Die enttäuschendsten Charaktere 2013/2014
Die Nebencharaktere (True Detective)
Enttäuschungen sind immer eng verbunden mit Erwartungen. Hat man an eine Serie keine, dann kann man eben auch nicht enttäuscht werden. Entwickelt sich aber ein bereits im Vorfeld mit zahlreichen Vorschusslorbeeren versehenes Projekt im Laufe seiner Ausstrahlung auch noch schnell zum absoluten Kritiker- und Publikumsliebling und wird vor allem von vielen bereits nach gerade einmal einer handvoll ausgestrahlter Episoden mit den ganz großen der Branche auf eine Stufe gestellt, dann entwickelt man als Zweifler doch schnell dieses unschöne aber nicht zu vertreibende Gefühl, man schaue irgendwie eine ganz andere Geschichte als all die anderen.
So ging es mir mit "True Detective", das sicher eine lohnenswerte erste Staffel ablieferte, die man über lediglich acht Episoden gut verfolgen konnte. Aber die Heilsbringerbotschaften, die damit einhergingen waren doch irgendwie rätselhaft. Die vielbeschworene Innovation, rund um das angeblich komplett neue Konzept von Serienschöpfer Nic Pizzolatto, stellte sich nach einigen Episoden doch als erneuter Aufguss von traditionellen Motiven und Methoden aus dem Krimigenre heraus, das zwar technisch und optisch großartig umgesetzt war, an den Rändern aber über eine fatalistische Leere nicht hinaus kam.
Reichen einfach nur Antihelden aus?
Das meiste Lob erhielt die Serie (und wird sie auch im Rahmen unseres Season-Rückblicks noch an anderer Stelle von weiteren myFanbase-Autoren erhalten) für die beiden Hauptfiguren, verkörpert von Matthew McConaughey und Woody Harrelson. Und dieses Lob streicht "True Detective" absolut zu Recht ein, besonders in Bezug auf die genialen darstellerischen Leistungen der beiden Protagonisten. Aber abgesehen von Rust Cohles philosophischem Wesen, welches immer wieder in den Nihilismus abdriftet, bilden Rust und Marty nur ein weiteres Glied in der mittlerweile zum Klischee verkommenen Kette der Antihelden. Tony Soprano, Vic Mackey und auch Don Draper waren neue Facetten in der TV-Landschaft, die Antihelden der heutigen Generation stellen aber kein erzählerisches Risiko mehr dar, gehören sie doch eher zum must-have einer modernen Qualitätsserie. Dazu kommt die Tatsache, dass Rusts spezielle Weltanschauung und seine Distanziertheit, sowie sein Bezug zur Philosophie im Fernsehen vielleicht noch einen gewissen neuartigen Charakter hat, gerade aber in der Literatur findet man genau solche Figuren immer wieder, oft als erzählerischer Mittelpunkt, meist geschrieben von Männern die sich selbst mit ihrer eigenen (schwindenden) Männlichkeit auseinandersetzen.
All das wäre aber noch kein wirklicher Grund zur Enttäuschung, wir alle haben ganz unterschiedliche Präferenzen an unsere Serien und widmen uns Charakteren aus den verschiedensten Gründen. Das Problem entsteht bei "True Detective" erst damit, dass neben Marty und Rust einfach keine tiefgründigen, ausgearbeiteten oder auch nur ansatzweise komplexen Charaktere existieren. Dieses Manko hat der Serie recht schnell eine Online-Diskussion über die Frage eingebracht, ob diese Herangehensweise von "True Detective" im Kern misogyn ist oder nicht. Dabei ist in meinen Augen die Frage der Frauenfeindlichkeit nur die offensichtlichste Schwäche, die durch die absolute Fokussierung auf die beiden (männlichen, weißen, mittelalten) Protagonisten automatisch entsteht. Man könnte genauso über latenten Rassismus oder zumindest Ignoranz gegenüber Afroamerikanern und deren Einfluss auf die Geschichte sprechen. Das gerade die problematische Darstellung der Frauenfiguren, beziehungsweise das Fehlen einer wirklichen Auseinandersetzung mit diesen eine dauerhafte Diskussion angeregt hat, liegt für mich daran, dass die Geschichte sich eben mit frauenspezifischen Themen beschäftigt. Das rituelle Morden von jungen Frauen wird aber eben nie aus der Perspektive einer weiblichen Figur betrachtet, all die Randfiguren nehmen wir Zuschauer nur aus der Perspektive der beiden Männer im Mittelpunkt wahr und so verkommen sie meist zu Klischees der Kategorie Madonna oder Hure.
Besonders eklatant wird dieses Versäumnis am Beispiel von Martys Ehefrau Maggie, deren Position in der Geschichte und im Gefüge zwischen den beiden Männern einfach mehr verdient gehabt hätte. Michelle Monaghan bietet dazu auch eine gelungene Schauspielleistung, aber auch ihre Motive und Beweggründe bleiben absolut unausgeleuchtet und werden nur vage angedeutet. Sie existiert als pures auslösendes Moment für den großen Streit zwischen Marty und Rust, und die komplizierte Beziehung zu Marty, die klar die Züge einer Ehe unter dem Schatten des emotionalen und körperlichen Missbrauchs trägt, bleibt zu sehr an der Oberfläche. Problematisch ist dabei zudem, dass die Serie am Ende trotz aller Andeutungen für Martys Gewalttätigkeit und seinen ungesunden Einfluss auf seine Frau und seine Töchter doch das Gefühl vermittelt, er sei irgendwie der Gute. Da schlägt der zuvor etablierte Mythos, die Welt müsse von Männern vor dem Bösen beschützt werden, die ein klein wenig weniger böse sind. Es ist dieser Ethos, der mir als Zuschauer absolut zuwider ist. Wie wäre es denn, wenn sich die Opfer der Gewalt selbst aus dem Loch befreien? Wie wäre unsere Welt, wenn wir als Gesellschaft nicht nur das absolut unfassbar Böse von Carcossa verurteilen, sondern uns auch mit dem gewöhnlich-alltäglichen Bösen in Figuren wie Marty auseinandersetzen? Und nicht durch Geschichten, wie eben die in "True Detective" erzählten doch zu dem Schluss kommen, das wir uns als Frauen mit dem "kleineren Übel" arrangieren müssen, um dem richtigen Teufel nicht zum Opfer zu fallen? Und wie wäre es, wenn all die Nebenfiguren die zu Opfern werden (die eben zumeist Frauen sind) nicht nur als Motivation, Katalysator und endgültigem Erkenntnisgewinn für die immer gleichen Männer fungieren würden, sondern eigenständige Charaktere mit komplexen Innenleben wären?
Damit kommen wir wieder zurück zum Kern des Themas dieses Eintrags in die Kategorie der Enttäuschungen der vergangenen Season. "True Detective" mag mit Rust und Marty zwei gute Seriencharaktere geschaffen haben, hatte darüber hinaus auf inhaltlicher Ebene aber dem Zuschauer nichts zu bieten. Wer sich nicht für deren Blick auf die Welt begeistern konnte, stand verlassen da. Das mag für eine solide Serie genug sein, wer sich mit den wirklichen Meisterwerken des TV-Genres messen will, muss mehr bieten. Gerade die ganz Großen bieten dem Zuschauer unterschiedlichste Ebenen der Identifikation, die dann gleichzeitig Ambivalenz und Vielschichtigkeit zu den verschiedensten Themen ermöglichen. An diesem Maßstab ist "True Detective" aufgrund seiner flachen und oberflächlichen Nebencharaktere leider gescheitert.
Cindy Scholz - myFanbase
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