Magic Hour
Vor sechs Jahren irritierten fünf Amis unser Land. Nicht nur mit einem quietschbunten Video, sondern vor allem mit der Rückkehr der ohrwurmfreudigen Discomusik der 70er ins Radio. Vor zwei Jahren irritieren sie erneut, denn die Leichtigkeit der Glitzerhippies war auf "Night Work" der elektronischen Härte und düsteren Undergroundatmosphäre der 80s gewichen. Nur zwei Jahre später sind die Scissor Sisters nun bereit, erneut mit ihrer Weiterentwicklung zu irritieren, während ihre Musik wie gewohnt in die Beine geht.
So geschieht es im Opener. "Baby Come Home" ist das Catchigste, was die Schwestern seit "Whole New Way" gemacht haben, nutzt das Honky-Tonk-Piano so gut wie "Take Your Mama" damals und geht so direkt in die Gehörgänge wie die besagte Irritationssingle "I Don't Feel Like Dancing" (aus "Ta-Dah!"). Das erinnert an Elton John, das bringt den Soul, das hat John Legend ("Evolver") – der sitzt nämlich an den Tasten und unterstützt stimmlich.
Leider kommt an Stelle zwei der Platte schon der erste Einbruch. "Keep Your Shoes On" klingt, auch wenn es textlich noch einige Schritte weiter geht, wie will.i.ams "I Got It From My Mama". Wen Kat Grahams Sprechgesang zu Ethno-Trommeln damals schon genervt hat, der wird auch hier nichts Positives finden. Nicht abgekupfert, aber ähnlich austauschbar ist die erste Single "Only The Horses". Individualität scheint nicht Calvin Harris' Produktionsstärke zu sein – das spezielle Quartett lässt er hier wie jeden x-beliebigen euphorisch-seelenlosen Clubact aussehen.
Dass man Jake Shears Falsett-Stimme und den Geist seiner Band besser nutzen kann, zeigt ein anderer angesagter US-Produzent: Pharrell Williams (von N.E.R.D.) bringt mit dem gleichzeitig chilligen und gefühlvollen "Inevitable" die Bee Gees in die Moderne. Amber Martins Diva-Vocals im Background sind da nur das I-Tüpfelchen. Das nachfolgende "Year of Living Dangerously" wurde von Diplo mitgeschrieben, fährt nicht ganz auf dem Niveau von "Inevitable", ist auch kein zweites "Land of Thousand Words", an das es nicht nur vom Titel her ein wenig erinnert. Es hat aber mit dem melancholischen Violinspiel von Hahn-Bin über futuristisch-blubbernden Synthie-Effekten eine gewinnbringende Zutat und lässt den Wunsch nach mehr als knapp vier Minuten Spielzeit entstehen.
Mit "Let's Have a Kiki" folgt der sowohl merkwürdigste, als auch ansteckendste Track. Sprechend singend fordert Ana Matronic über blechernden Ethno- und brodelnden Dancehall-Drums nach einer Party – bitte, bitte als nächste Single auskoppeln! "Shady Love" ist ebenfalls sehr beatorientiert. Kurz nachdem die Befürchtung aufkommt, dass man hier wie in Titel #2 wieder im Hip-Hop daneben greift, steigt Azealia Banks rappender- und singenderweise ein und katapultiert den Song sofort ins Ohr. So würde also eine Zusammenarbeit von den Sugababes, David Guetta und Santigold klingen – oder eben die Platten von tobyMac ("Dubbed & Freq'd").
Die letzten fünf Lieder vor den Bonus Tracks sind teilweise gut und nett, im Falle von "Best In Me" aber auch mal schnell zu vergessen oder wie "Self Control" eine zu deutliche Kopie von Robin S., den Nightcrawlers oder Sam Sparros aktuellem Schaffen. "San Luis Obispo" begleitet Jakes Gesang nur mit Percussion und Gitarrenschrummen, ist dadurch der bodenständigste Titel von "Magic Hour". Die zwei Schlusslichter "The Secret Life of Letters" und "Somewhere" stammen anders als der Rest nicht aus der Produktionsschmiede des Hamburger DJs Boys Noize, sondern aus der des "Night Work"-Produzenten. Allerdings hätte nur letzteres mit seinen an "Invisible Light" bzw. die Pet Shops Boys erinnernden Synthies auf dieses Werk gepasst; ersteres vielmehr auf die ersten zwei Veröffentlichungen der Vier, ist es doch eine melodramatische Pianoballade mit Streichern und melancholischem Chor. Schön, so was mal wieder von den New Yorkern zu hören.
Fazit
Im Grunde irritieren die Scissor Sisters nur dann wirklich, wenn sie sich nicht in vergangenen Musikzeitaltern bedienen. Das tun sie auf "Magic Hour" leider erstmals in ein, zwei Stücken. In allen anderen wissen sie mit stilistischen Zi- und Zutaten, ihrer Spielfreude und ihrem Antrieb, sich nicht selbst zu kopieren, weiterhin zu faszinieren. Nachdem "Night Work" vermutlich als eine Art Konzeptalbum zu werten ist, sollte es nun wieder so vielfältig wie früher werden, während man die Musik der 70er, 80er und frühen 90er berücksichtigen wollte. Der Wille ist erkennbar, das Ergebnis allerdings nicht durchgängig überzeugend.
Anspieltipps
Baby Come Home
Inevitable
Year of Living Dangerously
Let's Have a Kiki
Shady Love
Artistpage
Tracks
1. | Baby Come Home | |||
2. | Keep Your Shoes On | |||
3. | Inevitable | |||
4. | Only the Horses | |||
5. | Year of Living Dangerously | |||
6. | Let's Have a Kiki | |||
7. | Shady Love | |||
8. | San Luis Obispo | |||
9. | Self Control | |||
10. | Best In Me | |||
11. | The Secret Life of Letters | |||
12. | Somewhere | |||
13. | Ms. Matronic's Magic Message (Bonus Track) | |||
14. | Fuck Yeah | |||
15. | Let's Have a Kiki (DJ Nita Remix) | |||
16. | Fuck Yeah (Seamus Haji Remix) |
Micha S. - myFanbase
21.08.2012
Diskussion zu dieser CD
Weitere Informationen
Veröffentlichungsdatum (US): 29.05.2012Veröffentlichungsdatum (DE): 22.06.2012
Genre: Pop, Elektro, Dance
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