Songs des Jahres
Song des Jahres
Stephanie Stummer meint:
#1 R.E.M. – Überlin
Ein Kritiker hat "Überlin" mit "Drive" verglichen und warf sogar das Wort "Selbstplagiat" in den Raum. Letzteres würde ich nicht sagen, mit dem Vergleich hat er im Grunde jedoch nicht Unrecht – berührt hat mich dennoch dieses Jahr kein Song so sehr wie dieser. Er transportiert perfekt diese Mischung aus Wehmut und gleichzeitiger Hoffnung, wie es nur wenige wirklich große Pop-Songs schaffen.
#2 Okkervil River – Wake and be Fine
Ein Song wie ein einziger Aufschrei: Will Sheff singt seine kryptischen Halbsätze aus tiefstem Herzen, die Musik ist ein verzweifelter Walzer – und spätestens beim letzten, herzzerreißenden "We still got time / To wake and be fine" fühlt jeder mit. | zur Hörprobe in der Videogalerie
#3 Male Bonding – Tame the Sun
"Tame the Sun" dauert zweieinhalb Minuten, ist so simpel wie eingängig und haut mich gerade deswegen jedes Mal wieder vom sprichwörtlichen Hocker. Es ist das perfekte kleine Noise-Pop-Stück, das einen von grantig auf fröhlich in nur zweieinhalb Minuten bringt. | zur Hörprobe in der Videogalerie
#4 Wilco – Art of Almost
Das vor zwei Jahren erschienene "Wilco (The Album)" fasste zwar gut alle Stärken Wilcos zusammen, ließ aber etwas an Biss vermissen. Damit beim dieses Jahr erschienenen "The Whole Love" gar nicht erst solche Gedanken aufkommen, macht das siebenminütige "Art of Almost" zu Beginn gleich reinen Tisch, ach was, fegt alles vom Tisch. Es beginnt mit einem verstörenden, elektronischen Soundteppich, über dessen nervöse Struktur sich nach und nach die anderen Instrumente und Tweedys herrlicher Gesang legen. Der Song entwickelt eine unglaubliche Sogwirkung, bevor er sich plötzlich um 180 Grad dreht und in einem schrillen, irrsinnigen Rock'n'Roll-Finale endet. Erstaunlich. | zur Hörprobe in der Videogalerie
#5 The Mountain Goats – High Hawk Season
Die Stimme von John Darnielle ist sowieso immer eine Sensation für sich – wenn diese aber nur von einer Gitarre und einem nostalgischen Männerchor begleitet wird, grenzt das an Genialität. Definitiv das Herzstück von "All Eternals Deck". | zur Hörprobe in der Videogalerie
Paulina Banaszek meint:
#1 Ben Howard - Black Flies
"So here we are!" Das sind die Worte, die den absoluten Höhepunkt eines an Höhepunkten nicht gerade armen Debütalbums bilden. An genau dieser Stelle entlädt sich nämlich all die Spannung, die das atmosphärische Si/So-Songjuwel "Black Flies" in den knapp dreieinhalb Minuten zuvor nahezu unbemerkt aufgebaut hat. Und als würde einem diese kleine Eruption nicht ohnehin schon wohlige Schauer über den gesamten Körper jagen, geht der junge Brite mit gespenstisch-schönen "Oooh"-Chören sogar noch einen Schritt weiter – unter die Haut, mitten ins Herz.
