Dracula - Review des Piloten
Diese Review schreibe ich als großer Fan des Schauerromans "Dracula" von Bram Stoker aus dem Jahre 1897, zudem bin ich mit der Verfilmung "Bram Stoker's Dracula" aus 1992 von Francis Ford Coppola aufgewachsen und habe seither keine vergleichbar gute Darstellung des mysteriösen, verführerischen Biestes Dracula, das in der Vergangenheit und der Liebe gefangen ist, wie die von Gary Oldman gesehen. Auf Jonathan Rhys Meyers in der Titelrolle leg(t)e ich große Hoffnungen, da er mich mit seiner imposanten, schamlosen und aufbrausenden Darstellung des Henry VIII. in "Die Tudors" ungemein beeindruckt hat. Wie Roman und Coppola-Verfilmung bedient sich die NBC-Serienneuauflage einiger biografischer Details der historischen Figur Vlad des Pfählers aus dem 15. Jahrhundert, nutzt das späte 19. Jahrhundert im vornehmen London als Schauplatz und wir treffen all die bekannten Romanfiguren wie Mina Murray, Jonathan Harker, Lucy Westenra, Renfield und Van Helsing wieder. Da aber hören im Grunde die Parallelen schon auf.
Visionary. Delusional. Egomaniac.
Der Anfang des Piloten zieht den Zuschauer recht gut in das Geschehen rein. Zwei Männer suchen 1881 eine Grabstelle in Rumänien auf, deren Wände mit Abbildungen der Gräueltaten von Vlad dem Pfähler versehen sind. Der eine Mann schneidet dem anderen die Kehle durch und lässt das Blut in den geöffneten Rachen des vertrockneten, mit Klingen durchbohrten Monsters fließen, wodurch dieses mit sehr gelungenen optischen Effekten wieder neue Lebensgeister erhält. Jonathan Rhys Meyers wacht als Dracula mit einem Schrei aus seiner Todesstarre auf und man spürt den kalten Schauer der Erwartung seiner düsteren Rachegelüste, die aus der Romanvorlage oder einer der vielen Verfilmungen bekannt sind. Plötzlich aber wird der kalte Schauer durch ein warmes Bad ersetzt, denn wie die schaumgeborene Venus taucht der schöne Meyers in der nächsten Einstellung von Kerzenlicht umschmeichelt aus einem dekadenten Wannenbad auf und hüllt seinen betörenden Körper in den feinen Zwirn der viktorianischen Gesellschaft. Ein Zeitsprung von 15 Jahren hat leider die gesamte düstere und fesselnde Geschichte in Transsylvanien mitsamt der Übersiedlung nach England übersprungen.
Dracula übt mit seinem getreuen Diener Renfield die amerikanische Aussprache, denn er gibt sich als amerikanischen Geschäftsmann aus, der die viktorianische Gesellschaft in Sachen Zukunftstechnologie revolutionieren will. So weit, so unglamourös. Dracula ist hier kein Schattenmensch, der eine mysteriöse Aura um sich hat, der gefährlich und anziehend zugleich wirkt, er ist ein Mann, der sich vor versammelter Gesellschaft ins Rampenlicht stellt, um einen selbstverliebten Amerikaner zu mimen, der die Europäer mit einem Wunder verzaubern will – dem Wunder kabelloser Elektrizität. Und warum das alles? Um die reichen Lordschaften ihres Imperiums der Ölindustrie zu berauben und ihnen somit Macht, Ansehen und Reichtum zu nehmen. Dies ist in der NBC-Serienversion Draculas Rache, denn die Lords und Ladies, auf die er es abgesehen hat, sind Mitglieder der Order of the Dragon, die für sein persönliches Leid verantwortlich ist. Dracula ist also Emily Thorne? Wie kommt man auf die Idee, den berühmtesten Vampir der Geschichte, der durch seine Verbindung zu Vlad dem Pfähler wahrhaft schauderhafte Saiten anklingen lässt, zu einem Intrigenspinner zu machen, der seine Zeit nach der Wiederbelebung darauf verwendet, seine Rache ganz subtil und auf lange Sicht zu planen, als sei er ein Normalsterblicher und kein übernatürliches, bluthungriges und impulsives Wesen, das zu Lebzeiten als martialischer Krieger dafür bekannt war, kurzen und schmerzvollen Prozess mit seinen Opfern zu machen? Das wirkt hier doch ein wenig ernüchternd.
