Bewertung
Der Xer

Mordsmusik

Vier Jahre nach seinem letzten Solo-Studiowerk schmeißt Xavier Naidoo unter einem Pseudonym ein neues Album auf den Markt. Ein Pseudonym nutzte er zuletzt vor knapp 20 Jahren, als er in den USA sein Debüt unter dem Namen "Kobra" herausbrachte – erfolglos. Zwei Jahrzehnte später ist er alles andere als das. Neben Grönemeyer dürfte er der bekannteste deutsche Sänger sein. Und auch wenn er immer mal wieder für seine religiösen Texte oder seine angewachsene Sonnenbrille kritisiert wird, spricht ihm keiner sein Können ab.

Foto: Der Xer - "Mordsmusik" - Copyright: Naidoo Records
Der Xer - "Mordsmusik"
© Naidoo Records

Talent und Erfolg brachten den Sohn Mannheims in eine dankbare Position, die es ihm nicht nur ermöglicht, seine Kollaborations-Wut auszuleben, sondern auch Projekte in erster Linie des künstlerischen Schaffens und nicht der Finanzen willen anzugehen. Wenn der 41-Jährige also Lust hat, mit seinen "The Voice"-Kandidaten ein Album aufzunehmen, dann macht er das. Auch wenn er gleichzeitig mit Kool Savas ein völlig anders ausgerichtetes Projekt am Start hat. Er singt, mit wem er will, egal ob mit RZA, Vicky Leandros, Harfenist Andreas Vollenweider oder Schiller. Egal ob feinster Soul mit Edo Zankis "4 Your Soul" oder Swing mit Sasha und Rea Garvey – was ihm musikalisch spannend erscheint, geht er an. Und wirkt dabei nicht bemüht, sondern authentisch.

Allen Kritikern begründet "Dr. Ton" die Arbeit im neuen Stil damit, dass er schon immer ein Faible für elektronische Musik hatte, vor einer Techno und Jungle spielenden Disco Türsteher gewesen sei und seit jeher Drum 'n' Bass hören würde. Vor einem Jahr habe er mit Johannes Schlump dann endlich jemanden kennengelernt, der in diesem Genre was drauf hat. Tatsächlich produziert dieser seit Jahren als Cop Dickie Dubstep. Gemeinsam mit dem ausgebildeten Musik- und Sounddesigner komponierte Xavier die Tracks und nahm seine Vocals über Dickies halbfertigen Instrumentals auf, bevor dieser das Ganze dann am Ende ausproduzierte und arrangierte. Musikalische Einschränkungen habe er dabei nicht gehabt, so Dickie.

Textlich schränkt Xavier Kurt Naidoo sich selbst ein: Dubstep sei für ihn hart und dunkel, weshalb er dieses Feeling auch in den Texten verarbeitet habe. Und so singt er überraschend deutlich von Tod, von Mord und Rache. Das wirkt nicht so ernst wie Falcos "Jeanny", das er einst mit Reamonn einsang, und auch nicht so provokativ wie der Xavas-Skandal "Wo sind sie jetzt", sondern eher wie ein Mittel zum Zweck. Und der Zweck ist, möglichst düster und verzweifelt rüberzukommen. Das mag nicht typisch für Dubstep, aber doch ein nachvollziehbarer künstlerischer Ausdruck sein. Genau nachlesen braucht man sich die meisten Texte allerdings nicht (kann man im Booklet auch nicht, da es keins gibt, weil die Platte erst nur digital erscheinen sollte). Etwas wie "Ich hab gewusst, dass du die Steine suchst. Ich hab das Blut und den Schweiß dazu. Jeder macht nur sein Ding und hofft, dass er es bringt, oder hofft, dass er es kriegt, weil er weiß, dass es jeder liebt" will vielleicht nicht mal Poesie sein. Vielleicht will es aber doch etwas ausdrücken – erzählt es gar von Blutdiamanten? Man weiß es nicht.

Textlich irritierend, musikalisch aber das Highlight: Der Opener "Bunte Steine". Der Refrain bleibt im Ohr, und zwar nicht nur die gesungenen Zeilen, sondern auch die Wobble-Bassline. Der Rappart von Olli Banjo – übrigens die vierte Zusammenarbeit der zwei – bringt dann noch das gewisse Etwas. Gut gemacht! Aus den restlichen acht Tracks ragt "Feindbewegung / N-Täuschung" heraus. Nicht nur durch den blöden Titel, sondern weil es die gesanglich eingängigsten Parts der Platte und dann den an die Dramatik von "Jeanny" erinnernden, bald wahnsinnig klingenden Sprechgesang Xaviers hat.

Markanz und Rotz haben aber auch die weiteren 30 Minuten - durch verzerrte Stimmen und Sounds, hämmernde Trance-Beats und harte Basslines, kombiniert mit mechanischen Effekten und Tempowechseln. Der "Ikser" (so soll der Nickname gesprochen werden) und der Cop drehen alles durch den Fleischwolf genannt Mischpult und brennen ein spaciges Surr- und Dub-Feuerwerk ab. Das klingt nicht chillig oder entspannt und auch nicht nach James Blake. Das war auch nicht Xaviers Intention. Wer Rusko oder Skrillex will, sollte die hören. Wer es mochte, wie Alex Clare den Dubstep in seinen Soul integrierte, der könnte vielleicht auch hiervon angetan sein. "Mordsmusik" liegt irgendwo zwischen der Beatorientierung von seinem Pelham-Debüt "Nicht von dieser Welt" und dem "Gold Fever Disco Mix" von seinem "Zeilen aus Gold".

Fazit

Ein halbes Jahr vor seinem fünften Studioalbum wagt Xavier Naidoo sich in ein Terrain, das ihm von vorneherein Kritik verspricht. Wie immer richtet sich ein Fazit nach der Erwartung. Und erwarten sollte man hier kein reines Genre-Werk, das Maßstäbe setzt. Der Sänger nutzt einen bestimmten Sound für sich. Diese Klänge könnten von jedem stammen und werden erst durch Xaviers nach wie vor großartige Stimmen markant, wertvoll und mit Leben gefüllt. Dass das Ganze dann trotz aller Aggressivität letztlich recht poppig ausfällt, ist logisch und somit auch einkalkuliert. Unter diesem Anspruch ist "Mordsmusik" durchaus gut hörbar.

Anspieltipps

Bunte Steine

Feindbewegung / N-Täuschung

Einsam mit euch

Artistpage

XavierNaidoo.de

Tracks

1.Bunte Steinefeaturing Olli Banjo
2.Die Ferne ruft
3.This Mouth
4.I Can Feel You
5.Hide Your Fear
6.Feindbewegung / N-Täuschung
7.Eat You Alive
8.Du hast meine Freiheit gehabt
9.Einsam mit euch

Micha S. - myFanbase
24.03.2013

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