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#2 Pat Jordache - Phantom Limb
"Phantom Limb" war eine dieser unendlich kostbaren Entdeckungen, für die ich CBC Radio 3 auf ewig dankbar sein werde. Denn spätestens wenn im ersten Refrain bloß noch diese unwiderstehlich groovende Bassline und die tiefe, sonore Stimme von Patrick Gregoire im Vordergrund stehen, springen einem Bilder vom leidenschaftlich herumzappelnden Ian Curtis vors innere Auge, die man schon sehr bald selbst nachspielt. Je lauter und wilder es in diesem Wahnsinnstrack nämlich scheppert, desto unmöglicher wird es, stillzusitzen – und desto unvermeidlicher das Drücken der Repeat-Taste. | zur Hörprobe in der Videogalerie
#3 The Antlers - Every Night My Teeth Are Falling Out
Wenn man das todtraurige, aber absolut geniale "Hospice" kennt, muss man nach dem ersten Hören von "Every Night My Teeth Are Falling Out" erst einmal genau das tun, was Peter Silberman hier umgeben von zunehmend anschwellenden Gitarren- und Synthie-Wänden unentwegt so eindringlich fordert: "Get your jaw off the floor." Denn The Antlers klingen mit dieser göttlichen Mandoline im Hintergrund, diesem einnehmenden Refrain voller Drive und diesem kleinen Noise-Ausbruch am Ende plötzlich so ungewöhnlich peppig, ja nahezu erschreckend poppig, dass einem wirklich der Kinnladen herunterfällt. | zur Hörprobe in der Videogalerie
#4 Julia Marcell - Matrioszka
Für eine nicht minder große und ebenso positive Überraschung sorgte die Polin Julia Marcell mit der Vorab-Single zu ihrem Zweitwerk "June". Denn das neue, deutlich elektronischere Klanggewand, das sich die Wahlberlinerin für das wunderbar verschrobene "Matrioszka" überzog, steht ihr wirklich ausgesprochen gut. Und zwar gar so ausgesprochen gut, dass man niemals auf die Idee kommen würde, dem wesentlich schlichteren, aber mindestens genauso bezaubernden Pianopop-Sound ihres "Debüts" hinterher zu trauern. | zur Hörprobe in der Videogalerie
#5 Mark Berube and the Patriotic Few - Let Me Go
"Let Me Go" ist ein bittersüßes Liebeslied an Berubes Wahlheimat Montreal, die ihn trotz ihrer grauen, großstädtischen Trostlosigkeit einfach nicht mehr gehen lassen will – ein Gefühl, das wohl jeder, der mal dort war, nachempfinden kann. Dabei untermalen pulsierendes Piano, pfiffige Percussion und schwelgerische Streicher solch gewohnt eloquente Zeilen wie "This city's my bride, but our mothers don't cry" und "What do you do when your history is glue, and your future's a shoe, and you're walking?" sowie einen Spoken-Word-Gastauftritt von Berubes ehemaligem Fugitives-Bandkollegen C.R. Avery. Im Grunde genommen ist es also ein ganz gewöhnlicher Song des kanadischen Songpoeten. Gewöhnlich gefühlvoll, gewöhnlich großartig. | zur Hörprobe in der Videogalerie
Willi S. meint:
#1 tUnE-yArDs - Bizness
Merrill Garbus ftw! Mir fehlen die Worte, um in angemessener Weise zum Ausdruck zu bringen, wie viel Freude die avantgardistische "tribal folk pop"-Vorreiterin mir hiermit bereitet hat. Spätestens seit der Veröffentlichung dieser Afrobeat-Sensation steht fest, was ich schon seit dem 2009er-Debütalbum "BiRd-BrAiNs" unentwegt predige: tUnE-yArDs ist eines der spannendsten und facettenreichsten Projekte, welche die Musikwelt derzeit zu bieten hat. Eine Wucht in jeder erdenklichen Hinsicht!
