Die besten Momente 2009/2010
Platz 3: #1.10 I'll Fly Away (Treme)

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Es scheint, als ob David Simon den Fluch der strafenden Nichtbeachtung sämtlicher Awardjurys nicht mehr loskriegen wird. Nachdem bereits sein von vielen als TV-Meisterwerk bezeichnetes Format "The Wire" in seinen sechs Jahren gerade mal zwei magere Emmy-Nominierungen bekommen hat, so fehlt dieses Jahr auch sein neues Projekt "Treme" unverständlicherweise in sämtlichen wichtigen Awardkategorien. Allen voran der Cast, der aus einer Reihe an absolut herausragenden Akteuren besteht, wurde bisher komplett ignoriert. Und das, wo man mit Khandi Alexander, Wendell Pierce, Steve Zahn, John Goodman und vor allem Melissa Leo Kandidaten hat, die eigentlich unbedingt auf so einer Liste stehen müssten. Letztere Dame ist es, die mitunter für einen der erinnerungswürdigsten Momente der ersten Staffel von "Treme" gesorgt hat. Leos Toni Bernette ereilt im Staffelfinale nämlich ein unglaublich hartes Schicksal: Ihr Mann Creighton begeht Selbstmord.

"I love you. Cray."

Zum Zeitpunkt der Hiobsbotschaft fehlt Creighton Bernette bereits über einen Tag. Als schließlich zwei Männer in Anzügen klingeln und die Stufen zum Haus der Bernettes hochgehen, bewahrheitet sich, was Toni und die Zuschauer bereits befürchtet hatten: Creighton hat sich das Leben genommen. In dieser unfassbar schrecklichen Situation reagiert Toni zunächst mit einer Apathie und Ruhe, wie es für ihren Charakter gar nicht authentischer sein könnte. Melissa Leo verzichtet gänzlich auf dramatisches Overacting und transportiert den Schock, den tiefen Schmerz ihrer Figur stattdessen allein mit ihrer Mimik. Man spürt förmlich, wie ihr die Tränen im Hals stecken bleiben, als sie die beiden Männer hinausbittet, die Tür schließt und schließlich ihrer Tochter Sofia die Nachricht überbringt. Erstaunlicherweise hört man nie explizit jemanden sagen, dass Creighton tot ist, noch sieht man seinen Selbstmord, doch der so hervorragend inszenierte Kontext und die brillante Darstellung Leos sagen viel mehr als tausend Worte.

Aber erst die folgende Szene ist es, die dem Zuschauer wahrlich das Herz bricht und Leos volles Können unter Beweis stellt. Creightons Auto wird aufgefunden und Toni wird gerufen, um eventuelle Dinge von persönlichem Wert mitzunehmen. Es sind erst wenige Stunden vergangen seit sie von dem Suizid ihres Mannes weiß und entsprechend mitgenommen sieht Toni aus. Ihr Gesicht ist verweint, ihre Stimme zittrig, ihr Körper ist wie ein Spiegelbild ihrer Seele. Und doch ist Leos Schauspiel stets absolut angebracht und nie übertrieben. Man spürt, wie unglaublich viel Kraft es Toni kosten muss, in das Auto ihres Mannes zu steigen, wo sie dessen Jacke findet, an der noch sein Geruch haftet. Toni umgreift die Jacke und beginnt in ihrer totalen Hilfslosigkeit zu weinen. Dann findet sie im Handschuhfach Creightons Geldbeutel mit einem Zettel, auf dem steht: "I love you. Cray."

Man kann wohl nicht beschreiben, was für ein Schmerz es ist, der Toni in diesem Moment wie ein Stich ins Herz treffen muss. Dank Melissa Leo können wir dies aber zumindest erahnen. Tonis totale Verzweiflung, ihre Enttäuschung, ihr Elend, all das bricht in diesem Augenblick aus ihr aus. Selten bieten uns Fernsehserien solch unglaublich reale, emotionale Szenen wie diese. Und so stellt uns "Treme" durch Toni vor die unlösbare Frage, wie man weiterleben soll nach so einem Schicksalsschlag, wie man weiterleben soll, wenn der Tod allgegenwärtig zu sein scheint. Denn nur wenige Tage nach dem Selbstmord von Creighton ist Toni auf der Beerdigung von Daymo, dem verstorbenen Bruder ihrer Freundin LaDonna.

So gibt es hochverdient Bronze für diesen herausragenden Moment in #1.10 I'll Fly Away, ein Moment, der so eine unwahrscheinliche emotionale Wirkung auf den Zuschauer hatte, dass man einfach nur von tiefem Mitgefühl für Toni überwältigt wurde. Und ich ziehe den Hut vor Melissa Leo, der zumindest in meiner persönlichen Awardliste eine Nominierung sicher ist.

Maria Gruber - myFanbase

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