Treme - Review des Piloten

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Eine neue Serie von David Simon beurteilen zu wollen, ohne ein Wort über sein Magnum opus "The Wire" zu verlieren, ist unmöglich. Deswegen ist es auch wenig verwunderlich, dass die Erwartungen, die gleichwohl Kritiker und Zuschauer an Simons erste neue Fernsehserie seitdem hatten ("Generation Kill" in ihrer Funktion als Miniserie wird bewusst ausgeklammert), unermesslich hoch waren. Denn wie kann man diejenigen zufrieden stellen, für die das, was "The Wire" bieten konnte, in Großteilen jede andere Fernsehserie ruinierte? Wem außer dem kreativen Kopf hinter dieser Serie traut man zu, die Erwartungen zu erfüllen? Diese Antwort muss trotz Vince Gilligan ("Breaking Bad") und Matthew Weiner ("Mad Men") fürs Erste "niemandem" lauten.

Das liegt aber keineswegs daran, dass "Breaking Bad" oder "Mad Men" schlechte Serien sind, denn das sind sie nicht. Bekanntlich sind die beiden AMC-Produktionen das Beste, was das US-Fernsehen momentan zu bieten hat. Wenn man dort aber nach einem Fix für seine "The Wire"-Besessenheit sucht, dann sollte man woanders suchen, denn die Serien unterscheiden sich in Erzähltempo und –tiefe, Charakterzeichnung und Cinematographie deutlich voneinander. "Treme" jedoch weist einige Parallelen zu "The Wire" auf, auch wenn die Ausgangssituationen unterschiedlicher nicht sein könnten.

Eine wichtige Gemeinsamkeit ist der Anspruch an Realismus, der sich durch alle Werke Simons zieht. Auch bei seiner neuesten Serie hat man das Gefühl, Zeuge von echten Charakteren, echten Ereignissen und echten Dialogen zu sein, die dem Zuschauer die freie Wahl lassen, wie er das/den finden kann, das/den er da sieht. Durch eine bewusst minimalistische (und trotzdem sehr ansprechende) Inszenierung (in diesem Fall der polnischen, oscarnominierten Kultregisseurin Agnieszka Holland), ganz ohne den exzessiven Einsatz manipulierender Elemente wie Fremdsoundtrack, Nahaufnahmen, Kameraschwenks und kunstvoller Schnitte wird absichtlich darauf verzichtet, dem Zuschauer vorzuschreiben, was er nun bei einer Szene zu denken hat. Man wird nicht an die Hand genommen und bekommt auch keine schnelle Einführung. Wenn man sich nach dem Piloten an Namen von zwei oder drei Figuren überhaupt erinnern kann, grenzt das schon fast an ein Wunder, wenn man sich bereits die exakte Erzählrichtung denken kann, umso mehr.

Und dennoch überfordert "Treme" nicht. Bereits andere Serien haben gezeigt, dass sie Zeit und Geduld benötigen, die Belohnung dann aber umso größer ist. "Treme" ist eine weitere dieser Kategorie. Es wird erfahrungsgemäß wohl noch zwei bis drei Episoden dauern, bis man komplett im Geschehen ist. Wenn sich "Treme" jedoch so entwickeln sollte wie Simons Vorgängerwerke, dann besteht eine gute Chance, dass es einen spätestens dann umso mehr packt. Insbesondere die tadellos gezeichneten und vielschichtigen Charaktere sorgen dafür, dass man bereits jetzt unbedingt wissen möchte, was mit ihnen geschieht. Dazu kommt die Liebe zum Detail und die Ausstaffierung durch zahlreiche Eigenheiten, sodass man sie sehr schnell ins Herz schließt. Der nerdige DJ-Kauz Davis, die selbstbewusste Restaurantleiterin Janette, mit der er eine on-and-off-Beziehung führt, Albert, der seine Indianertruppe wieder zusammentrommeln möchte, die idealistische Bürgerrechtsanwältin Toni und ihr nicht weniger idealistischer, dafür aber umso wütenderer Ehemann Creighton, der Posaunist Antoine, der kaum über die Runden kommt, dessen Ex-Frau LaDonna, die eine Bar führt und nach ihrem Bruder sucht usw. usf. Die Möglichkeiten für vielversprechende Storylines sind unendlich, die für die vorzeitige Identifikation mit gleich mehreren Charakteren, zahlreich. Dazu gesellen sich Simon-typisch wieder einige Darsteller, die genau aus dem Milieu kommen, das sie darstellen, in dem Fall Musiker wie Kermit Ruffins oder Elvis Costello.

David Simon hat es wieder einmal geschafft. "Treme", das ist bereits jetzt ersichtlich, ist voll von interessanten Charakteren und ihren Geschichten und vermittelt dabei einen Eindruck des Realismus, den selbst Dokumentationen kaum bieten können. Es bleibt abzuwarten, inwieweit diese doch sehr eigene Serie ihr Publikum findet und ob HBO nicht irgendwann die Geduld verliert, auch wenn man bereits ein Lippenbekenntnis ablegte und "Treme" kurzerhand gleich um eine Staffel verlängerte. Das hier, meine Damen und Herren, ist das zweifellos vielversprechendste Serienprojekt der vergangenen Jahre.

Andreas K. - myFanbase

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