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#2 James Blake - The Wilhelm Scream
Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen, was James Blake hier vollbracht hat. Irgendwie muss es dem jungen Briten gelungen sein, beim Ausbrüten dieses Paradestücks die Grenzen von Raum und Zeit verschwimmen zu lassen. Anders lässt sich der ungeheure Sog, welcher in der zweiten Hälfte des Liedes entfacht wird, kaum erklären. Nicht nur aus dem offensichtlichen Grund zählt das an tonalem Filigran unübertroffene "The Wilhelm Scream" zu meinen persönlichen Mantren des Jahres. | zur Hörprobe in der Videogalerie
#3 M83 - Midnight City
Sieh mal einer an, es gibt sie also doch! Gemeint ist jene seltene Spezies von Liedern, bei denen sich mir trotz unüberhörbarer 1980er-Anleihen die Zehennägel nicht kräuseln. Im Gegenteil: Mit "Midnight City" ist Anthony Gonzalez eine wahrhaft epische Hymne gelungen, die ich nicht nur einmal in gefühlt stundenlanger Dauerschleife gehört habe. Selbst das dick aufgetragene Saxophon-Solo am Schluss vermag es nicht, mir diesen M83-Meilenstein madig zu machen - und das will was heißen. | zur Hörprobe in der Videogalerie
#4 Bill Callahan - Riding for the Feeling
Weniger ist manchmal eben doch mehr. Bill Callahan versteht es wie kein Zweiter, mit einem Minimum an Zutaten - seiner Stimme und seiner Gitarre - ein Maximum an Emotionen zu kreieren. Auch wenn es auf dem Gebiet der spartanisch instrumentierten Gänsehautgaranten durchaus starke Konkurrenz gab (etwa Feists "Cicadas and Gulls" oder Laura Marlings "Night After Night"), brannte sich heuer kein Lied so sehr in mein Gedächtnis wie dieses vor Lebensweisheit strotzende musikalische Kleinod. | zur Hörprobe in der Videogalerie
#5 Dirty Beaches - Lord Knows Best
Sollte es jemals zu einem Remake von "Twin Peaks" kommen und Julee Cruise aus irgendeinem Grund nicht für ihren legendären Auftritt im Roadhouse zur Verfügung stehen, könnte Alex Zhang Hungtai ohne Probleme einspringen. Sein Album "Badlands" und insbesondere das Vorzeigestück "Lord Knows Best" klingen nämlich geradezu prädestiniert für die Untermalung eines Projekts von Kultregisseur David Lynch: Gespenstische Lo-Fi-Vocals treffen auf trügerisch verträumte Melodien - ein jenseitiges Hörvergnügen. | zur Hörprobe in der Videogalerie
Micha S. meint:
#1 Adele – Rolling in the Deep
Adeles umwerfende Stimmleistung, pulsierende Trommeln und Klatscher, soulige Schwestern in den hinteren Reihen, ein dezent treibendes Piano, hier und da eine weinende E-Gitarre und ganz, ganz viel Gefühl und Kraft in den Liedzeilen statten dieses Kunstwerk Musik meisterhaft aus und machten es sofort nach seiner Veröffentlichung zu einem Klassiker.
#2 Maroon 5 feat. Christina Aguilera – Moves Like Jagger
Kurz bevor Maroon 5 fast in der Bedeutungslosigkeit verschwunden geworden wären, hauen sie diesen Gute-Laune-Hit raus, der gekonnt aktuellen Discopop mit rockigem Funk koppelt. Christinas Einstieg nach zwei Minuten erdet den Song und macht ihn noch griffiger. Sie und Adam harmonisieren überraschend genial in diesem Ohrwurm, dessen Klasse auch an der Vielzahl seiner eigenen Cover-Versionen erkennbar wird. | zur Hörprobe in der Videogalerie
#3 Lady Gaga – Born This Way
Etwas über vier Minuten, die so vieles sind: Lady Gagas persönlicher Freedom-Song. Hommage an die 80er und Madonna. Perfekter Clubstampfer mit fettem Bass und überdeutlichen Synthies. Geniale Vorlage für die besten Remixe. Einziger Track auf dem neuen Album, der auf dem Niveau alter Titel ist. Selbstbewusstseins-Botschaft an alle, die es nötig haben. Natürlich Schwulenhymne. Nebenbei theologisches Statement. Und schlicht: Megahit. Ihr bester. | zur Hörprobe in der Videogalerie
#4 Lena – Taken by a Stranger
Hat nicht den gleichen Hitfaktor wie "Satellite", dafür aber weniger Nervpotential und zudem viel mehr Mut, denn nicht jedem dürfte der stumpfe und monotone Beat oder der Björk-mäßige Gesang gefallen haben. Letztlich ist Lenas ESC-Beitrag also künstlerisch viel besser, langlebiger und (zu derben Remixen bitte!) ausbaubarer als viele denken. Weiter so, Lena! | zur Hörprobe in der Videogalerie
#5 Burlap to Cashmere – Build a Wall
Der zweite Track auf dem langersehnten Comeback der Band klingt mit seiner tiefen, abgehackten Melodie fast wie ein Nick Cave-Song, unterstützt von den Flamenco-Rhythmen und Rufen im Hintergrund dann schon fast wie ein für einen Tarantino-Streifen maßgeschneiderter Song voller Drive und Atmosphäre. | zur Hörprobe in der Videogalerie
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