Nicht von dieser Welt 2
Nachdem man für Fortsetzungen auf der Kinoleinwand mittlerweile keine Beispiele mehr nennen braucht, scheinen nun nach Fernsehstudios auch Musiker deren Wert und Nutzen für sich erkannt zu haben. Während es Mary J. Blige und Joss Stone dabei eher um den konzeptionellen Ansatz ging, soll die Zwei im Titel von Xavier Naidoos neuer Platte durch die Zusammenarbeit mit Moses Pelham erklärt und gerechtfertigt werden. Nachdem Moses Xavier durch sein Label zielsicher zu einem einzigartigem Erfolg aus dem Stand heraus verholfen hatte, entwickelte sich zwischen den Beiden ein jahrelang andauernder Rechtsstreit. Da war man doch überrascht, als es 2012 bzw. 2013 auf den jeweiligen Soloalben zu den ersten Zusammenarbeiten in diesem Jahrtausend kam. Ein Jahr später wurde dann nicht nur Pelhams Produktion der nächsten Naidoo-CD angekündigt, sondern auch der besondere Titel.
Xaviers Debüt, das sich mit über 1 ½ Millionen verkauften Einheiten auf Platz 72 der meistverkauften Alben in Deutschland befindet, wird nun mit Einsatz seiner Volljährigkeit zum Teil 1. Gerne erinnert man sich an seine hochgradig eingängigen Titel, die mit spannenden Arrangements aus harten HipHop-Beats, bösen Basslines und souligen Vocals reinhauten. 15 Lieder schafften damals, was Edo Zanki seit jeher so großartig versucht, und ließen deutschsprachigen Soul modern klingen. Zudem brauchte sich "Nicht von dieser Welt" vor amerikanischen Produktionen des HipHop-Souls nicht zu verstecken. Pelham hatte einen markanten Sound geschaffen. Und auch wenn Zwischenspiele auf Naidoss Debüt nicht vorkamen, so bringt das aktuelle Intro mit atmosphärischen Synthie-Beats über Streichern, einem Kinderchor und souligen Adlibs des Sängers einen imposanten Aufbau, der so oft die Stärke von Pelhams Produktionen für Glashaus, Sabrina Setlur oder sich selbst war.
Der positive Ersteindruck bleibt mit Einsatz des folgenden "Renaissance der Liebe" erst einmal bestehen. A la Daft Punks "Giogio by Moroder" gibt es einen kurz eingestreuten Sprechermonolog, anschließend Cassandra Steen und/oder* Peppa Singt ansprechend im Chor, während der bekannteste Sänger Mannheims sich mit druckvollem Gesang über einem pulsierneden Synthie-Background Gehör verschafft. Nicht mit ganz solcher Wucht, aber einem ordentlich treibenden Rhythmus, der sowohl von Staccato-Synthies als auch einer folkigen Akustikgitarre ausgeht, weiß "Dem Himmel noch näher" zu gefallen – und auf kollektive Livechöre haben ja nicht nur Polarkreis 18 ein Monopol. Mit Gastspiel von Pelham selbst und einem druckvollen Groove kann "Kopf" überzeugen – doch nicht nur damit: Wenn gegen Songende der heute 44-jährige Erfolgssänger auf mehrfachen Spuren die Backgroundchöre übernimmt, sollte man genau auf seine großartige Leistung achten.
"Kopf" bringt neben dem sicher kontrovers wahrgenommenen Veganer-Lied "Ich will leben" die – so muss man es leider gesagt werden – einzige gute lyrische Leistung der Platte: "Sie sagen, ich krieg meinen Kopf nicht um den Gedanken herum / Man sieht ein Loch, wo du mal warst / Sie sagen, es gibt keine Hoffnung - für mich ist es anders herum / denn wir lieben einander - doch für mich bist du noch da." Das erinnert ein wenig an Glashaus-Titel wie "Haltet die Welt an", die ebenso wie Pelhams Texte vom Naidoo-Debüt viel kritisiert, aber letztlich doch komplex, metaphernreich und interpretierbar waren. Dass auch die neuen Texte größtenteils aus der Feder des 3p-Geschäftsführers stammen sollen*, verwundert auch, weil das Nutzen der ständig gleichen Reimschemata (AABB oder ABAB) zuhauf auf Xaviers letzten Alben zu finden war.
