Casual - Review, Staffel 1

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Dysfunktionale Beziehungen sind in den letzten Jahren zum Kern vieler TV-Narrative geworden. Sei es die Problematik dysfunktionaler Liebesbeziehungen, Freundschaften oder Familienbeziehungen jeglicher Art, wir leben in einem TV-Zeitalter der Dysfunktionalität. Das Genre der Dramedy beschäftigt sich ganz besonders gern mit dysfunktionalen Beziehungen, denn: Nichts schafft besser und einfacher Drama als Probleme, gleichzeitig resultieren daraus auch oft viel Humor und Komik. So gab es die letzten Jahre mit Formaten wie "Girls", "Love", "Transparent", "Togetherness", "Looking", "You're the Worst" usw. eine richtige Welle an Indie-Dramedies mit dysfunktionalem Unterton. Das kleine Hulu-Format "Casual" reiht sich hier nahtlos ein und entpuppt sich im Verlauf seiner zehn Episoden umfassenden ersten Staffel bald als ein kleines Serienjuwel.

"Casual" lebt von einer ungewöhnlichen Prämisse, da diese drei Figuren zusammenbringt – Bruder/Onkel, Schwester/Mutter und Nichte/Tochter –, die man sonst eher selten in enger Beziehung in einem gemeinsamen Haus sieht: Valerie (Michael Watkins) zieht nach der Trennung von ihrem Mann mit ihrer Tochter Laura (Tara Lynne Barr) in das Haus ihres Bruders Alex (Tommy Dewey). Alle drei Charaktere befinden sich aus unterschiedlichen Gründen in schwierigen Lebensphasen. Valerie kämpft mit der Scheidung von Drew und dem Versuch, ihr Leben wieder unter Kontrolle zu bekommen – als Mutter wie auch vor allem als Frau, die sich nach vielen Jahren wieder ins komplizierte Datingleben wirft. Alex überspielt und betäubt seine Einsamkeit mit zwanglosem Sex und angeblicher Nonchalance, kämpft in seinem Innersten jedoch gegen die nagende Angst, alleine zu enden. Teenager Laura hingegen versucht sich sexuell auszutoben und hält ihre Mutter immer weiter auf Distanz. Ein zentraler Faktor im Leben jedes Einzelnen ist der im Titel festgehaltene Wunsch bzw. die Suche nach Zwanglosigkeit, vor allem im sexuellen Bereich, doch sollte man keinesfalls den Fehler begehen, die Serie darauf zu reduzieren.

Denn der Wunsch nach körperlicher Nähe ist im Endeffekt nur der Ausdruck einer sehr profunden Einsamkeit, die Valerie, Alex und Laura alle auf ihre eigene Art erfahren. Vor allem Valerie kämpft nach dem Verrat ihres Ehemanns mit einem riesigen Kontrollverlust, den sie irgendwie aufzufangen versucht – in ihrem Fall mit sexuellen Abenteuern. Das Interessante, und für den Zuschauer teilweise herrlich lustige daran ist, dass Valerie im Grunde genommen eine sehr zurückhaltende und stille Persönlichkeit ist, für die die Idee von "Casual Sex" erstmal total fern ist. Erst ein One-Night-Stand mit einem Studenten, bei dem sie zu viele Emotionen zulässt, macht ihr klar, dass sie erstmal Abstand zwischen sich und ihrer gescheiterten Ehe und damit erstmal auch zu ernsten Beziehungen bringen muss. Valerie ist von Beginn an eine enorm sympathische Figur, die man in ihrer Hilflosigkeit, ihrer Gutmütigkeit, ihrer Wut und ihrer Naivität sehr schnell liebgewinnt. Dies ist ganz besonders der herausragenden Leistung von Michaela Watkins zu verdanken, die oft ohne Worte eine ganze Palette an Emotionen auszudrücken vermag, dabei aber nie Overacting betreibt, sondern stets enorm authentisch in ihrer Darstellung ist. Unvergesslich wird etwa Valeries Zusammenbruch im Aufzug bleiben, bei dem Watkins zuerst lachend und dann weinend ein Spektrum von etwa 17 verschiedenen Gefühlen auf einmal darbietet. Phänomenal.

