Die enttäuschendsten Momente 2011/2012
#2.12 To the Lost (Boardwalk Empire)
Im Großen und Ganzen war die zweite Staffel von "Boardwalk Empire" ähnlich angelegt wie die erste und hat für Zuschauer, die sich mit der etwas ruhigeren, im Gegensatz zur Thematik stehenden Erzählart anfreunden können, hervorragend funktioniert. Vor allem waren es die Charakterzeichnungen, die mich bei "Boardwalk Empire" immer wieder haben einschalten lassen, auch wenn ich normalerweise mit dem Thema Mafia nicht so viel anfangen kann. Umso überraschter war ich, als sich die Macher sich dazu entschieden, sich von ihrem zweiten männlichen Hauptcharakter schon im Finale der zweiten Staffel zu verabschieden. Zumal er für mich, ähnlich wie es Cindy Scholz in ihrer Review zur ersten Staffel schon erwähnte, der eigentlich Star der Serie war.
"This is the only way, we could have ended, isn't it?"
Vielleicht mag es etwas klischeehaft erscheinen, einen Serientod zu den enttäuschendsten Momenten der vergangenen Season zu wählen, zumal es sich bei "Boardwalk Empire" um eine Mafiaserie handelt, in der es generell nicht gerade zimperlich zur Sache geht. Da es sich aber um einen der beiden Hauptcharaktere gehandelt hat, der außerdem noch eine absolut mitreißende Storyline hatte, zählt der Tod von Jimmy Darmody (Michael Pitt) für mich doch definitiv dazu.
Die komplette zweite Staffel stand Jimmy ebenso im Mittelpunkt wie der Hauptcharakter der Serie, Enoch 'Nucky' Thompson, der von Steve Buscemi verkörpert wird. Die gemeinsame Storyline der beiden drehte sich um die Hierarchie im Alkoholschmuggel in Atlantic City und es kam zum Machtkampf zwischen Nucky und seinem ehemaligem Schützling. Schließlich hinterging Jimmy Nucky zusammen mit dessen Bruder Eli (Shea Whigham) und seinem Vater (Dabney Coleman), und dieser wurde wegen Wahlbetruges angezeigt und musste sein Amt niederlegen. Im späteren Verlauf der Staffel wurde ein Attentat an Nucky in Auftrag gegeben, hinter dem in erster Linie eigentlich sein eigener Bruder steckte. Da Jimmys Vater aber zwischenzeitlich einen schweren Schlaganfall erlitten hatte und Jimmy seine Aufgaben übernahm und das Attentat auf Druck von Eli in Auftrag gab, musste er am Ende der Staffel seinen Kopf für das missglückte Attentat hinhalten, da Nucky seinem Bruder offenbar verzeihen konnte, der Commodore schon tot war und nur Jimmy in Frage kam, um ein Exempel zu statuieren.
Doch bis es dazu kommt, ist es ein weiter Weg und während Nuckys Charakter in der zweiten Staffel relativ einseitig und fast schon stereotyp gezeichnet wurde und sich nahezu alle seine Storylines um seine politische und kriminelle Karriere drehten, erfuhr man im Gegensatz dazu mehr über Jimmys privates Leben und seine traumatische Vergangenheit, was seine Charakterzeichnung authentischer wirken ließ. Zum Beispiel wurde via Flashbacks gezeigt, wie es während seiner College-Zeit zu einem sexuellen Übergriff seitens seiner Mutter (Gretchen Mol) kam, was ihn damals erst zu dem für ihn so folgenschweren Schritt, sich freiwillig als Soldat zu melden, getrieben hatte und auch seine ambivalente Beziehung zu seiner Mutter erklärt.
Jimmys Storyline war für mich die mitreißendste und ich litt mit, als Jimmys Frau (Aleksa Palladino), die nie in die Geschäfte ihres Mannes verwickelt war, ermordet wurde und war fassungslos, als ich mitansehen musste, wie Jimmy auf Heroin seinen eigenen Vater nach einem Handgemenge, auf Befehl seiner Mutter hin, ermordete. Durch die genannten Beispiele und durch viele weitere, weniger dramatische Szenen, wurde es dem Zuschauer ermöglicht, hinter Jimmys Fassade zu blicken, Empathie zu empfinden und Zugang zu seinem Charakter zu finden, was mit Verlaub bei keinem anderen Charakter in "Boardwalk Empire" in dem Maß möglich war und für mich trotz der Thematik der Serie wichtig ist. Hinzu kommt, dass für mich gerade die Charaktere, die mit Jimmy Darmodys Storyline verknüpft waren, den Charme der Serie ausmachen, und deren Zukunft in der Serie für mich zum jetzigen Zeitpunkt nicht gesichert ist. Allen voran der vom Krieg entstellte Richard (Jack Huston), Jimmys kleiner Sohn und seine Mutter, die diesen jetzt vermutlich großziehen wird und die schon bei Jimmy selbst so gnadenlos versagt hatte.
Für mich ist es absolut unverständlich, wie ein Autorenteam sich so frühzeitig vor einem so interessanten Charakter verabschieden konnte, zumal man mit Michael Pitt wirklich die perfekte Besetzung für diese Rolle hatte und dessen schauspielerische Leistung auf einem konstant hohem Niveau war. Zwar gibt es an der Todesszene an sich nicht das Geringste auszusetzen und auch in seiner letzten Szene bleibt Jimmy Darmody der Charakter, den man trotz seiner kriminellen und gewalttätigen Machenschaften am meisten ins Herz geschlossen hat. Denn Jimmy wusste, was ihn bei dem Treffen erwarten würde, ging unbewaffnet hin und ließ seinen Freund Richard in Sicherheit zu Hause zurück, obwohl ihn dieser begleiten wollte. Er bleibt bis zuletzt ruhig und führt einen Dialog mit seinem ehemaligen Ziehvater, bei dem er diesem mitteilt, dass er schon vor langer Zeit in den Kriegsgräben gestorben sei. Letztendlich ist es dann Nucky, der sich zum ersten Mal selbst die Hände schmutzig macht, anstatt Aufträge zu erteilen, und Jimmy hinrichtet.
Man kann es vielleicht mutig finden, dass die Autoren diesen Schritt gegangen sind und das Überraschungsmoment war wirklich überwältigend. Denn ich habe bis zuletzt nicht daran geglaubt, dass das, was ich sehe und das eigentlich nur die logische Konsequenz von Jimmys Betrug an Nucky ist, tatsächlich bis zum bitteren Ende durchgezogen wird. Da die Reaktionen von Fans und Presse teils sehr heftig und gespalten waren, ist es den Autoren auf jeden Fall gelungen, zu provozieren. Ob das aber auf lange Sicht, ein kluger Schachzug war, einen seiner zwei Hauptcharaktere so früh zu opfern, bleibt abzuwarten. Für mich persönlich wäre aus dem Charakter noch mehr herauszuholen gewesen und ich wage es zu bezweifeln, dass der kurze Schockmoment dieses Opfer wert war.
Anja P. - myFanbase
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