Boardwalk Empire - Review der 1. Staffel
Die erste Staffel von "Boardwalk Empire" kann man in kreativer Hinsicht zum einen als eine der wenigen erfolgreichen und überzeugenden Neustarts der TV-Season 2010/2011 bezeichnen, gleichzeitig gehört sie aber auch zu den Enttäuschungen des Herbstes. Solch ein Widerspruch entsteht, wenn sich einer der besten noch lebenden Regisseure, ein hochrenommierter Serienmacher und ein Cast der seinesgleichen sucht, zusammenfinden und auf dem für Qualitätsfernsehen bekannten Kabelsender HBO eine Serie mit dem viel versprechenden Thema Prohibition der 1920er Jahre entwickeln. Liest man nur die Namen Martin Scorsesee (der mit "Good Fellas" einen DER Mafiafilme des 20. Jahrhunderts gedreht hat), Terence Winter (Mitverantwortlicher bei den "Sopranos") und Steve Buscemi, dann sind die Erwartungen an die Serie so enorm hoch, dass man insgeheim davon ausgeht, hier und jetzt würde das Angesicht des Fernsehens verändert. Dies war aber nicht der Fall, "Boardwalk Empire" hat es, da stimme ich mit dem Gros der Kritiker überein, nicht geschafft die beiden besten Dramen der Gegenwart: "Mad Men" und "Breaking Bad", vom Thron zu stoßen und auch die hochkarätige Darstellerriege, die man in "Boardwalk Empire" vereint, wird nun nicht gleich alle Emmys und Golden Globes unter sich ausmachen.
A reputation takes a lifetime to build, and only seconds to destroy.
Aber sein wir mal ehrlich, die Erwartungen waren auch gar nicht zu erfüllen und es ist schon etwas unfair, ein Drama in Staffel 1 mit denen in ihrer absoluten Blüte zu vergleichen. Und hat man einmal seine Erwartungshaltung ins rechte Maß gerückt, fällt auf, dass das vorliegende Prohibitionsdrama rund um die Machenschaften im glamourösen Atlantic City der 20er Jahren eine beachtliche Debütseason abgeliefert hat. Da sind die wirklich hochkarätigen Schauspieler, angeführt natürlich von Buscemi, aber auch Michael Pitt und Kelly Macdonald wissen zu überzeugen, ebenso wie die Darsteller der zweiten Reihe: Michael Stuhlbarg, Michael Shannon, Shae Whigham, Michael K. Williams, Aleksa Palladino und Dabney Coleman. Aber man merkt der Serie auch immer wieder an, dass HBO bereit ist viel Geld zu investieren und so sind der Look, die Ausstattung und die Liebe zum Detail einfach nur atemberaubend.
Dennoch muss man auch Kritik an dieser ersten Staffel üben, denn die Abstriche kommen schließlich nicht von Ungefähr und es gab einiges, was nicht immer ganz funktioniert hat. Der im Mittelpunkt stehende Nucky Thompson, Schatzmeister von Atlantic City, als Politiker durch und durch korrupt aber vom Volk verehrt, ist nicht das, was man sich von einem allesbeherrschenden Gangsterboss erwartet. Er ist zwar charmant und beliebt, mächtig und gerissen, aber in vielen Momenten auch eher schüchtern und nachdenklich. Als Zuschauer braucht man etwas, um das auf dem Bildschirm präsentierte Bild vom mächtigsten Mann Atlantic Citys mit den eigenen Vorstellungen eines solchen Typs zu vereinbaren. Aber mit der Zeit und dem Fortschreiten der Staffel wird klar, dass genau dies beabsichtigt ist. Nucky verkörpert nicht das Klischee des allwissenden, furchteinflößenden Mafiosos á la "Der Pate". Er ist zum Zeitpunkt, an dem wir ihn kennenlernen nicht mehr als ein korrupter Politiker mit untrügbarem Gespür für Macht und die Möglichkeiten, die die Prohibition bieten. Aber die Zeiten verändern sich, mit den neuen Möglichkeiten entstehen neue Herausforderungen, und will er seine Position halten und ausbauen, muss er seine Methoden anpassen.
