Die besten Staffeln 2015/2016
The People v. O.J. Simpson: American Crime Story

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Über 20 Jahre nachdem der Mordprozess gegen den Football-Star O.J. Simpson Amerika in eine noch nie dagewesene Aufregung rund um einen Gerichtsfall versetzte, hatte dieses Verfahren im Frühjahr 2016 im Fernsehen ein fulminantes Comeback. Die überraschend unterhaltsame Miniserie "The People v. O.J. Simpson", die unter dem Logo "American Crime Story" zu einem auf mehrere Jahre angelegten Anthologie-Format bei FX gehört, widmet sich diesem Verfahren. Die zehnteilige Aufarbeitung des Mordfalles – Simpson wurde angeklagt, seine Ex-Frau Nicole und den jungen Kellner Ron Goldman brutal ermordet zu haben – schaffte es dabei aus dem von Sensationslust und Publicity-Sucht dominierten Umfeld des Verfahrens nicht nur eine spannende und unterhaltsame Miniserie zu schaffen. Es gelang ihr auch, den beteiligten Figuren, die in den USA, ob sie es wollten oder nicht, zu Personen des Öffentlichen Lebens wurde und im Zuge dessen zu einfachen Karikaturen von Menschen, wieder die Mehrdimensionalität und damit die Würde zu verleihen.

"If it doesn't fit, you must acquit!" – Johnny Cochran

Foto: Courtney Vance, American Crime Story: The People v. O.J. Simpson - Copyright: FX, Fox 21 TVS, FXP.
Courtney Vance, American Crime Story: The People v. O.J. Simpson
© FX, Fox 21 TVS, FXP.

Die Betrachtung dieses Themas ist für das mitteleuropäische Publikum sicher noch einmal eine andere Angelegenheit, besonders für diejenigen Zuschauer, die noch zu jung sind, um sich überhaupt an den Mordfall zu erinnern. In den USA sind die Details rund um den Prozess gegen O.J. Simpson auch so viele Jahre danach immer noch wahnsinnig präsent und es muss eine schier überwältigende Aufgabe gewesen sein, gegen viele Annahmen und Gerüchte anzukommen, die in der Öffentlichkeit mittlerweile zu Mythen geworden sind. Diese Miniserie schafft es aber, eine wirklich schlüssige Geschichte rund um den Prozess zu erzählen und damit die Zuschauer in ihren Bann zu ziehen. "The People v. O.J. Simpson" ist eine wirklich unheimlich gelungene Mischung aus einer spannenden Geschichte, die nie ihren Reiz verliert, obwohl man nicht nur das Ende sondern auch zahlreiche Kniffe und Wendungen der Geschichte bereits kennt, ohne das Thema auch nur einmal gegooglet zu haben. Die Serie besteht aus wirklich beeindruckend strukturierten Drehbüchern, die von Scott Alexander und Larry Karaszewski verfasst wurden, die die zehn Episoden der Geschichte so aufteilen, dass sich meist eine Folge einem bestimmten Aspekt dieser irren Geschichte widmen: Folge 1 der Tat und dem direkten Geschehen danach; Folge 2 der wie aus einem Reality-Drehbuch wirkenden Verfolgungsjagd von Simpson quer durch Los Angeles; Folge 5 stellt dann beispielsweise die Staatsanwältin Marcia Clark in den Vordergrund, während Folge 8 die Geschworenen in den Fokus rückt, um nur einige Beispiele zu nennen.

