Bewertung
Regina Spektor

What We Saw from the Cheap Seats

An Regina Spektor scheiden sich schon immer die Geister. Ihre ersten drei Alben wurden von den einen für ihren unkonventionellen und leidenschaftlichen Anti-Folk verehrt, von den anderen als viel zu schwerfällig und anstrengend empfunden. Letzterer Gruppe kam die singende Liedermacherin dann mit ihrem Debüt beim Major-Label vor sechs Jahren entgegen, das extrovertierter und eingängiger war. Mit ihrer letzten Veröffentlichung vor drei Jahren suchte die Spektor dann den Mittelweg und gab sich wieder etwas zurückhaltender, vergaß dabei aber die liebenswerten Ecken und Kanten. Spätestens seitdem ist klar: Weder ihre Die-Hard-Fans noch ihre dem Pop zugeneigte Kundschaft wird sie zufrieden stellen können, zumindest nicht mit der Musik, die sie machen möchte.

Foto: Regina Spektor - "What We Saw from the Cheap Seats" - Copyright: Warner Music Group
Regina Spektor - "What We Saw from the Cheap Seats"
© Warner Music Group

Im Sommer 2011 produzierte sie die neue Platte zusammen mit Mike Elizondo. Der Kalifornier stammt eigentlich aus dem Hip-Hop-Metier, produzierte dann aber auch Fiona Apple, Switchfoot und Alanis Morrisette, scheint also auch im Gebiet der gefühlvollen Singer/Songwriter versiert zu sein. Nachdem er Frau Spektor das mit vier Songs auf "Far" bewiesen hatte, darf er sich nun für die gesamte Albumspielzeit verantwortlich zeichnen.

Alleinverantwortlich für die Texte und Melodien ist nach wie vor die 32-jährige New Yorkerin. Nur bei "Oh Marcello" sind weitere Autoren gelistet, aber auch nur, weil sie sich hierfür beim Klassiker "Don't Let Me Be Misunderstood" bediente. Plattes Samplen ist das keineswegs, im Gegenteil: Die bekannte "I'm Just a Soul"-Zeile klingt bei Regina in jedem Refrain anders, ihr Piano spielt sie dabei durch einen Filter, zwischenzeitlich gibt's kinderähnlichen Gesang sowie italienischen Fake-Akzent und am Ende macht sie quasi noch auf Beatbox. Kreativ, furchtlos, anspruchsvoll. Sie bastelt genauso gerne wie sie den Hörer fordert.

Ein weiteres Paradebeispiel dieser Art ist die erste Single "All The Rowboats", bester Track der Platte und das Beste, was die gebürtige Moskauerin seit sechs Jahren geschaffen hat. Dramatisch mit drei Drummern (einer davon: Ihr Mund!) instrumentiert, mit graziösem Tanz der Tasten klimatisch aufgebaut und ironisch-selbstbewusst mit einem Synthiebeat unterlegt – das alleine schon hätte süchtig gemacht und das Lied herausragen lassen. Mit einer Geschichte um das rührende Bild von Ruderbooten, die nie aus einem Gemälde herauskommen werden, und einer Zeile wie "But the most special are the most lonely" versehen, ist das Lied schlicht grandiose Kunst.

Regina Spektor möchte nicht nur durch unkonventionelle Melodien, eigenartige Tonartwechsel und bizarre Stimmmodulation den Hörer aufmerksam halten, sondern auch durch berührende Zeilen, Bilder und Stimmungen. Auf "...Cheap Seats" schaffen das drei Titel besonders gut. "Firewood" ist wohl das Berührendste, was die junge Frau je zu Papier gebracht hat – Anhören! Die "Ballad of a Politician" ist selbstverständlich kritisch, clever und bittersüß. Und "How" besticht durch seine Anmut und lässt hoffen, dass die Ehefrau des The-Moldy-Peaches-Leadgitarristen genau wie Kollegin Sia (für "Bionic") auch mal eine emotionale Übernummer für Christina Aguilera schreibt.

Für alle, die solche Lieder zu berechnend oder langweilig finden, gibt es in den 37 Minuten Spielzeit auch einige Merkwürdigkeiten wie Mundtrompete und hysterisches Inhalieren oder kurze Songzitate aus War's "Low Rider" (in "Patron Saint") und Buffalo Springfields "Stop, Children, What's That Sound?" (in "Small Town Moon"). Leider ist solch ein kleines Gimmick in jenen Titeln irgendwie zu wenig und lässt sie doch recht belanglos bleiben. Mehr schafft da "Open", das wegen seiner kalten Atmosphäre und dem fast zu hörenden Schneefall gut auf Kate Bushs "50 Words for Snow" gepasst hätte. Oja, die gute Käthe ist nach wie vor Reginas Vorbild. An französischer Leichtigkeit orientiert sich der unheimlich stimmungsvoller Singalong "Don't Leave Me (Ne Me Quitte Pas)". Während es viele Songs schon jahrelang live zu hören gab, war dieser bereits auf ihrer 2002er Platte zu finden, damals allerdings nur mit Klavierbegleitung, während ihm die heutige Bläsersection ebenso gut tut wie das süßliche Xylophon.

Fazit

An der polarisierenden Chanteuse wird so manches immer gleich bleiben: Die eindrucksvolle Stimme, ihr virtuoses Pianospiel, die poetisch-verspielten Lyrics und ihr Drang zum Unvorhersehbaren. Auch auf "Cheap Seats" hat jedes Lied etwas Faszinierendes. Allerdings fasziniert nicht jedes so wie es viele Stücke von früher taten, was den Hörer enttäuschen wird. Sich immer wieder mit sich selbst zu messen und am besten noch zu übertreffen, wird für Mrs. Spektor nicht einfach sein. Daher kann man sich über ein mutigeres Album als "Far" es war, durchaus freuen. Die Militärsmütze und das Schwarz/Weiße des Covers erinnern nicht umsonst an ihre zwei am meisten gelobten Werke.

Anspieltipps

Oh Marcello

Don't Leave Me (Ne Me Quitte Pas)

Firewood

All the Rowboats

Ballad of a Politician

Artistpage

ReginaSpektor.com

Tracks

1.Small Town Moon
2.Oh Marcello
3.Don’t Leave Me (Ne me quitte pas)
4.Firewood
5.Patron Saint
6.How
7.All the Rowboats
8.Ballad of a Politician
9.Open
10.The Party
11.Jessica

Micha S. - myFanbase
10.09.2012

Diskussion zu dieser CD