Ihr Schauspielkollege Tommy Dewey darf dabei aber keinesfalls außer Acht gelassen werden, denn als oft überheblich und machohaft wirkender Alex hat Dewey gerade zu Beginn der Staffel erstmal die weitaus undankbarere Rolle. Es dauert eine Weile, bis er das Image des Idioten, der über dicke Frauen herzieht und seine Freizeit in Stripclubs verbringt, zu rehabilitieren vermag und man hinter diese Fassade blicken kann. Dies passiert vor allem in den gemeinsamen Momenten mit Valerie. Das Bruder-Schwester-Gespann bildet den emotionalen Kern von "Casual", sie sind nicht nur Geschwister, sie sind beste Freunde, sie sind Seelenverwandte, die sich teilweise sogar intimste Geheimnisse teilen. Dass dies sowohl wunderbar als auch problematisch sein kann, gesteht die Serie sich zu jedem Zeitpunkt ein. Die Beziehung zwischen Val und Alex ist nie einfach oder perfekt, sie wird ungeschönt in ihren tollen Momenten (die nächtlichen Gespräche auf der Couch sind stets Highlights) und eben in ihrer Dysfunktionalität (vor allem gegen Ende der ersten Staffel) gezeigt. In ihren gemeinsamen Szenen zeigen Val und Alex ganz andere, viel verletzlichere und ehrlichere Seiten von sich, die dem Zuschauer oft ganz neue Einblicke liefern.

An komplizierten Beziehungen mangelt es "Casual" gewiss nicht – im Gegenteil, die Serie wagt sich teilweise in Gefilde vor, vor denen so manch anderes Format vielleicht zurückweichen würde. So versucht Laura, die als pubertierende, selbstgerechte Göre auch nicht immer die Sympathien auf ihrer Seite hat (wobei auch das sich relativiert), sich ihrem Lehrer Michael Carr (Patrick Heusinger) zu nähern, was schnell zu einer regelrechten Obsession wird. Alex versucht sich derweil als Affäre der hübschen Emmy (Eliza Coupe), die in einer offenen Beziehung lebt, was für Alex nicht immer unbedingt einfach ist. Zudem freundet er sich im Verlauf der ersten Staffel mit Valeries Fast-One-Night-Stand Leon (Nyasha Hatendi) an, die ein skurriles wie liebenswertes Duo abgeben. Besonders interessant – und oftmals zum Fremdschämen komisch – gestaltet sich das Aufeinandertreffen von Valerie und Alex mit ihren Eltern Dawn und Charles, deren sexuelle Freizügigkeit bei ihren Kindern Spuren hinterlassen hat. Zum Schreien komisch ist beispielsweise das horrende Thanksgiving-Dinner der Coles/Meyers, bei dem die Serie alles an Peinlichkeiten auftischt, was nur möglich ist.

Im Endeffekt lebt "Casual" von eben diesen Peinlichkeiten, von der aufrichtigen Eigenartigkeit seiner Protagonisten, von der Dysfunktionalität: "I don't know what's wrong with me" gesteht Valerie im Staffel-1-Finale in einem entscheidenden Moment. Und auch wenn diese Einsicht nicht die Art von Katharsis bringt, die man sich vielleicht erhofft hat, so ist sie doch ein wichtiges Geständnis: Man weiß, dass Fehler begangen wurden und man versucht, es besser zu machen. Emotional komplex, dramaturgisch sowohl wunderbar schlicht als auch herrlich humorvoll, schauspielerisch fantastisch besetzt und optisch teilweise grandios eingefangen ist "Casual" eine Dramedy am Puls der Zeit, die Beziehungen kompliziertester und einfachster Art unter die Lupe nimmt und dabei ein Trio an interessanten Charakteren ins Zentrum stellt, das man mal liebt, mal hasst, über das man sich aufregen und mit dem man lachen und weinen kann. "Casual" ist eine weitere Indie-Dramedy, bei der es sich wunderbar leicht abschalten lässt, um mal ein halbes Stündchen unterhalten zu werden.

Maria Gruber - myFanbase

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