Optisch ist "Dracula" nichts anderes als ein Augenschmaus! Festsaal und Innenräume sind unverschämt prunkvoll und Budapest als Drehort tut das Übrige. Jonathan Rhys Meyers macht sich als arroganter Geschäftsmann ausgesprochen gut, aber beeindruckende Gefährlichkeit strahlt er noch nicht aus. Das gibt die Rolle aber bislang auch noch nicht her. Verführerisch ist er jedoch ohne Zweifel und so wird es Dracula hier, wie in jeder anderen Verfilmung auch, alles andere als schwer fallen, die hübsche Mina Murray, in der er seine ermordete große Liebe wiedererkennt, für sich gewinnen. Jonathan Harker scheint hier zwar nicht ganz so langweilig wie sonst angelegt zu sein, aber das wird ihm auch nicht helfen, bleibt doch kaum einer der Darsteller neben Meyers in besonderer Erinnerung. Auch Thomas Kretschmann kann aus einem Van Helsing, der mit Dracula gemeinsame Sache macht, anstatt besessen aufs Vampirjagen zu sein, nicht allzu viel herausholen. Richtiggehend komisch wurde es schließlich in einer Kampfszene auf einem Dach, in der Dracula seine Schwertkampfkünste zum Besten gibt. Mir ist noch nicht ganz klar, ob das freiwillig oder unfreiwillig komisch war, wunderlich war es in jedem Fall. Hat Dracula hier keine übermenschlichen Kräfte? Bislang wissen wir über die der Serie inhärente Vampirmythologie noch sehr wenig. Sonnenlicht lässt seine Haut verbrennen und er kann sich lautlos und / oder unsichtbar bewegen. Oder war das nur ein Trugschluss?
NBC hat sich in letzter Zeit an einige Neuverarbeitungen von bekanntem Material versucht. "Sleepy Hollow" und "Hannibal" sind zwei Beispiele, bei denen es ziemlich gut geglückt ist. "Sleepy Hollow" nimmt Ichabod Crane und gibt ihm etwas ganz Neues zu tun, was einfach nur wirkt wie ein abenteuerlicher, kopfloser Ritt. Bei "Hannibal" bleibt man den Figuren aus der Vorlage treu und inszeniert sie so gut, dass man problemlos vergessen kann, dass man es mit einer Networkserie zu tun hat. Bei "Dracula" scheint beides, zumindest nach dem Piloten zu urteilen, nicht so wirklich der Fall zu sein. Dracula bekommt etwas Neues zu tun, aber das wirkt nicht besser oder gewagter als die Vorlage. Es bleibt zu hoffen, dass Jonathan Rhys Meyers viel mit seinem Schauspiel rausreißen kann und sich eine gute Chemie zwischen ihm und seinen Co-Stars entwickelt.
Fazit
"Dracula" wirkt wie ein sehr gezähmter Neuaufguss der bekannten Liebes- und Schauergeschichte. Die neue Herangehensweise, Dracula auf einen sehr menschlichen anstatt mysteriösen, übernatürlichen Rachefeldzug zu schicken, fesselt bislang noch nicht allzu sehr. Jonathan Rhys Meyers trägt die Handlung jedoch problemlos und könnte durch imposanteres Material das Sehvergnügen entscheidend steigern. Der Pilot zeigt die neue Serie sicherlich als Augenschmaus, aber an Gruselmomenten fehlt es doch deutlich.
Nicole Oebel - myFanbase
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