Darüber hinaus hat man die Geschichte, bis auf wenige Ausnahmen, großartig gecastet, was aufgrund der Herausforderung, größtenteils real existierende Vorbilder, die zumeist auch noch am Leben sind, sicher eine besondere Herausforderung war. Die drei herausstechendsten Performer hier sind Sarah Paulson als Staatsanwältin Marcia Clark, Courtney B. Vance als Verteidiger Johnny Cochran und Sterling K. Brown als Clarks Kollege Christopher Darden. Alle drei haben absolut verdienter Weise Emmy-Nominierungen für ihre Leistung erhalten und zumindest Paulson und Vance sollten ihre jeweilige Konkurrenz eigentlich dominieren, denn an diesen Leistungen kommt man einfach nicht vorbei. Sie haben gezeigt, ebenso wie Brown, wie komplex und unausweichlich sich gesellschaftliche Einflüsse von Sexismus, Rassismus und Mysogonie auf das Verhalten und das Leben einzelner Personen auswirken kann, und wie sich diese dann vom Leben einzelner Personen auf die gesamte Gesellschaft ausdehnen können. Am Beispiel dieses Prozesses und dem Leben der daran beteiligten Personen kann man hier wie durch eine Lupe beobachten, wie unausweichlich die Rassendynamik zwischen Schwarz und Weiß in den USA, besonders in Los Angeles ist, wie subversiv aber alles dominierend das Machtverhältnis der Geschlechter immer noch in Richtung der Männer verschobenen ist und was für toxische Mischungen entstehen, wenn sich diese verschiedenen Faktoren gegenseitig beeinflussen.

"The People v. O.J. Simpson" ist es gelungen, diese komplexen Einflüsse klar herauszuarbeiten, sie anhand von sympathischen Figuren zu demonstrieren und darüber hinaus zu offenbaren, dass unsere Gesellschaft auch über 20 Jahre später diese tiefen Gräben zwischen den Rassen und den Geschlechtern noch lange, lange nicht überwunden hat. Und das alles, während es nie aus dem Auge verlor, in erster Linie eine unterhaltsame und spannende Geschichte zu erzählen.

Für sich allein stehend wäre "American Crime Story" wohl der beste Neustart der vergangenen Season und damit natürlich eine der besten Staffeln dieser gewesen. Aber die Serie profitierte dann auch noch einmal davon, dass sie zusammen mit der achtstündigen Dokumentation "O.J.: Made in America" ein beeindruckend tiefgründiges Porträt der amerikanischen Gesellschaft ablieferte. Die Dokumentation vertiefte noch einmal die gesellschaftspolitisch relevanten Hintergründe der Geschichte, versorgt diese mit einer detaillierten Geschichte der Konfliktlinie zwischen Schwarz und Weiß in Los Angeles weit über den Fall Rodney King hinaus und bis tief in die sechziger Jahre zurück, und bügelte eine der wenigen Schwachstellen der Miniserie aus, der es leider nicht sehr gut gelang, das Phänomen O.J. Simpson und dessen Charakter und die Reaktion der Öffentlichkeit auf ihn zu übertragen. Konnte ich vor dem Schauen der Dokumentation noch nicht ganz nachvollziehen, warum US-Kritiker Cuba Gooding Jr. als Fehlbesetzung betrachten, war es nach dieser doch ganz klar. Simpsons einzigartige Karriere, sein ganz besonderes Charisma und seine besondere Stellung innerhalb der schwarzen Community (bzw. das Fehlen einer solchen Position: "I'm not black, I'm O.J.") kamen innerhalb der Miniserie nicht so beim Zuschauer an, wenn man Simpson selbst eben nicht noch von vor dem Prozess als Prominenten kannte. Auch die außerordentliche Brutalität der Tat, sowie Simpsons lange Geschichte der Gewalt gegen seine Frau wurden erst in der Dokumentation wirklich deutlich. Aber wenn man den Umfang dieser Dokumentation in Betracht zieht und dass sich die Miniserie eben weitestgehend auf den Prozess konzentrierte und deshalb einige Aspekte weglassen musste, bleibt es eine beeindruckende Leistung.

Noch vor einigen Monaten hätte ich nie gedacht, dass mich der Prozess um O.J. Simpson einmal so faszinieren würde. Aber diese beiden außergewöhnlichen Fernsehproduktionen haben es geschafft, diesen als Lehrstück für die komplexen Faktoren unserer Gesellschaft, die alle ineinander greifen, zu benutzen und damit ein tiefgründiges Gesellschaftsporträt gezeichnet, dass trotz der Tatsache, dass der Fall lange zurück liegt, immer noch brandaktuell ist.

Cindy Scholz - myFanbase

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