Orange Is the New Black - Review, Staffel 1
Political Correctness ist etwas, das in den USA besonders gern großgeschrieben wird. In einem Land, das sich zumindest vordergründig damit brüstet, die Integration verschiedener Kulturen erfolgreich geschafft zu haben und eine Gesellschaft zu formen, deren unterschiedliche Ethnien zu einem melting pot geworden sind, stehen Respekt und Toleranz an vorderster Front. Bloß kein Affront gegen soziale Subgruppen; bitte keine Witze, die mit Rasse, Geschlecht oder sexueller Orientierung zu tun haben. Denn: Es ist doch alles gut, alle leben glücklich und zufrieden miteinander, ungeachtet von Herkunft oder sonstigen Eigenheiten. Keiner wage es, dieses angeblich friedliche und reibungslose Zusammenleben mit politisch unkorrekten Aussagen in Frage zu stellen.
Dass dieser melting pot eine Utopie ist und gerade das ständige Pochen auf Political Correctness ja genau deutlich macht, wie fragil das gesamte System ist, zeigt das tagesaktuelle Geschehen in den USA. Auch Literatur und Film beschäftigen sich immer wieder gern mit dieser Problematik. Im Fernsehen hingegen sind Serien, die sich mit solchen Themen auseinandersetzen, relativ rar gesät, ist der Zuschauer es doch oftmals leid, den hässlichen Spiegel der Realität vor die Nase gehalten zu bekommen. "Orange Is the New Black" schert sich darum allerdings überhaupt nicht. Nicht nur wählt die Serie mit einem Frauengefängnis einen Ort, an dem politisch wirklich rein gar nichts mehr korrekt ist und Rassen- und Geschlechterrollen so dominant sind wie nur irgend möglich, es stellt sich zudem selbst vor die schwierige Herausforderung, all dies auch noch in einen komödiantischen Rahmen zu pressen. Was dabei herauskommt, ist eine unglaublich lustige, unerwartet emotional-tiefgründige und herrlich erfrischende neue Dramedyserie, die vor Political Incorrectness nur so strotzt.
Serienmacherin Jenji Kohan, die schon mit "Weeds" reichlich Erfahrung im Dramedy-Sektor sammeln konnte, nimmt sich für "Orange Is the New Black" die auf wahren Ereignissen basierende Geschichte der jungen Piper (Taylor Schilling) vor, die vor vielen Jahren für ihre damalige lesbische Affäre Alex (Laura Prepon) Drogen schmuggelte und nun dafür ins Gefängnis geht. Piper – hübsch, wohlhabend und gebildet – ist in ihrer gesamten Person eine Antithese zu den sonst im Gefängnis lebenden Frauen, wodurch nicht nur allerlei Konflikte vorprogrammiert sind, sondern es auch viele Gelegenheiten gibt, die sozialen Unterschiede zwischen Piper und dem Rest auszuloten und gegeneinander auszuspielen. Kohan sagte in einem Interview mit NPR sehr treffend, dass Piper eigentlich nur das Trojanische Pferd ist, das dem (Netflix beziehenden, vorwiegend weißen, aus der Mittelklasse stammenden, gebildeten) Zuschauer einen Zugang zum Litchfield-Gefängnis verschafft und Identifikationspotential bietet in dieser sonst für den Normalbürger so fremden Welt. Piper ist dabei aber – zum Glück! – keinesfalls perfekt. Zu Beginn noch schrecklich naiv und püppchenhaft offenbart Piper im Laufe der Staffel zwar Mut und Stärke, zeigt aber auch, wie selbstzentriert, oberflächlich und verurteilend sie sein kann.
Überhaupt sind die charakterlichen Offenbarungen eine der großen Stärken der Serie. Kohan nimmt sich in "Orange Is the New Black" zunächst ganz bewusst den gängigen Klischees an: das blonde WASP-Liebchen, die russische Gaunerin, die Mannsweib-Lesbin, die toughe Afro-Amerikanerin, die zickende Latina, die Kosmetik liebende Transfrau. Doch im Verlauf der ersten Staffel gelingt es ihr auf beeindruckende Weise, diese Klischees zu relativieren und den einzelnen Figuren Tiefe und Mehrdimensionalität zu verleihen. Jede der Frauen in Litchfield hat ihre Probleme, Träume und Ängste. Und obwohl jede für sich kämpft, so zeigen sie alle in den schweren Momenten doch Mitgefühl und Zusammenhalt, denn sie alle wissen: Im Gefängnis haben sie nur sich, sonst nichts.
