Schattenmann
Man kann über Sebastian Hämer nicht schreiben ohne Xavier Naidoo zu erwähnen. Als Sebastian 2003 beim ZDF-Casting "Die deutsche Stimme" teilnahm, fühlte man sich sofort an den bekannten Mannheimer erinnert. Als drei Jahre später die Stimmähnlichkeit als PR-Gag genutzt wurde, indem Sebastians Debütsingle "Sommer unseres Lebens" anfangs ohne Künstlernamen auf den Markt geworfen wurde, vermutete jeder Xavier hinter dem Mikro. Nicht nur die Stimmfarbe, selbst die Betonung von Worten klang gleich. Und auch als Sebastian vor zwei Jahren bei "The Voice of Germany" antrat, schaute die blinde Jury sofort rüber zum Sessel von Dr. Ton und prüfte, ob dieser dort oder auf der Bühne zu finden ist. Der Rostocker kam zwar nicht unter die Top-30, konnte aber wie so viele Andere auch die zurück gewonnene Bekanntheit für die Produktion eines neuen Albums nutzen.
CD Nr. 2 war zwei Jahre zuvor nämlich nicht gechartet. Mit dem Top-10-Hit "Sommer unseres Lebens" galt Hämer nun also als One-Hit-Wonder. Allerdings war sein komplettes 2006er-Album "Der fliegende Mann" in Kritikerkreisen recht angesehen. Die wuchtige, atmosphärisch dichte Produktion der 3p-Bosse Moses Pelham und Martin Haas war einfach gut. Die 15 Songs wirkten wie der gebührende Nachfolger zu Xaviers legendärem Debüt "Nicht von dieser Welt" von den gleichen Produzenten/Songschreibern. Im damaligen jahrelangen Streit von Naidoo und Pelham war "Der fliegende Mann" der vertonte Stinkefinger an den einstigen Ziehsohn. Leider kam es auch zur Trennung von Hämer und dem Label und leider war das im Eigenverlag herausgebrachte Album "Flugplan 2" 2010 nicht mehr als harmloses Mittelmaß. Nun stellt sich die Frage, wie der Drittling zu bewerten ist.
Produziert wurde der von dem Berliner Worfy Stern. Viele Infos findet man über ihn nicht – er hat ein Lied von Adel Tawil (von "Ich+Ich") koproduziert, schreibt Songs für Trashpromi Rocco Stark. Seine eigenen Stücke sind elektronisch angehaucht. Und so beginnt auch Sebastians Eröffnungstrack mit molligen Synthie-Sounds. Dann setzt der Bumm-Bumm-Beat ein, dann der singende Schattenmann. Ja, doch, Bass und Beats sorgen für ein wenig Wums – nicht schlecht. Kämen die Drums nicht aus der Dose, klänge es aber noch besser.
Mit Elektrospielereien geht es weiter: Die erste Single "Der blaue Planet" beginnt mit der leicht verzerrten Stimme Sebastians – ein Gimmick, das während des Lieds wiederholt wird. Da der Titel ein Cover von Karat aus den 80ern ist, passt das irgendwie. Und Karat zu covern ist auch einfach sympathisch. "24 Stunden" greift ebenfalls auf das Jahrzehnt zurück, indem über die komplette Länge eine wie ein Spielautomat klingende Tonfolge eingesetzt wird. Das dürfte Geschmackssache sein. Was an dem Lied gut gefällt, ist Sebastians Gesang: In den Strophen schön tief, im Refrain schön druckvoll – fast so intensiv wie Herr Naidoo auf "Mordsmusik". "Unvergesslich" hätte ähnlich inszeniert werden können, verkommt hier aber zu einer billigen Computernummer. Während in "Still deine Wut" erneut Verzerrungen und Synthie-Klangteppiche eingesetzt werden, fragt man sich allmählich, ob das so penetrant nötig ist. Handgemachtes Schlagzeug und soulige Samples wirkten auf "Der fliegende Mann" einfach reifer und reichhaltiger. Die gleichen Gedanken kommen auch im trotz Gitarrensolo belanglosen "Alles oder nichts".
Kein Song, der viel fordert, ist "In die Unendlichkeit". Der 35-Jährige versucht zwar im Hintergrund mit Adlibs etwas Abwechslung reinzubringen – aber gerade bei diesen höheren Tönen wird deutlich, dass Xavier Naidoos Stimme wesentlich vielseitiger und sicherer ist. Die vermisste Abwechslung bringt danach "Ferne Welten" dank dezentem Ethno-Beat und Frauen-Backings. Auch in "Selbst mit Leid" und "Schattenmann" wird ein wenig experimentiert: In ersterem durch eine Rapeinlage von Seyfu, in letzterem indem E-Gitarren als Sample eingesetzt werden – gemeinsam mit der druckvollen Komposition machen jene den Titelsong zu einem der besten der Platte, während das Rapfeature unspektakulär bleibt.
Die Anti-Kriegs-Nummer "Fallende Männer" erinnert mit ihrem sowohl im Text vorhandenen, als auch durch einpeitschende Trommeln und Streicher verdeutlichten Pathos erstmals nicht an den hiphop-orientierten Xavier der 90er, sondern den dramatisch-melancholischen nach der 3p-Zeit (bspw. auf "Telegramm für X"). Wohl eines der besten Lieder, sowohl durch spannendes Arrangement, als auch durch spürbares Gefühl. Der Abschlusstitel "Erhebt eure Stimmen" will als Demokratie-Song Ähnliches, ist aber letztlich genauso dünn wie der Chor im letzten Drittel. Die Ballade "Das Gefühl" kurz davor ist nett, gefällt aber vor allem wohl deswegen, weil sie die einzige auf der Scheibe ist. Vielleicht hätten mehr davon den fehlenden Tiefgang gebracht.
Fazit
Es scheint, man kann über Sebastian Hämer nicht schreiben ohne Moses Pelham zu erwähnen. Dessen großartiges Produktionstalent gab Sebastians erster Platte die Existenzberechtigung. Und auch wenn "Schattenmann" dank elektronischer Nuancen ein wenig mehr Markanz zeigt als der Zweitling, so kommt man nicht umhin die wuchtige, handgemachte 3p-Produktion zu vermissen. Die scheint es als einzige verstanden zu haben Sebastians Stimme so einzusetzen, dass man die Naidoo-Ähnlichkeit nicht kritisiert, sondern im Gegenteil genießt.
Anspieltipps
Wind
Der blaue Planet
24 Stunden
Schattenmann
Fallende Männer
Artistpage
Tracks
1. | Wind | |||
2. | Der blaue Planet | |||
3. | 24 Stunden | |||
4. | Still deine Wut | |||
5. | In die Unendlichkeit | |||
6. | Ferne Welten | |||
7. | Schattenmann | |||
8. | Fallende Männer | |||
9. | Alles oder nichts | |||
10. | Selbst mit Leid | featuring Seyfu | ||
11. | Unvergesslich | |||
12. | Das Gefühl | |||
13. | Erhebt eure Stimmen (Bonustrack) |
Micha S. - myFanbase
01.05.2014
Diskussion zu dieser CD
Weitere Informationen
Veröffentlichungsdatum (DE): 11.04.2014Genre: Soul, Pop, Elektro
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