Nicht nur durch seine einfallslosen Songstrukturen und platten, einfach gestrickten Dichtungen fallen reihenweise Stücke wie "In meinen Armen", "Der Fels", "Das lass' ich nicht zu" oder "Wiedersehen" auf – auch durch den übertriebenen Einsatz von Satz- und Wortwiederholungen wirken selbst eigentlich brauchbare Songs schnell nervig und nichtssagend. "Das Prinzip" wird so schnell zum Anwärter auf den Titel "Nervigster Song": "Das Prinzip / ist, wenn man liebt / und etwas gibt / dann kriegt man / was man braucht / schon aus Prinzip / denn im Prinzip / ist das Prinzip / nur, dass Liebe Liebe liebt / und Liebe siegt." (Jedes "i" wird natürlich unheimlich lang gezogen gesungen.) Auch die Vorabsingle "Frei" übertreibt es dahingehend, ist ansonsten aber ein angenehm zurückhaltend gesungenes Gebet mit ein wenig Percussion und Cello, das in seiner Machart allerdings etwas an "Sie sieht mich einfach nicht" erinnert. Das abschließende "Amazing Grace" macht, indem es als große Kirchenhymne weniger Tiefgang und Charme versprüht als der 18 Jahre alte Endtitel "Sag es laut", noch einmal deutlich, dass trotz Xaviers immerzu perfekt akzentuiertem, eindrücklichem Gesang eine Platte nicht funktionieren kann.
Fazit
Wert und Nutzen von Fortsetzungen können sich unterschiedlich darstellen. Motivation kann die Freude an der Wiederaufnahme alter Storys oder Konzepte und dem Wiederauflebenlassen von geliebten Charakteren oder Zusammenarbeiten sein. Oder man erwartet dadurch anknüpfende Erfolge und zügig zu erreichende Aufmerksamkeit der Konsumenten. Als eben solcher empfindet man beides letztlich als unerheblich, da für einen das Endergebnis zählt. Und das rechtfertigt im hiesigen Falle vor allem die Zahl im Titel und somit jenen selbst nicht. Selbst wäre er ein anderer, leiden die 14 Tracks ebenso am Fehlen textlicher Finesse, guter Features und vor allem anderen herausragender Beatkonstrukten. Und auch wenn die Herren Naidoo und Pelham sich scheinbar wieder mehr zu sagen haben als der genehmen Hörerwelt, so kann man sich für sie doch ebenso freuen wie über die eine oder andere nette Nummer. Vorerst bleibt aber Pelhams Produktion von Sebastian Hämers "Der fliegende Mann" der gebührende "Nicht von dieser Welt"-Nachfolger.
*
Leider sind die Leistungen der an einem Album Beteiligten für einen Rezensenten schwer zu beurteilen, wenn ihm darüber keine Informationen, bspw. im Beilegen oder Downloads eines Booklets, zur Verfügung gestellt werden.
Anspieltipps
Nicht von dieser Welt – Die Rückkehr
Renaissance der Liebe
Dem Himmel noch näher
Kopf feat. Moses Pelham
Frei
Artistpage
Tracks
1. | Nicht von dieser Welt – Die Rückkehr | |||
2. | Renaissance der Liebe | |||
3. | In meinen Armen | |||
4. | Der Fels | |||
5. | Das lass' ich nicht zu | |||
6. | Dem Himmel noch näher | |||
7. | Kopf feat. Moses Pelham | |||
8. | Freitag | |||
9. | Wiedersehen | |||
10. | Ich will leben | |||
11. | Das Prinzip feat. Moses Pelham | |||
12. | Latein | |||
13. | Nicht von dieser Welt – Epilog | |||
14. | Amazing Grace |
Micha S. - myFanbase
04.04.2016
Diskussion zu dieser CD
Weitere Informationen
Veröffentlichungsdatum (DE): 01.04.2016Genre: Soul, Pop
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