Reeperbahn Festival 2011
Sechs Jahre gibt es das Reeperbahn Festival nun schon und so langsam aber sicher mausert es sich zur kleinen deutschen Schwester des legendären SXSW-Festivals in Austin, TX. Denn jeden Frühherbst bietet der Hamburger Kiez an drei Abenden nicht nur rund 200 aufstrebenden Bands und Künstlern eine von insgesamt über 30 Bühnen, auf der sie sich in einzigartiger Atmosphäre einem begierigen Publikum präsentieren können, sondern auch Branchenvertretern und Journalisten die Möglichkeit, sich über die beherrschenden Themen der Musikindustrie auszutauschen, Kontakte zu knüpfen und neue Talente vorzustellen. So war das Festival auch 2011 wieder extrem facettenreich und ein voller Erfolg für alle Beteiligten.
Tag 1 - 22. September 2011
Bei der schieren Menge an höchst vielversprechenden Newcomern, die während des Reeperbahn Festivals in den unterschiedlichsten Clubs auf engstem Zeitplan auftreten, mutiert man als Besucher schon mal schnell zum Entscheidungsphobiker. Mindestens genauso schnell realisiert man aber, dass das ewige Studieren des Timetables im Grunde genommen nichts als Zeitverschwendung ist, weil direkt im Club nebenan schon die nächste tolle Band spielt. So ist und bleibt die beste Strategie für ein gelungenes Livemusik-Wochenende auf der Reeperbahn wohl auch, sich nicht allzu viele Gedanken zu machen, sondern vielmehr lediglich die absoluten Must-See-Acts im Plan anzukreuzen und sich ansonsten einfach bloß treiben zu lassen. So treibt es meine Wenigkeit zum Auftakt des Festivals am Donnerstag auch direkt in den abrissgefährdeten Kult-Club "Molotow", in dem die UK-Band Dog is Dead ihren verspielten Indie-Folkpop zum Besten gibt. Das Hamburger Publikum zeigt sich von dem Auftritt des quirligen Quintetts, das mit seinem hoch ansteckenden "Glockenspiel Song" bereits im Finale der fünften Staffel der britischen Erfolgsserie "Skins" auftreten durfte, durchaus angetan. Und auch ich würde der Band gerne mehr als bloß eine Viertelstunde lauschen, doch der Blick auf die Uhr mahnt zum Fortschreiten in das nicht weit entfernte Imperial Theater. Denn dort steht das erste und vielleicht größte musikalische Highlight des Festivals auf dem Programm.
© myFanbase/Paulina Banaszek
2010 gelang den Kanadiern von Brasstronaut mit "Mt. Chimaera" nämlich eines der bemerkenswertesten und einzigartigsten Debütalben des Jahres, weshalb ihrem Auftritt mit entsprechend hoch gesetzten Erwartungen entgegen gefiebert wird. Und man wird auch nicht enttäuscht, denn spätestens nach zwei, drei Songs ist klar, dass die Live-Qualitäten der Band ihren Studiokünsten in nichts nachstehen – ganz im Gegenteil. So wird eine Stunde lang leidenschaftlich gejazzt und gejammt, und den verträumt-verspielten Songs des Debüts dadurch eine angenehm rohe, nahezu wilde Note verliehen. Dabei begeistern insbesondere Bryan Davies an der Trompete und Sam Davidson an Klarinette und Blaswandler so sehr, dass das Publikum – völlig verständlicherweise – selbst nach dem phänomenalen "Slow Knots", in dem Davies gegen Ende in wahnwitzigem Tempo auf das Glockenspiel einhämmert und gleichzeitig mit der anderen Hand weiterhin Trompete spielt, immer noch nicht genug hat. Und natürlich lassen es sich die sympathischen Vancouveraner nach derartigen Jubelstürmen und Standing Ovations nicht nehmen, trotz des engen Zeitplans doch noch eine Zugabe zu spielen.
