten. Der Einsatz von Live-Instrumenten war ihnen besonders wichtig und so klingen die 46 Minuten unheimlich dicht und intensiv.
Mit Ausnahme der sehnsüchtigen Klavierballade "I Won't Let You Down" am Ende der Platte brummt auf "The Lateness of the Hour" stetig der Bass. Im Opener "Up All Night" tut er das im Wettstreit mit schnorrenden Gitarren, pulsierenden Beats und Alex' bluesiger Stimme. "Treading Waters", der Titel danach, zeigt dann sofort das weite Spektrum des gläubigen Juden, indem er hier höher und vor allem gefühlvoller singt. Das verzerrte Elektrospiel und ein zitternder Beat verhindern, dass es zu ruhig wird.
Davor, neben Synthieklängen düstere Streicher ("Relax My Beloved") oder technisches Klatschen und Vogelgezwitscher ("Hummingbird") einzusetzen, scheut sich hier keiner, im Gegenteil: Ganz bewusst wird so einerseits verhindert, dass die Musik zu einseitig wird, und andererseits, dass Gefühle zu kurz kommen. Und darin ist der Nord-Londoner mit seiner ausdrucksstarken Stimme zwischen James Morrison, Finkenauer und David Gray ein Meister. Gegen Ende der Scheibe zeigt er das in einigen ruhigeren und sphärischen Stücken, die zurückhaltender instrumentiert wurden und dennoch gewaltige Bilder schaffen. "Tightrope" sticht da noch mal besonders hervor: So relaxed wie Shawn McDonald singend wird er hier nur von Bass, Bassdrum und Snare begleitet. Eindrucksvoll auch das legendäre "When Doves Cry", das Prince – ungewöhnlich für die 80er – bewusst ohne Bass-Line ließ und nun mit einer solchen wohl zum besten Cover neben den Versionen von Quindon Tarver und Ginuwine zählt.
Fazit
Es ist eine Chance, wenn Werbung gute Musik bekannt macht. Schade ist's, wenn nach dem großen Hit dann nichts mehr kommt, das Bekanntheitsgrad und Ansehen aufrechterhält. Alex Clare ist zu wünschen, dass man über ihn in ein paar Jahren anderes sagen kann. Stimme, Sound, Schreibtalent und die nötigen Produzentenfreunde dazu hat er. Das Label und seinen Willen behält er hoffentlich.
Anspieltipps
Up All Night
Treading Water
Too Close
When Doves Cry
Tightrope
Artistpage
Tracks
1. | Up All Night | |||
2. | Treading Water | |||
3. | Relax My Beloved | |||
4. | Too Close | |||
5. | When Doves Cry | |||
6. | Humming Bird | |||
7. | Hands Are Clever | |||
8. | Tight Rope | |||
9. | Whispering | |||
10. | I Love You | |||
11. | Sanctuary | |||
12. | I Won't Let You Down |
Micha S. - myFanbase
16.05.2012
Diskussion zu dieser CD
Weitere Informationen
Veröffentlichungsdatum (DE): 13.04.2012Genre: Soul, Dubstep
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