Adolescence - Review Miniserie

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Man stelle sich vor, dass man morgens überraschend Besuch von der Sonderheit der Polizei bekommt, mit Waffen bedroht auf den Boden gezwungen wird und die Polizei den 13-jährigen Sohn wegen Mordverdachts mitnimmt. So krass beginnt die Serie "Adolescence". Doch wer denkt, dass man danach durchatmen kann, der hat sich geirrt.

Foto: Mark Stanley, Owen Cooper & Stephen Graham, Adolescence - Copyright: 2024 Netflix, Inc.; Courtesy of Netflix
Mark Stanley, Owen Cooper & Stephen Graham, Adolescence
© 2024 Netflix, Inc.; Courtesy of Netflix

Die Serie geht intensiv weiter, weil man die ganze Zeit dabei bleibt und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Man merkt es nicht sofort, aber nach einiger Zeit wird einem klar, dass die Serie als One Shot gedreht ist, es also keinen Schnitt gibt und man immer mit den Geschehnissen mitgeht. Alleine das umzusetzen, hat monatelange Übung erfordert, jeder Schritt und jede Bewegung muss aufeinander abgestimmt sein, die Kamera muss immer da sein, darf aber nie im Weg stehen. Und wenn irgendwo ein Fehler passiert, dann muss alles wieder von vorne gedreht werden. Das ist wahnsinnig beeindruckend und es gibt Momente, in denen man glaubt, dass der Regisseur hier kurz überlegt haben könnte, ob er abbricht. Das macht es aber auch sehr authentisch, weil Gespräche auch mal kurz haken, ein Satz noch nachgeschoben wird, man sich mal ins Wort fällt, mancher Moment auch nur mal so dahinplätschert. Es passiert aber trotzdem immer etwas. Es gibt nur zwischen den vier Episoden Zeitsprünge, ansonsten ist man direkt dabei. Die Kamera ist ständig in Bewegung und man fühlt sich als Zuschauer mittendrin, weil man perspektivisch ganz nah dran ist, als wenn man eine 3D-Brille aufhätte und sich selbst im Raum bewegt. Das macht die Serie dadurch unheimlich intensiv, man fühlt sich wie ein Voyeur, der in der ersten Episode in die Arbeit der Polizei Einblicke erhält, in Episode 2 die Schule kennen lernt, in Episode 3 die Psychologin bei der Begutachtung des angeklagten Jungen Jamie begleitet und in der letzten Episode in die neue Lebenswelt der Familie von Jamie involviert ist. Die jeweils 50 Minuten gehen in unterschiedlichster Weise wirklich nahe, weil der Fall an sich schon wahnsinnig dramatisch ist und man in jeder neuen Perspektive ein Gefühl dafür bekommt, wie komplex das alles ist, wie alle Beteiligten auf ihre Art und Weise darunter leiden und es nur Verlierer gibt.

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Das Spannende dabei ist vor allem, dass in der Serie weder verurteilt noch beschuldigt wird. Jede Person versucht irgendwie mit der Situation umzugehen, jede Person muss innerhalb des Umfelds mit allem klar kommen. Da sind die Eltern von Jamie, die nicht verstehen können, wie ihr Sohn zu einer solchen Tat fähig ist und trotz aller Beweise glauben wollen, dass Jamie unschuldig ist, da dieser auch beteuert nichts gemacht bzw. nichts Falsches gemacht zu haben. Trotzdem überlegen sie natürlich, was sie selbst falsch gemacht haben, wo sie sich anders hätten verhalten können, damit das nicht passiert wäre. Die Alltäglichkeit und die Normalität ist dabei sehr bedrückend. Man schaut zu und muss einsehen, dass das wirklich jeder Familie passieren könnte, denn es sind Verstrickungen vielfältigster Faktoren, die hier zusammenspielen. In der Schule bekommt man mit, wie viel Mobbing durch Social Media eine Rolle spielt. Wie man mit Postings und Kommentaren versucht, sich über jemanden zu stellen, in eine Machtposition zu gelangen. Da kämpft jedes Kind seinen eigenen Kampf und verteidigt sich auch gerne mal durch Gegenangriff. Da sind auch machtlose Lehrer:innen, die sich von der Lebenswelt der Kinder weit entfernt haben und das System Schule durchzudrücken versuchen. Da ist auch der gesellschaftliche Druck, der vorschreibt, wie Männer sein sollen, was Frauen zu bieten haben und wie Kinder sich daran orientieren. In den Episoden wird so viel angerissen, worüber man stundenlang diskutieren könnte. Es ist beeindruckend, wie dieses komplexe Gefüge durch die Erzählweise ausgebreitet wird und wie man dadurch das Gefühl hat, dass so viele Aspekte noch lange nicht erzählt sind. Es gäbe locker noch zehn mögliche Episoden, die noch so viel beitragen könnten. Was ist beispielsweise mit dem Opfer, dessen Familie, den Freund:innen? Welche Rolle spielt Jamies Freund, der ihm das Messer als Abschreckung besorgt hatte? Wie liefen die anderen Gespräche mit Jamie? Wie hat er sich in der Haft gemacht? Wann kam die Einsicht bei ihm, dass er das wirklich gemacht hat? Und und und.

Foto: Erin Doherty & Owen Cooper, Adolescence - Copyright: 2024 Netflix, Inc.; Ben Blackall/Netflix
Erin Doherty & Owen Cooper, Adolescence
© 2024 Netflix, Inc.; Ben Blackall/Netflix

Am Ende bleibt man irgendwie ratlos zurück. Man ist auf der einen Seite froh, dass die Serie schon zu Ende ist, weil es schwierig war, diese Intensität so lange zu ertragen. Auf der anderen Seite hätte man gerne noch so viel mehr gewusst, ist sich aber trotzdem bewusst, dass es letztlich wohl auch nichts geändert hätte. Das ist unsere Welt, das sind die Probleme des Erwachsenwerdens. Es gibt zig Möglichkeiten, in die richtige Richtung abzubiegen, aber auch genauso viele, die andere Richtung einzuschlagen. Kommunikation, so wie der Polizist mit seinem Sohn, scheint der wesentliche Schlüssel zu sein, aber das ist einfacher gesagt als getan.

Fazit

"Adolescence" ist eine sehr empfehlenswerte Serie, die mit ihrer One-Shot-Erzählweise unglaublich intensiv ist und daher sehr nahe geht. Außerdem wird die Komplexität eines eigentlich ziemlich eindeutigen Falles sehr gut dargestellt, sodass man emotional noch mehr aufgerüttelt wird. Unbedingt anschauen.

Die Serie "Adolescence" ansehen:

Emil Groth - myFanbase

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