Bewertung
Nneka

My Fairy Tales

Irritiert und erfreut zugleich fühlte ich mich, als ich bei der diesjährigen Echo-Verleihung eine gewisse zierliche, natürliche Person auf der Bühne sah. Tatsächlich, Nneka hatte es in die Primetime geschafft und wurde von über drei Millionen Zuschauern gesehen. Schade nur, dass sie Deutschland in der schnarchigen Allstar-Version von Bob Marleys "Redemption Song" nicht ihr wirkliches Können zeigen konnte. Ohne Campino und Wolfgang Niedecken und mit mehr Drive und Seele hätten Gentleman, Maxi Priest, Joy Denalane und sie sicherlich das Haus zum chilligen Mitgrooven gebracht.

Foto: Nneka - "My Fairy Tales" - Copyright: Bushqueen Music
Nneka - "My Fairy Tales"
© Bushqueen Music

Denn das sind genau die Stärken von Nneka: Ihre Power, ihr Gefühl und ihre Unangepasstheit. Das holte sie ins Vorprogramm von Sean Paul und The Roots, ließ Lenny Kravitz und Seeed sie mit auf Tour nehmen und so brachte ihr Sample Newcomerin Rita Ora zu ihrem zweiten Nummer 1-Hit auf der Insel ("R.I.P." von "Ora"). Da wundert es schon, dass die deutsch-nigerianische Singer/Songwriterin zig-fach durch die USA und halb Europa tourte, von David Letterman eingeladen und in Südafrika und England ausgezeichnet wurde, während sie in Deutschland, wo sie seit 15 Jahren lebt, nach wie vor recht unbekannt ist und es nicht mal ihr in Fan- und Genrekreisen legendäres "Heartbeat" in die Top50 schaffte.

Jener Song fand sich auf ihrem Zweitling, dem bisherigen Meisterwerk der Soul-Sängerin und Rapperin. Während ihr Debüt zuvor noch etwas dunkler und monotoner wirkte, war Album #3 dann ebenso gefällig und eingängig, vom Grundton aber etwas weicher und weniger vom Hip-Hop beeinflusst. Dass die Wahl-Hamburgerin sich für ihre vierte Studioplatte von ihrem langjährigem Produzenten DJ Farhot getrennt und mit Mounir Maarouf jemanden ins Boot geholt hat, der im Produzieren von Soul- und R'n'B-Sängerinnen geübt ist, lässt fortgeführten Fokus auf den Gesang und Weggang von Rap vermuten.

Die Platte beginnt mit chilligem, dumpfem Afrobeat, während man im Hintergrund dezenten E-Gitarren-Funk und quirlige Percussion vernimmt. Im Refrain dreht "Believe System" dann auf und schafft eine wunderbar leichte, schwüle Atmosphäre. In "Babylon" erhöhen dann alle Instrumente ihr Tempo zu einer temperamentvollen Calypso-Nummer. Die einheizende Orgel und jammende E-Gitarren sorgen auch hier wieder für einen früher nicht da gewesenen Funk-Einschlag, der der Sängerin mit der rauen Stimme gut steht und erneut ihre Vielseitigkeit und Entwicklung zeigt.

Früher gern gesehen und gekonnt ihren Reggae bereichernd waren Nnekas Dub-Beats, hier vertreten in "Local Champion" und "Book of Job". Beide Tracks grooven dadurch herrlich, sind zudem im Refrain wunderbar eingängig. Gemeinsam mit dem abschließenden, hypnotischen "In Me", für das sie sich ähnlich wie manchmal auf "No Longer at Ease" im Electro-Genre bediente, gehören diese Lieder zu der Hälfte von "My Fairy Tales", die 9/9 Punkten wert sind.

Nicht ganz dazu gehört "My Love, My Love". Das ist zwar ein klarer Reggae-Ohrwurm und erinnert damit mehr als die zwei Eröffnungstracks an das Gespür der 34-jährigen für Melodien. Ähnlich wie "Surprise" wirkt der Titel auf die Dauer aber etwas schlicht, zu gefällig und ausbaufähig. So entsteht der Eindruck, dass DJ Farhot da mehr und womöglich ein richtiges Brett draus gemacht hätte. "Pray for You" macht das besser, indem es gleichzeitig kurzweiliger und komplexer gestaltet ist.

Die gebürtige Nneka Lucia Egbuna scheint sich bewusst zu sein, dass mancher Titel noch ausbaufähig gewesen ist. Auch ihr Label wollte noch kein Album veröffentlichen, sie jedoch schon – also tat sie es: "Ich war wie ein Kind, ich wollte einfach raus damit. Ich weiß auch, dass es kein wirklich kommerzielles Projekt ist. Ich habe keinen Pop-Song auf dem Album oder einen Track, den man als radio-freundlich bezeichnen würde. " Sie sagt, "es ist ein Projekt, das, so glaube ich, vielen Menschen helfen kann, besonders bei all dem, was gerade in Nigeria passiert", und spielt damit nicht nur auf den Kampf in ihrem Heimatland gegen Terror, den um Ressourcen und um Demokratie an. Stellung zu beziehen, Dinge zu bewegen und Menschen zu ermutigen – das ist die Intention hinter diesen neuen Liedern.

Fazit

Erfreut, enttäuscht und hoffnungsvoll zugleich hinterlässt einen Nnekas Viertling. Neun bzw., wenn man die Reprise nicht mitrechnet, acht neue Songs sind schlicht zu wenig – da Nneka dies aber selbst bewusst ist und sie "My Fairy Tales" daher weniger als ein Album, als mehr wie ein Projekt sieht, sei es in der Hoffnung auf für Ende des Jahres angekündigtes Neu-Material und unter Berücksichtigung ihrer ehrlichen Motivation im Gegensatz zu dem miesen Echo-Arrangement verziehen. Zu gut sind über die Hälfte der Lieder und zu wichtig die Botschaft. Mehr als nur überaus chillige Musik für den Hintergrund zu schaffen, ist Nnekas wahres Können.

Anspieltipps

Believe System

Babylon

Local Champion

Book of Job

In Me

Artistpage

NnekaWorld.com

Tracks

1.Believe System
2.Babylon
3.My Love, My Love
4.My Love, My Love (Reprise)
5.Local Champion
6.Surprise
7.Pray for You
8.Book of Job
9.In Me

Micha S. - myFanbase
31.03.2015

Diskussion zu dieser CD