Hannibal - Review, Staffel 1

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Faszination Tod. Schon immer hat das Morbide einen unbeschreiblichen, bittersüßen Reiz auf den Menschen ausgeübt, der früher in Kunst und Literatur seinen Ausdruck fand, und heute vor allem durch das Medium Fernsehen aufgearbeitet wird. Crimeprocedurals sprießen seit den 90er Jahren wie Pilze aus dem Boden und seit Anfang des neuen Jahrtausends hat sich das TV-Interesse vor allem hin zu denjenigen gewandt, die anderen Menschen den Tod herbeibringen: die Mörder. Serien wie "Dexter", "Bates Motel" oder "The Following" bezeugen den Trend der Serienkiller-Serien, die versuchen, den verqueren Geist eines Killers auszuleuchten und besser zu verstehen. Bryan Fullers "Hannibal" bewegt sich genau mit diesem Trend, wählt dabei aber einen speziell psychologischen Ansatz und stellt Fragen nach Identität, dem schmalen Grat zwischen geistiger Gesundheit und Wahnsinn sowie der Relativität von Realität.

Foto: Hugh Dancy, Hannibal - Copyright: 2013 STUDIOCANAL GmbH
Hugh Dancy, Hannibal
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Obwohl die Serie nach dem bekannten mordlüsternen Kannibalen aus Thomas Harris' Buchreihe benannt ist, ist Hannibal, zumindest auf den ersten Blick, nicht der klassische Protagonist der Serie – er ist der Puppenspieler, der im Schatten seine Fäden zieht. Die Hauptfigur ist vielmehr Will Graham, ein Profiler mit der sowohl genialen als auch teuflischen Gabe, absolute Empathie empfinden und somit in die Haut eines Killers schlüpfen zu können, um seine Denkweise nachzuvollziehen und so Morde zu rekonstruieren. Will ist ein psychologisch unwahrscheinlich komplexer und enorm interessanter Charakter, der zwischen Genie und Wahnsinn schwankt, der einerseits autistische Züge hat, andererseits auf die Hilfe und Unterstützung seiner Kollegen und Freunde angewiesen ist. Mit Will liefert die Serie einen der reizvollsten Charaktere ab, die man seit langem im Fernsehen sehen durfte, und dessen Facetten von Hugh Dancy absolut phänomenal dargestellt werden.

In Staffel 1 begleitet der Zuschauer Will dabei, wie er Stück für Stück in den Abgrund des Wahnsinns abdriftet. Nachdem er in einer Notlage einen Mann erschossen hat, beginnt für Will eine tiefe Gewissenskrise, die durch seine Arbeit nicht gerade erleichtert wird. Anders als die meisten Crimeprocedurals (wobei "Hannibal" definitiv kein klassisches Procedural ist, sondern vielmehr eine gelungene Mischung aus Procedural und episodenübergreifenden Story-Arcs) fokussiert sich die Serie auf das, wo Shows à la "CSI: XY" in die Credits umschalten: Was für Auswirkungen hat es, jemanden zu töten? Was passiert mit denjenigen, die Tag für Tag die furchtbarsten Morde sehen und aufklären müssen? Wie sehr verändert es einen, sich mit Haut und Haaren in den Geist eines Mörders hineinzufühlen? Will zerbricht zusehends an seiner Tat und seinem Job, beginnt schlafzuwandeln und zu halluzinieren, und als Zuschauer ist man erschüttert und gleichzeitig fasziniert davon, in Wills Gedankenwelt einzutreten. Egal ob es sich um Wills Träume und Halluzinationen handelt oder um die Rekonstruktion der Morde, die visuelle Gestaltung seiner Gedanken ist stets großartig gelungen.

