Bewertung
Jessie Ware

Devotion

Soulige Stimme, hochtoupierte Frisur und britische Herkunft – nein, ich werde da nicht den Vergleich ziehen, ohne den derzeit keine junge, selbstbewusste Sängerin auszukommen scheint. Wenn Vergleiche, dann sollten eher Emeli Sandé, Alex Clare ("The Lateness of the Hour") oder auch Morcheeba und Dido genannt werden. Denn Jessie Ware unterlegt ihren Soul mit elektronischen Soundcollagen.

Foto: Jessie Ware - "Devotion" - Copyright: Island Records
Jessie Ware - "Devotion"
© Island Records

Aufgewachsen ist Jessica Lois Ware in Süd-London, wo man zum Feiern in Drum'n'Bass-Clubs geht. Zufällig kam sie dann in Kontakt mit SBTRKT und Joker, wurde deren Gastsängerin und wirkte somit erst einmal in der Dubstep-Ecke künstlerisch mit. Als es dann an ihre eigenen Titel ging, war für sie klar: "Ich wollte R&B-Songs aufnehmen, die melancholisch und wunderschön zugleich sind – so wie die Musik von Sade." Auch wenn die 28-Jährige sich stilistisch im Synthpop, UK Garage und UK Funky bedient, ist Sades jazzig-relaxte Verführung ("Soldier of Love) genau das Merkmal, dass einem beim Hören ihres Debüts in den Sinn kommt.

Mit dem titelgebenden Track beginnt "Devotion" mit der chilligsten Nummer – langsam und ruhig, mit smoothem Geklimper im Hintergrund – und besticht damit sofort. Die folgenden drei Songs halten das Niveau: Zu den hämmernden Drums von "Wildest Moments" wippt man sofort hin und her bis verzerrte Stimmen das Songende einleiten. In "Running" wechselt Jessies Gesang zwischen laut und zurückhaltend und liefert sich über einem Synthie-Beat ein großartiges Duett mit der weinenden E-Gitarre.

"Still Love Me" ist mit Ethno-Drums, Programming, Synthesizers und Gitarre das persönliche Fest von Produzent, Allround-Musiker und Jessies Förderer Dave Okumu und gleichzeitig die faszinierende Basis für eine Nummer, die dermaßen einnimmt, dass man minutenlang zu ihr tanzen will. "No to Love" ist ähnlich gestrickt und ist so raffiniert arrangiert, dass man beim 30. Hören noch neue Details erkennen kann.

"Night Light" ist der Song, der am ehesten in Richtung der Dame geht, deren Name hier nicht genannt wird. Es macht den Eindruck als singe Jessie hier mehr, während sie in den anderen Songs eher jammt. Kein Makel, sondern eine aufhorchen lassende Abwechslung. In dem Song, der den vielleicht beliebtesten Serien-Episodentitel zitiert, erinnert Jessie, wie sie mit sich selbst im zart-chilligen Chor singt, an die besten Tracks aus Didos bestem Album. "Sweet Talk" zitiert vielmehr den Keyboardsound der frühen Whitney Houston und bringt die 80er damit besser zurück als Lady Gaga dies auf "Born this Way" versuchte.

Dass sie sich nicht selbst kopieren oder einengen lassen will, beweist die Singer/Songwriterin damit, dass sie zuerst den verstorbenen Rapper Big Punisher in einem Dubstep-Track samplen ("110%"), dann Delerium & Sarah McLachlan cover-lustig machen ("Taking the Water") und zuletzt weich wie Jem singen kann (in dem sphärischen "Something Inside") ohne ihren Stil zu verlieren. Dass ihre club-tauglichen Werke Wärme und Tiefe nicht vermissen lassen, tut ihnen ebenso gut wie dass Jessies Stimme nicht die markanteste ist, sondern den Liedern Kraft und Raum zum Wirken gibt.

Fazit

"Meine Songs sollten so sein, dass sie nicht gleich morgen wieder vergessen sind," hatte Jessie sich vorgenommen. "So eine musikalische Eintagsfliegen-Nummer kam für mich nicht in Frage." Indem sie sich fernab vom Mainstream bewegt und doch Modernes und Erfrischend-Neues schafft, indem sie auf Schnickschnack und Pomp verzichtet und dennoch die Aufmerksamkeit auf ihre Musik zieht, liefert sie mit "Devotion" genau das Material, das nicht nur heute Maßstäbe setzt, sondern auch in zehn oder zwanzig Jahren noch hörbar, angenehm und interessant sein wird.

Anspieltipps

Devotion

Wildest Moments

Running

Still Love Me

Night Light

Artistpage

JessieWare.com

Tracks

1.Devotion
2.Wildest Moments
3.Running
4.Still Love Me
5.No to Love
6.Night Light
7.Swan Song
8.Sweet Talk
9.110%
10.Taking in Water
11.Something Inside

Micha S. - myFanbase
01.12.2012

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