Und so ist der thematische rote Faden der ersten Staffel der Weg, den Nucky gehen muss, vom korrupten Machtmenschen zum Gangsterboss ohne Skrupel vor brutalster Gewalt und welchen Einfluss das auf die Menschen in seiner nächsten Umgebung hat. Steve Buscemis Darstellung dieses Mannes ist dabei sehr subtil und geht manchmal fast unter, neben den Urgewalten wie Michael Shannons Agent Van Alden und Michael Pitts Glanzdarbietung als Jimmy Darmody. Aber das liegt nicht daran, dass er weniger leistet, sonder dass die Rolle ein subtileres Vorgehen verlangt. Nucky Thompson schwingt keine großen Reden, hält keine beeindruckenden Monologe und hat nur wenige emotionale Ausbrüche, die die schauspielerischen Leistungen auf den ersten Blick sichtbar machen würden. Dafür ist Steve Buscemi in der Lage, die kleinen Gewissensbisse, schmerzlichen Erinnerungen und die beschwingte Leichtigkeit, die zu Nucky gehören wunderbar zu verkörpern. Und wenn er dann doch einmal seine Gefühle offenbart, wie in einer der bewegendsten Szenen des Finales (über seine Vergangenheit und das damit einhergehende Trauma) wird klar, dass Buscemi die perfekte Wahl für diese Rolle ist.
Oh, fucking tough guy. You going to shoot me for mouthing off? - Well, I wasn't going to, but you kind of talked me into it.
Die wahre Offenbarung in "Boardwalk Empire" ist aber Michael Pitt. Natürlich bietet der Part des Jimmy Darmody, seineszeichens Kriegsveteran mit einigen Narben am Körper und in der Seele, auch mehr Emotionalität, aber es ist einfach beeindruckend, wie man als Zuschauer genauso wie seine Frau Angela in der Lage ist, unheimlich mit ihm mitzufühlen und gleichzeitig in absoluter Angst vor seiner brutalen Seite zu leben. Jimmy ist so ein vielschichtiger und tiefgründiger Charakter, der so eine Bandbreite an Emotionen in sich vereint, dass man nach den ersten zwölf Episoden sagen muss, er ist der eigentlich Star der Serie. Und seine komplizierte, von unerfüllten Erwartungen, verletzten Emotionen und unterdrückten Schuldgefühlen geprägte Beziehung zu seinem Mentor Nucky Thompson ist der Motor der Handlung. Deshalb ist es auch gerade im Mittelteil der Staffel für den Zuschauer etwas frustrierend, dass die beiden solange getrennt sind und an verschiedenen Schauplätzen agieren. Natürlich war Jimmys Aufenthalt in Chicago, sein endgültiges Erwachsenwerden neben Al Capone, sowohl als Mann als auch als Gangster für den Verlauf der Handlung notwendig und hat die Beziehung zwischen ihm und Nucky grundlegend verändert. Dennoch war es anfangs etwas zäh, das Geschehen immer zwischen drei Lokalitäten aufzuspalten (neben Atlantic City und Chicago spielte ein Teil der Geschichte in New York bei Arnold Rothstein). Aber spätestens mit Jimmys Rückkehr nach Atlantic City nahm das ganze an Fahrt auf und der inhaltliche Zweck seines Ausfluges war offensichtlich.
We all have to decide for ourselves how much sin we can live with.
Auch Kelly Macdonalds Part in der Geschichte, als arme irische Einwanderin Margaret Schroeder, die zufällig in Nuckys Dunstkreis vorstößt und schnell ebenso fasziniert von ihm ist, wie er von ihr, weiß zu überzeugen. Für mich persönlich war Margaret sogar über weite Strecken der ersten Hälfte der Staffel der emotionale Bezugspunkt, über den ich mir die Serie erschlossen habe.