Foto: Mads Mikkelsen, Hannibal - Copyright: 2013 STUDIOCANAL GmbH
Mads Mikkelsen, Hannibal
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Doch dann ist da natürlich noch der Namensgeber der Serie. Dr. Hannibal Lecter steht Will in Sachen Faszination nichts nach. Als absoluter Gegenpol zu Will, nämlich als ein Mann, der überhaupt keine Empathie empfindet, ist Lecter ein undurchschaubares Mysterium, ein kühler Fels in der Brandung mit einem tödlichen Geheimnis, von dem allerdings nur der Zuschauer zunächst ahnt und dann weiß. Mads Mikkelsen brilliert in dieser Rolle, macht Lecter zu einem Mann, den man gleichzeitig anziehend und abstoßend findet. Sehr gut funktioniert hier die sukzessive Informationsvergabe im Laufe der ersten Staffel. Während Lecter im ersten Drittel der Staffel zunächst eine Nebenrolle spielt, dessen kannibalistische Tendenzen nur in herrlichen Seitenhieben angedeutet werden ("I have to warn you: nothing here is vegetarian."), verschiebt sich der Fokus danach langsam auf ihn und sein mörderisches Hobby und vor allem darauf, wie er aus perfidem Spaß an der Freude im Hintergrund sämtliche Strippen zieht und nicht nur Will, sondern auch das FBI in Form von Jack Crawford (Lawrence Fishburne) und seine Kollegen wie Dr. Alana Bloom (Caroline Dhavernas) an der Nase herumführt. Ganz besonders interessant wird es, als man Lecter bei den Sitzungen mit seiner eigenen Psychiaterin Dr. Bedelia Du Maurier (toll: Gillian Anderson) zusehen darf, in denen quasi ein Eisberg zum anderen spricht und in unglaublich vielschichtigen und subtilen Dialogen eigentlich wenig und doch sehr viel gesagt wird. Doch es ist vor allem Lecters ambivalente Freundschaft – wenn man es so nennen kann – zu Will und die gemeinsamen Szenen der beiden, die den Kern von "Hannibal" bilden und zu so manch großartigen Highlights führen.

Foto: Laurence Fishburne, Hannibal - Copyright: Brooke Palmer/NBC
Laurence Fishburne, Hannibal
© Brooke Palmer/NBC

Was "Hannibal" dabei besonders gut gelingt ist, ist die Einbettung von Procedural-üblichen Stand-Alone-Episoden in den größeren Kontext. Die staffelumfassende Geschichte rund um Wills Mord an Garret Jacob Hobbs und dessen Auswirkungen wird geschickt verwoben mit Case-of-the-Week-Stories, die wiederum oft geschickt mit Hannibals dunklem Treiben in Verbindung stehen. Dabei schadet es natürlich nicht, dass Bryan Fuller und sein Team eine fantastische visuelle Ästhetik auffahren, die sehr symbolträchtig ist und auf faszinierende Weise zum Beispiel mit der Farbe Rot im Kontrast zum sonst eher monochromen Bildton spielt, und so den eigentlich brutalen und schrecklichen Mordakt als fast schon etwas Künstlerisches darstellt. Oft ist "Hannibal" allein schon deshalb enorm gruselig und packend, weil Ästhetik und Kamera so wirkungsvoll sind und weil man als Zuschauer oft lange im Dunkeln darüber gelassen wird, was nun real und was Fantasie ist.

Foto: Mads Mikkelsen, Hannibal - Copyright: 2013 STUDIOCANAL GmbH
Mads Mikkelsen, Hannibal
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Als einziger Kritikpunkt lastet der ersten Staffel letztlich nur an, dass sie an einigen Stellen in die altbekannte Logikfalle hineintappt und sich mit Freddie Lounds (Lara Jean Chorostecki) zudem eines klassischen Antagonisten bedient, der nur dafür da ist, in Ermittlungen hineinzupfuschen und so bestimmte Dinge in Bewegung zu setzen (bestes Beispiel ist Episode #1.03 Potage). Doch dies sind letztlich vernachlässigbare Probleme, die angesichts dessen, was bei "Hannibal" alles gelingt, nebensächlich werden. Denn die erste Staffel von "Hannibal" ist ein stringent durchkonstruiertes, hervorragend inszeniertes psychologisches Crimedrama mit zwei exzellenten Hauptdarstellern, das enorm unterhaltsam ist und sich in seiner langsamen und eindringlichen Machart, seinem Fokus auf das Innenleben der Charaktere und seiner Tiefgründigkeit in Hinblick auf Themen wie Moral, Identität und Tod von anderen Genrekollegen abhebt. Mit "Hannibal" gewinnt das Thema Tod wieder an Schwere und Bedeutung, indes man genüsslich und fasziniert dabei zusehen darf, wie ein Killer und ein Opfer sich damit auseinandersetzen.


Foto: Copyright: 2013 STUDIOCANAL GmbH
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Technische Details der DVD

Veröffentlichung: 20. Dezember 2013
Laufzeit: ca. 538 Minuten (13 Episoden)
FSK: ab 18 Jahren
Bildformat: 16:9 - 1.77:1
Tonformat: Deutsch (Dolby Digital 5.1), Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch

Bonusmaterial: Audiokommentar von Bryan Fuller, Hugh Dancy und David Slade; Gag Reel; Geschnittene Szene; Featurettes: "Hannibal Reborn", "A Taste for Killing", "The FX of Murder", "A Symphony for the Slaughter"; Trailer & Teaser

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Maria Gruber - myFanbase

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