Dieser Zusammenhalt und die Gruppendynamik, die die Charaktere von "Orange Is the New Black" im Laufe der Zeit entwickeln, machen die Serie dann auch so unterhaltsam. Zum einen ist es hochinteressant zu sehen, wie sich die Beziehungen innerhalb der einzelnen Subgruppen – Zitat Nicky: "White, black, Hispanic, golden girls, others" – entwickeln. Erwähnenswert ist hier besonders die Entwicklung der komplizierten Beziehung zwischen den Ex-Geliebten Piper und Alex (und als Dritter im Bunde, Pipers Verlobter Larry), aber auch die unterschiedlichen Beziehungen zwischen Nicky, Morello und Alex, der loyale Zusammenhalt von Red (großartig: Kate Mulgrew) und ihren Küchenfrauen, das besondere Band zwischen Taystee und Poussey, oder der Zusammenhalt (manchmal wider Willen) zwischen Daya, Aleida, Gloria, Maria und Flaca. Zum anderen ist es wunderbar, wie sich außerhalb dieser Gruppen zwischen den unterschiedlichsten Frauen Freundschaften bilden, die zu vielen rührenden Momenten führen. Exemplarisch seien hier die ungewöhnliche Freundschaft zwischen Transfrau Sophia und Sister Jane angebracht, Pipers Zusammenleben mit Claudette, oder auch die herrlich groteske "Beziehung" zwischen Piper und Crazy Eyes (mein persönlicher Breakout-Charakter!), die zum Lachen, zum Schluchzen und zum Staunen bringen.
Zur Galerie mit 15 Bildern |
Der Mikrokosmos des Litchfield-Gefängnisses wird schließlich dadurch komplettiert, dass der Zuschauer auch einen Einblick in das Leben und die Gefühlswelt des dort arbeitenden (und vorwiegend männlichen) Personals bekommt. Hier tappt "Orange Is the New Black" dann aber doch manchmal in seine eigene Klischeefalle und zeigt mit Charakteren wie der intriganten Gefängnisleiterin Natalie Figeroa oder dem lange Zeit sehr eindimensional wirkenden, schrecklich fiesen Wärter George 'Pornstache' Mendez sehr stereotype Figuren. Mit Charakteren wie Officer Healy, den man für seine begrenzte Weltsicht manchmal am liebsten rütteln würde, dann aber wegen seiner unglücklichen Ehe schon wieder bemitleidet, oder Wärter Bennett, der sich selbst in eine ungute Situation manövriert, kompensiert die Serie aber zumindest ansatzweise dieses Problem. Wirklich störend ist die Klischeehaftigkeit letztlich nur bei Pipers Mitinsassin und Erzfeindin Tiffany 'Pennsatucky' Doggett, deren religiöser Fanatismus so extrem ist, dass er alles andere völlig überschattet und Pennsatucky im Endeffekt zu einer bloßen Karikatur verkommen lässt. Das ist besonders schade, da "Orange Is the New Black" ja bei zahlreichen anderen Protagonistinnen zeigt, dass es das eigentlich besser kann.
Doch ansonsten gibt es nicht mehr viel, was man "Orange Is the New Black" vorwerfen kann. Was Netflix hier bietet, ist eine enorm unterhaltsame, manchmal zutiefst bewegende und meistens hochamüsante Ensemble-Serie mit hohem "binge watching"-Potential, die mit jeglicher Political Correctness aufräumt und sowohl schonungslos als auch mit einem kleinen Zwinkern in die Welt eines Frauengefängnisses blickt. Dabei schafft die Serie es, innerhalb des Mikrokosmos von Litchfield viele Fragen und Konflikte darzustellen, die auch auf den Makrokosmos einer jeden Gesellschaft – sicherlich nicht nur der amerikanischen – übertragbar sind. Im Zentrum stehen aber letztlich die Frauen von Litchfield, denen der Zuschauer manchmal mit Sympathie und Mitleid, manchmal mit Unverständnis und Erstaunen bei ihren alltäglichen Herausforderungen zusehen darf und dabei sehr gut unterhalten wird. Nicht umsonst hat sich "Orange Is the New Black" von einem Geheimtipp zu einem kleinen Kultphänomen gemausert und tatsächlich verdient diese Dramedy-Perle auch jegliche Aufmerksamkeit, die sie bekommen kann.
Externer Inhalt
An dieser Stelle ist Inhalt von einer anderen Website (z. B. YouTube, X...) eingebunden. Beim Anzeigen werden deine Daten zu der entsprechenden Website übertragen.
Maria Gruber - myFanbase
Kommentare
Links
Meistgelesen
Aktuelle Kommentare
15.12.2024 21:18 von Daniela
No Good Deed: No Good Deed
Ich will da kommende Woche mal reinschauen. mehr
23.12.2024 12:10 von Lena
News: Blake Lively erhebt Anklage gegen Justin Baldoni wegen sexueller Belästigung
Ich hatte es schon in meiner Review zum Film angedeutet,... mehr