Die besten Episoden 2013/2014
#2.06 Not I (My Mad Fat Diary)

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Es ist bemerkenswert, wie konsequent die Autoren von "My Mad Fat Diary" ihr Konzept durchziehen: Sie haben die Serie damit begonnen, dass die Protagonistin Rae ihrem Tagebuch all die Ängste, Freuden, Sorgen und Träume anvertraut, die ihr in ihrem Teenagerleben begegnen. Und der Zuschauer bekommt die Geschichte daher ausschließlich aus Raes Sicht erzählt – nur das, was sie selbst erlebt, kommt in der Serie vor; es gibt keine Szene ohne sie. In der zweiten Staffel haben die Autoren es jedoch durch einen genialen Kniff geschafft, ihr Konzept beizubehalten und dem Zuschauer trotzdem eine neue Erzählperspektive zu bieten. Denn in der vorletzten Folge findet Rae das Tagebuch ihrer besten Freundin Chloe – und beginnt es zu lesen.

Perspektivwechsel

Das schwierige Verhältnis der beiden besten Freundinnen Rae und Chloe zieht sich wie ein roter Faden durch "My Mad Fat Diary" und gipfelte in #2.05 Inappropriate Adult in einem schlimmen öffentlichen Streit. Danach herrscht Funkstille – auch, weil Chloe plötzlich von Zuhause abhaut und verschwunden ist. Weder ihre Eltern noch Rae machen sich Sorgen, sondern sind eher genervt von Chloes wieder einmal exzentrischem Verhalten. Als Rae für eine Schulaufführung das dringend benötigte Dekomaterial sucht, für das Chloe zuständig war, findet sie in deren Zimmer allerdings das Tagebuch und kann nicht widerstehen, einen Blick hinein zu werfen.

Und so sehen wir wichtige Momente der ersten Staffel wie das erste Treffen von Rae und der Clique oder auch die Szene, in der Rae Chloe gesteht, dass sie in der Psychiatrie war, noch einmal – aber diesmal aus der Sicht von Chloe. Und Rae ist zunächst außer sich, wie falsch Chloe die Ereignisse wiedergibt, vergleicht immer wieder mit ihrem eigenen Tagebuch und ist sich mehr als einmal sicher: So hat sich das nicht abgespielt! Dem Zuschauer wird jedoch mit den neuen Rückblicken schnell klar, dass die unterschiedlichen Schilderungen die subjektiven Einschätzungen der beiden Mädchen wiedergeben – wie es Tagebücher nun mal so an sich haben. Während Chloe ausführlich beschreibt, mit welchen netten Worten sie Rae der Clique vorgestellt hat, blieb bei Rae von diesem Moment nur das Gefühl der Unsicherheit und des Gefallenwollens haften. Mit diesem einfachen Erzählkniff machen die Autoren dem Zuschauer deutlich, dass er in den vergangenen zwei Staffeln eine zwar sehr detaillierte und persönliche, aber eben auch einseitige Sicht auf die gesamte Geschichte hatte. Nämlich die von Rae.

In dieser Folge, die bezeichnenderweise auch "Not I" heißt, darf man nun auch einen Blick in das Innenleben von Chloe werfen und stellt fest: Trotz ihrer Unterschiede kämpfen beide Mädchen mit ganz ähnlichen Problemen. Beliebtheit, Aussehen, Liebeskummer – und die ständige Unzufriedenheit mit sich selbst, das Gefühl, nicht genug zu sein. Doch während Rae Trost im Essen sucht, sind es bei Chloe die Männer. Natürlich vorrangig diejenigen, die sie ausnutzen und wie den letzten Dreck behandeln – aber ihr im ersten Moment eben auch das Gefühl geben, begehrenswert zu sein.

Noch tragischer wird diese Feststellung, weil gleichzeitig gezeigt wird, wie Chloe sich tatsächlich schon länger für Finn interessiert und sich in ihn verliebt hat. Ganz im Gegensatz zu Raes Eindruck aus der ersten Staffel, dass Chloe sich ganz plötzlich dafür entschieden hätte, Finn zu mögen, nur um Rae auszustechen. Genauso, wie man in der ersten Staffel mit Rae mitgelitten hat, leidet man in dieser besonderen Folge auch mit Chloe. Und was noch wichtiger ist: Auch Rae entwickelt im Laufe dieser Folge ein ganz neues Verständnis für ihre beste Freundin und stellt fest, dass Chloe öfter hinter ihr stand, als sie dachte. Und ihr wird klar, dass auch Chloe nun Unterstützung und Hilfe von ihrer besten Freundin braucht.

"My Mad Fat Diary" ist eine durchweg qualitativ hochwertige Coming-of-Age-Serie, die in jeder Folge mit beeindruckend tiefgründigen Einblicken in die Teenagerseele punktet. Und doch sticht diese Episode ganz besonders hervor: Durch die Rückblickszenen aus einem anderen Blickwinkel und die Fokussierung auf die Parallelen zwischen Rae und Chloe, durch das neue Verständnis, dass Rae und der Zuschauer für Chloe gewinnen, entsteht eine unglaublich intensive und emotionale Folge. Das Experiment hätte, nachdem man sich zwei Staffeln lang auf Raes Perspektive eingestimmt hat, auch nach hinten losgehen können. Aber Sharon Rooney und vor allem Jodie Comer liefern eine grandiose Darstellung ab, die einen diese Folge nicht so schnell vergessen lassen.

Lena Stadelmann - myFanbase

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