Und nachdem ihre Entwicklung der ersten zwölf Episoden abgeschlossen ist, bin ich von dieser Figur immer noch sehr fasziniert. Da Frauencharaktere in solchen Männerdomänen oftmals darauf reduziert sind, als pures neinsagendes Hindernis für ihre Männer zu fungieren, ist diese junge, kluge Frau eine erfrischende Abwechslung. Und sie hat zwar oftmals Probleme mit Nuckys Lebenswandel und seinen Geschäftsmethoden, ist aber weder das naive Dummchen, noch eine Heilige. Ihr moralisches Ringen mit dieser neuen Welt und ihrer Stellung darin sind für mich eine der großen Stärken der ersten Staffel, auch wenn ich mir des Öfteren gewünscht hätte, man vertraue dem Zuschauer, was die Interpretation ihres Handels angeht etwas mehr. Denn Margaret war leider einige Male der Charakter, bei dem man das Dilemma noch einmal mit optischen Metaphern oder eindeutigen Dialogen betonen musste, obwohl eigentlich schon alles klar war. Was das angeht, wünsche ich mir für die Zukunft etwas mehr Vertrauen in den Zuschauer und in Kelly Macdonalds Überzeugungskraft. Aber das ist nur eine kleine Beschwerde, im Großen und Ganzen bin ich mit Maragarets Weg in den ersten zwölf Episoden durchaus zufrieden.
Weniger überzeugt bin ich dagegen vom großen Gegenspieler der Geschichte, oder zumindest vom moralischen Gegenpol zu all den sündhaften Gangsterbossen. Der Prohibitionsagent Nelson Van Alden bewegt sich für mich leider zu oft auf der falschen Seite des schmalen Grates zwischen Faszination und Wahnsinn. Mal ganz abgesehen davon, dass der fanatische, streng gläubige Antagonist und Gutmensch, der in seiner moralischen Überlegenheit ebenso verderbt ist wie all die Sünder, nun wirklich nichts Neues ist und für mich hier leider auch nicht immer schlüssig präsentiert wird. Dabei will ich Michael Shannons Leistung in der Rolle gar nicht schmälern, der den Wahn Van Aldens mit einer Intensität verkörpert, die mich an Clancy Browns Brother Justin aus "Carnivàle" erinnert (und wer mich und meine Verehrung für diese Serie kennt, weiß was für ein Riesenkompliment das ist). Aber Van Aldens Handeln springt irgendwie wahllos zwischen den beiden Extremen seines Verhaltens hin und her. Und auch wenn das Ende von Episode elf, in dem er jesusähnliche Züge annimmt, optisch eines der beeindruckendsten Szenen der gesamten Serie war, so ist sein Handeln dort für mich doch viel zu übertrieben zu einem viel zu frühen Zeitpunkt und schmälert damit die Wirkung des Moments.
Maybe your cunny isn’t quite the draw you think it is.
Einen kleinen Kritikpunkte gibt es für mich darüber hinaus auch noch: Der Part der Lucy Danziger, deren lethargische aber sexuell aggressive Art mich manchmal in den Wahnsinn treibt. Ich weiß nicht genau, ob es der Charakter an sich ist oder wie er von Paz de la Huerta gespielt wird, aber ketzerisch gesagt ist sie anscheinend nur dabei, um die von HBO erwartete Nacktquote zu erfüllen. So kommen wir mehr als nur einmal in das "Vergnügen", ihrer splitterfasernackten Vorstellung von Erotik beizuwohnen und bis auf wenige Ausnahmen haben diese Szenen keine wirkliche inhaltliche Bedeutung. Ich habe wirklich nichts dagegen, wenn in den illegalen Clubs von Atlantic City auch nackte Ukulelespielerinnen anwesend sind, aber auf Lucys obligatorische Nacktszene pro Episode hätte ich gerne verzichtet. Die Ausnahme bildet da nur ihr Aufeinandertreffen mit Margaret an deren Arbeitsstelle, als sie ihre Nacktheit und Sexualität einsetzt, um ihre Rivalin einzuschüchtern. Dies führt später zu einem der besten Sprüche der Serie (siehe Überschrift).