Anschließend geht es flugs in die kuschelige Pooca Bar, wo die Engländerin Liz Green mit ihrem außergewöhnlichen Organ gerade neue Fans für sich gewinnt. Denn auch wenn ihre sehr traditionell anmutenden Folk-Songs eher düsterer Natur sind und sie selbst sie sogar als extrem deprimierend bezeichnet, bringt sie das Publikum durch ihre selbstironische Art immer wieder zum Lachen und begeistert musikalisch durch ihre seltsam belegt klingende Stimme, die stets Unmengen an Emotionen transportiert und den skurrilen Eindruck erweckt, als würde man die talentierte Singer/Songwriterin nicht live erleben, sondern vielmehr von einer alten, knisternden Vinylplatte hören.
Zurück im Imperial Theater verweilen die Jungs von Brasstronaut mittlerweile im Publikum, um den Auftritt ihrer heimlichen Landsfrau Laurel Sprengelmeyer von Little Scream zu bewundern. Nachdem ich die gebürtige Amerikanerin im vergangenen Jahr bereits in ihrer Wahlheimat Montreal als Support Act von Stars live erleben durfte, bleibe ich jedoch nur so lange bis die letzten Töne von dem bezaubernden "The Heron and the Fox" verklungen sind, denn ein paar Straßen weiter spielt zeitgleich eine weitere Band aus Montreal, der der Ruf vorauseilt, stets eine spektakuläre Live-Performance hinzulegen: Misteur Valaire (Fotos). Passend zu der höchst unkonventionellen Musik, die die Frankokanadier machen, haben sich die Veranstalter eine ebenso unkonventionelle Spielstätte für die Band ausgedacht. So präsentieren die fünf jungen Männer, die ursprünglich gemeinsam Jazz spielten, ihren unwiderstehlichen, hörbar stark vom Hip-Hop beeinflussten Elektro-Jazz-Brass-Funk-Rock in der Hamburger Sparkassen-Filiale auf der Reeperbahn. Dort wo also normalerweise Geld abgehoben wird, sorgen nun Misteur Valaire an ihren Turntables, Bläsern und Synthesizern für ausgelassene Partystimmung. Und spätestens als urplötzlich inmitten eines Songs die theatralischste Stelle von Whitney Houstons "I Will Always Love You" eingespielt wird und die Band von der Bühne steigt, um ihre verschwitzten Zuschauer genauso theatralisch zu umarmen, kann man einfach nicht anders, als die verrückten Jungs sofort ins Herz zu schließen. So ist es auch kein Wunder, dass die Visitenkarten, die während dem Gig verteilt werden, mit Verweis auf ihre Webseite, auf der man sich ihr aktuelles Album zu einem beliebigen Preis herunterladen kann, heißbegehrt sind.
Nach diesem denkwürdigen Festivalauftritt geht es abermals zurück ins Imperial Theater, wo die von Liz Green so nachdrücklich empfohlene Band Gabby Young & Other Animals spielt. Auch diese im wahrsten Sinne des Wortes kunterbunte Truppe wirkt recht verschroben, aber sehr sympathisch – ein Eindruck, der sich auch auf ihre Musik übertragen lässt. Denn die knallrothaarige britische Singer/Songwriterin, die in ihrem grellen Glitzeroutfit samt Cocktailschirmchen und lebensgroßem Vogel im Haar in Sachen Bühnen-Exzentrik sogar Björk Konkurrenz machen könnte, und ihre zum Teil tatsächlich als Tiere verkleideten Musikerkollegen geben leicht kabarettistisch anmutenden Gypsy-Folk zum Besten, der selbst vor "Kalinka" keinen Halt macht. Dem Publikum gefällt's. Und zwar so sehr, dass sich selbst einige Zeit nach dem Konzert noch viele Zuschauer im Theater tummeln, um von der Band eine kleine Unplugged-Session, CDs, Autogramme und die zuvor versprochenen Umarmungen einzufordern.
Paulina Banaszek - myFanbase
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