Was im Gegensatz dazu mehr als gelungen ist, ist die Integration der historisch realen Persönlichkeiten. Sowohl Al Capon, als auch Arnold Rothstein und Lucky Luciano sind Teil der Geschichte und dabei schafft man es, sie organisch einzubinden und das vorhandene Wissen über ihre wahre Geschichte beziehungsweise die Legenden über sie so zu integrieren, dass man davon profitiert aber nicht vom eigentlichen Geschehen ablenkt. Diese Verbindung zur Realität übt eine ganz besondere Faszination aus und ich hoffe, dass man auch in Zukunft die Balance weiter so gut trifft. Wobei es natürlich immer schwierig ist, dem großen und hochklassigen Cast dieser Serie im Einzelnen gerecht zu werden. So wird wohl jeder "The Wire"-Fan hoffen, dass Michael K. Williams Part in der 2. Staffel größeren Raum einnimmt, der ebenso wie Jack Huston als gespenstiger Richard Harrows in nur wenigen Szenen so einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, dass man da auf mehr hofft.
First rule of politics, kiddo. Never let the truth get in the way of a good story.
Insgesamt betracht ist das Problem der ersten Staffel, dass man als Zuschauer relativ lange nicht weiß, wo die Geschichte sich hinentwickeln will und was die eigentliche Story ist. Und das nicht in dem Sinne, dass man ein großes Mysterium hat, welches aufgedeckt wird. Es wirkt anfangs immer etwas, als beobachte man nur zusammenhanglose Aneinanderreihungen von Gegebenheiten. Welche Entwicklungen die Charaktere dabei durchmachen und wie dies einzuordnen ist, bleibt zu Beginn eher rätselhaft. Bekommt man gegen Ende dann ein Gefühl für das Ganze und weiß einzuschätzen, wie das Verhalten der Protagonisten einzuordnen ist, werden viele Dinge wesentlich greifbarer und man beginnt auch selber Emotionen in die Charaktere zu investieren. Das Problem dabei ist, dass man die eigentliche Handlung, den Konflikt zwischen den rivalisierenden Banden, die im Hintergrund ablaufende Auseinandersetzung mit Arnold Rothstein und den D'Alessio-Brüdern im Schneckentempo entwickelt. Und der Ausgleich dazu, die Charakterdramen und Entwicklungen aber (noch) nicht wirklich befriedigend und erfüllend sind. Da setzt man doch anfangs auf eher plakative Parabeln, gepaart mit Holzhammer-Optik der "Nucky hinterlässt überall seine blutigen Spuren"-Sorte, als auf glaubhafte Obduktionen von charakterlichen Abgründen.
Andererseits ist es oft so bei diesen komplexen Serien, die darauf setzen dass viel Handlung unter der Oberfläche stattfindet, dass man sowohl von kreativer Seite als auch als Zuschauer erst einmal den Rhythmus und das Gespür für das Ganze finden muss. Hat man sich dann einmal in die Welt der Serie, die im Hintergrund liegenden Verflechtungen und Intrigen eingelebt, ist man auch viel mehr in der Lage, den Nuancen der Erzählweise zu folgen. Das dieses sensible Gleichgewicht zwischen Autoren und Zuschauern etwas Zeit benötigt, ist nur natürlich und lässt darauf hoffen, dass die 2. Staffel dann wirklich aus den Vollen schöpft, auf allen Ebenen. Zumal die inhaltliche Ausgangslage nach dem Finale mehr als vielversprechend ist. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, bilden sich dort ganz neue Allianzen und neue Fronten tun sich auf, die sowohl für die große Handlung als auch die Konfrontationen auf Charakterebene enorm vielversprechend sind. Alles in allem kann ich "Boardwalk Empire" jedem nur ans Herz legen, die Serie liefert eine sehr gute erste Staffel ab, die sie zwar noch nicht in die Riege der ganz großen TV-Perlen aufsteigen läßt, aber was nicht ist kann ja noch werden.
Cindy Scholz - myFanbase
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